Nach Protesten beim G-20-Gipfel: Mit ihnen zu sprechen wäre der Weg gewesen
Das Treffen der Mächtigen der Welt in Hamburg hat die Chance auf einen wirklichen Dialog vertan. Ein Essay über fehlende Worte.
Am Anfang war das Wort. Am Ende, wenn alles gut ging, steht auch das Wort. Produktive, verbindliche Worte wurden erwartet von der einflussreichsten Talkrunde der Welt, zu der sich die Staatschefs der stärksten Industrie- und Schwellenländer ab Freitag in Hamburg versammelten. Aus hunderten Gesprächen, tausenden Worten sollten die Unterhändler der Gruppe der zwanzig, der G 20, ein Schlusskommuniqué entstehen lassen, eine globale Agenda zu Klimaschutz, freiem Welthandel, Armutsbekämpfung.
Heraus kam ein Kondensat, vielfach gefiltert von Unterhändlern in Nachtarbeit. Schwarz auf weiß versprechen die G-20-Chefs jetzt freien Handel, offene Märkte ohne Protektionismus, wie die USA ihn gern hätten, um „ihre Sicherheit zu schützen“, wie sie vorschützten. Zur Wahrung des Gesichts erkennt das Dokument „die Rolle legitimer Verteidigungsinstrumente im Handel“ an. Klimaschützer, schockiert von Amerikas Aufkündigung des Pariser Abkommens, bekamen, was sie hofften: den klaren Bruch nach dem Wortbruch. Immerhin, 19:1. Obwohl die Türkei ankündigte, das Pariser Abkommen vorerst nicht zu ratifizieren, bekannte auch sie sich mit allen anderen außer den USA zur Absicht, die Klimaziele umzusetzen. Da kommt es auf jedes Wort an.
Worte sind das elementare Merkmal der Menschheit. Gesprochen, mit Worten kommuniziert, wurde am Feuer der Höhlen, beim Handeln auf den Märkten jeder Epoche. Gesprochen wird in den Parlamenten der Moderne, deren Namensgeber das französische Verb parler, sprechen, ist. Sprache ist die Essenz des Verhandelns, der Zivilisation. Ohne Dialoge kein Frieden, keine Verträge und Abkommen. Dringend wird all das gebraucht, in Syrien, in der Ukraine. Verbal kamen die G 20 voran, bereit zu Verhandlungen über Waffenruhe. Ivanka Trump wiederum, Milliardärs- und Präsidententochter, bewarb erfolgreich ein Kreditprojekt der Weltbank für Unternehmerinnen in Entwicklungsländern.
„Krieg und Krisen überall“, hatte Außenminister Sigmar Gabriel in Hamburg vor dem Treffen konstatiert, „Not und Armut“. Seiner Sorge zum Trotz fügte er an: „Die Welt wird ja nicht besser, wenn wir nicht miteinander reden.“ Und: „Wenn ich nicht gerade Außenminister wäre, würde ich wahrscheinlich mitdemonstrieren – aber ohne Gewalt.“ Da hatte der Krawall schon begonnen.
Gabriel gab das Interview vor der Fassade des Hotel „Atlantic“ an der Außenalster, wo Angela Merkel und ihre Delegation übernachteten. Errichtet wurde der hanseatische Prachtbau 1909 für transatlantische Dampferpassagiere, die sich dort oft über ihre Geschäfte in Übersee unterhalten haben werden. Nach 1945 diente das „Atlantic“ britischen Besatzungsoffizieren als Unterkunft. In den Räumen wird man über Krieg und Verbrechen gesprochen haben, über Frieden und Wiederaufbau. Das alles kommt uns bekannt vor. Dramatisch verändert, exponentiell zugenommen aber haben sich inzwischen die Chancen und Risiken des Kommunizierens. Die Dialoge und Nichtdialoge der Welt, in Hamburg wurden sie wie im Brennglas sichtbar.
Hier die "Black Box" der Macht, dort der "Schwarze Block" der Ohnmacht
Vielleicht war der friedlichste Ort die Elbphilharmonie, als die Gipfelteilnehmer Beethovens Neunte hörten und der Chor die Worte „Alle Menschen werden Brüder“ sang. Parallel diskutierten die Unterhändler durch die Nacht, analog und digital, in Dutzenden von Sprachen. Millionenfach schwirrte Gesimstes, Getweetetes, Gemailtes durch die Welt, ein in Nano-Teilchen aufgelöster Globalstammtisch. Abertausende Außenstehender wollten mitreden, gehört werden, auch stellvertretend für „die Verdammten dieser Erde“.
Das war nicht drin. Gipfelgespräche finden in einer „Black Box“ statt, nicht nur Putin, Trump, Merkel, Erdogan sprechen miteinander hinter verschlossenen Türen. Journalisten schnappen Happen auf, Sprecher liefern Floskeln. Dieser „Black Box“ der Macht stand der „Schwarze Block“ der Ohnmacht gegenüber, der dann marodierend durch die Straßen zog: lokaler Krawall gegen den globalen Krawallmacher Trump, Randale vom Rand wider das Zentrum der Globalisierung. Die Ironie daran sei, „dass Donald Trump ebenfalls ein Globalisierungsgegner ist“, bemerkte ein amerikanischer Reporter in Hamburg.
„Welcome to Hell“ hatten die Radikalsten dräuend gewarnt, gerüstet mit Leuchtraketen, Zwillen, Flaschen, Teppichmessern und Steinen. Die Interventionistische Linke hatte versprochen, sie werde „den Gipfel stören. Die Stadt erobern“, das Treffen „der Despoten, der Herrschenden und ihrer Buchhalter“. Einfacher, klüger, weniger teuer wäre Deeskalation gewesen. Die Parks für Zeltlager öffnen, Freibier und Pizza spenden, mit Sprechern Vereinbarungen über das spätere Aufräumen treffen, Fragen zulassen an die Mächtigen, Demonstranten zu Mediendebatten über ihre Forderungen einladen: Worte statt Wasserwerfer. Die Hell-Hooligans wären isoliert worden.
Ermutigend wäre es gewesen, zu erleben, wie europäische Jugendliche, die wütend nach globaler Gerechtigkeit rufen, zum Dialog eingeladen werden. Ein Hoffnungszeichen wäre es gewesen in Hinblick auf unermesslich brutalere, ernste Konflikte, deren Lösung unter anderem in den Händen der G 20 liegt, Konflikte, auf die diese Jugendlichen, wie verworren auch immer, hinweisen wollen. Mit ihnen zu sprechen wäre der Weg gewesen.
Am Ende stand weniger das Wort. Vorerst werden vor allem Bilder bleiben. Die „Familienfotos“ der Amtsträger, ihre Limousinen, Flugzeuge und die Szenarios der randalierenden armen Verwandten, Brände, Barrikaden, zornige junge Leute. Es wird darum gehen, gerade diese Bilder, die das politische Weltklima illustrieren, in Worte zu übersetzen, die Sinn stiften.
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