Kandidatin für Parteivorsitz im Interview: Geywitz sieht bei Wahl ohne Merkel bessere Chancen für die SPD
Die Brandenburgerin Klara Geywitz über ihre Kandidatur um den SPD-Vorsitz mit Olaf Scholz, Vernunft in der Politik und Emotionen in der SPD. Ein Interview.
Die Brandenburger Landespolitikerin Klara Geywitz (43) bewirbt sich als Duo mit Finanzminister Olaf Scholz um den SPD-Vorsitz.
Frau Geywitz, warum treten Sie bei den Regionalkonferenzen oft in einer grünen Lederjacke auf? Ist das Ihr Glücksbringer?
Die grüne Lederjacke war ein Notkauf vor der ersten Regionalkonferenz in Saarbrücken. Ich war mit einer roten Jacke angereist. Doch die Organisatoren von der SPD informierten uns am Nachmittag darüber, dass wir um Himmels Willen nichts Rotes anziehen sollten, weil Fotos und Filmaufnahmen von den Kandidaten vor einem Hintergrund mit SPD-Rot gemacht würden. Da bin ich ins nächste Kaufhaus, habe das erste Kleidungsstück gekauft, das da hing – das war eben diese grüne Lederjacke. Sie ist übrigens sehr praktisch. Ich bin ja wegen der Regionalkonferenzen nun oft mit dem Zug unterwegs, es wird langsam Herbst, da leistet sie mir gute Dienste...
Ist in der Politik das Äußere von Frauen häufiger Thema als das von Männern?
Es trifft Frauen sicher häufiger als Männer. Frauen haben ja auch mehr Gestaltungsmöglichkeiten als Männer, die sich meist nur zwischen einem schwarzen und blauen Anzug entscheiden können. Was will man da schon Spannendes darüber schreiben? Außerdem erinnere ich mich, dass wir mal einen SPD-Kanzler hatten, über dessen teure Anzüge auch viel geschrieben und geredet wurde.
Sie sprechen von Gerhard Schröder und seinen Brioni-Anzügen?
Richtig. Ich wollte aber jetzt keine Markenwerbung machen.
Am Sonnabend hat die letzte von 23 SPD-Regionalkonferenzen stattgefunden. Wollen Ihre Mitbewerber die SPD nach links rücken?
Ich finde es ganz natürlich, dass Kandidatinnen und Kandidaten SPD-Kernforderungen betonen, wenn sie Eindruck machen wollen. Mir war es wichtig, dass wir neben der Verteilungsfrage auch andere Themen ansprechen, besonders auch die Frage der ökologischen Industriepolitik. Man kann nur verteilen, was vorher erwirtschaftet wurde. Wir müssen dafür sorgen, dass in den Veränderungsprozessen, die uns bevorstehen, unsere industrielle Basis in Deutschland erhalten bleibt.
Haben Sie dafür auch emotionale Zustimmung erhalten? Wurde das so laut beklatscht wie Forderungen nach 14 Euro Mindestlohn oder dem Stopp aller Rüstungsexporte?
Ich finde es wichtig, dass Politik wieder mehr Zusammenhänge herstellt und erklärt. In einer Zeit, in der wir vor so großen Herausforderungen stehen, sind auch komplizierte Antworten notwendig. Sehr viele Menschen haben gegenwärtig große Sorgen um ihren Arbeitsplatz. Denken Sie an die Stahlindustrie, die Energiewirtschaft oder die chemische Industrie. Deswegen muss die SPD als Partei der Arbeit auch Antworten geben, wie in 20 oder 30 Jahren noch hochwertige Industriearbeitsplätze in Deutschland erhalten werden können.
Das heißt, Sie bringen Ihr Publikum nicht zum Jubeln, setzen aber darauf, dass die Vernunft die Parteibasis am Ende überzeugen wird?
Die SPD hat zwei zentrale Aufgaben. Wir müssen dafür sorgen, dass sich die Schere zwischen Arm und Reich wieder schließt. Das erreichen wir durch ein gerechtes Steuersystem, die Bekämpfung des Niedriglohnsektors und die Anhebung des Mindestlohns auf mindestens zwölf Euro. Wir müssen auch die sachgrundlosen Befristungen von Arbeitsverträgen abschaffen, weil das viele junge Menschen davon abhält, eine Familie zu gründen. Und zweitens gefällt es mir nicht, dass die SPD so niedrige Kompetenzwerte auf dem Feld der Wirtschaft hat. Menschen, die sich Sorgen um ihre Arbeit machen, erwarten von der Sozialdemokratie, dass wir wissen, wie Zukunftsperspektiven entstehen und wie wir ihnen so Schutz und Sicherheit geben – etwa, wenn die Digitalisierung im Bankensektor viele Arbeitsplätze bedroht. Industriearbeiter haben nichts gegen Klimaschutz, fürchten aber ebenfalls um ihre Jobs. Die große Aufgabe der Volkspartei SPD ist es, diese beiden Aspekte zusammenzubringen.
Wie soll das gehen?
Unsere Botschaft muss sein: Klimaschutz ist wichtig, darf aber keine Arbeitsplätze vernichten, sondern soll im besten Fall einen Innovationsschub auslösen. Wir müssen Technologien entwickeln, die wir in den nächsten Jahren exportieren und so Jobs in Deutschland sichern können. Deutschland hat mehr Chancen, als viele glauben. Aber wir müssen dazu wieder dynamischer werden und mehr nach vorne blicken statt auf den Status Quo.
Der SPD-Mittelstandsbeauftragte Harald Christ hat wegen des Linkskurses Ihrer Partei sein Amt hingeschmissen. Sehen Sie im Linksdrift großer Teile Ihrer Partei wirklich kein Problem?
Wir sind eine Volkspartei. Es ist gut, wenn das Kandidatenfeld ein breites Meinungsspektrum abbildet – von Hilde Mattheis bis Olaf Scholz. Wenn Ende Oktober das Ergebnis des Mitgliedervotums feststeht, wissen wir, wer die meiste Zustimmung an der Basis findet.
Wie wollen Sie die Aufgaben verteilen, wenn Sie es schaffen? Der Finanzminister ist gut ausgelastet, bleibt die Kärrnerarbeit dann bei Ihnen hängen?
(Lacht.) Sie zeichnen ein Bild von der Zusammenarbeit von Männern und Frauen, das meinem nicht entspricht. Wir werden die Arbeit, die anliegt, gemeinschaftlich erledigen.
Aber Olaf Scholz hat sich gegen eine Kandidatur lange mit dem Argument gewehrt, der Parteivorsitz ließe sich zeitlich nicht mit seinen Aufgaben als Vizekanzler vereinbaren…
Ich finde es bewundernswert, was Olaf Scholz in den vergangenen Wochen geleistet hat. Das zeigt, dass er in der Lage ist, viele verschiedene Aufgaben auszufüllen. Er hat seine Termine im Ausland wahrgenommen, er hat eine ganze Nacht das Klimapaket verhandelt und war am nächsten Abend wieder auf einer Regionalkonferenz. Das zeigt: Er ist ein Politiker mit guter Kondition.
Wer wird in einer Doppelspitze das Erstzugriffsrecht auf die Kanzlerkandidatur der SPD haben – Sie oder Olaf Scholz?
Wenn der Zeitpunkt gekommen ist, um über die Frage nachzudenken, ob es einen Spitzenkandidaten oder eine Spitzenkandidatin geben wird und wer das sein könnte, werden wir eine überzeugende Lösung finden.
Wird die SPD aufgrund der schlechten Umfrageergebnisse also keinen Kanzlerkandidaten mehr aufstellen?
Wie kommen Sie darauf? Wir klären das, wenn es geklärt werden muss. Schauen Sie doch auf die CDU. Da zeigt sich: Es hilft einer Partei wirklich nicht, über die K-Frage zu diskutieren, obwohl das zu diesem Zeitpunkt doch gar nicht relevant ist. Bei uns haben im Moment andere Dinge Priorität.
Die SPD wird also weiterhin einen Kanzlerkandidaten oder eine Kandidatin aufstellen – auch wenn die Umfragen nur noch bei zehn Prozent liegen?
Olaf Scholz und ich wollen die SPD wieder zu einer sehr starken Partei machen. So stark, dass wir eine Regierungskoalition im Bund anführen können und keine Große Koalition mehr brauchen.
Sie würden sich die Kanzlerkandidatur aber zutrauen?
Ich habe zu diesem Thema jetzt alles Nötige gesagt.
In der SPD gibt es gegen Olaf Scholz massive emotionale Vorbehalte. Wie kann er die große Sehnsucht nach einer Erneuerung der Partei erfüllen?
Olaf Scholz hat in der Vergangenheit viel Regierungserfahrung gesammelt. In Hamburg hat er für die Sozialdemokratie ganz exzellente Ergebnisse erzielt. Ich bin, was die Bundespolitik anbelangt, eher aus der Abteilung „Erneuerung“. Insofern ist unser Team eine Kombination aus einem sehr erfahrenen Mann und mir, die ich sicher mit etwas größerer Freiheit auf die Politik in Berlin blicken kann.
Sie wollen also den Aufbruch verkörpern. Als besonders emotionale, mitreißende Politikerin gelten sie allerdings auch nicht...
Viele Menschen in Deutschland suchen in diesen Zeiten nach Orientierung. Deshalb fahren wir nicht schlecht, wenn wir der Vernunft Raum geben – neben den Emotionen.
Die SPD ist bei vielen Themen gespalten, etwa in der Klimafrage. Die einen finden das Klimapaket der Groko gut, andere kritisieren es scharf. Zerreißt das die SPD?
Sozialdemokraten sind in der Regel große Idealisten. In Koalitionen muss man immer Kompromisse machen. Ohne Kompromisse kann man in der Demokratie nicht regieren, das muss allen klar sein. Das Wesensmerkmal der Volksparteien ist, dass sie in der Lage sind, unterschiedliche Interessen miteinander zu verbinden und die Gesellschaft zusammenzuhalten. Das tun wir mit dem Klimapaket. Darin gibt es verbindliche Ziele für die Reduzierung der Treibhausgase, die jährlich überprüft werden. Dazu enthält das Paket die klare Ansage an die Autofahrer oder Hausbesitzer mit Ölheizungen: Es wird sich einiges ändern in den nächsten Jahren – aber mit Augenmaß und sozial abgefedert.
Ein anderes emotionales Thema, das die SPD spaltet, ist die Migration. Die einen wollen weltoffen bleiben, andere wünschen sich eine restriktivere Politik. Wie wollen Sie da vermitteln?
Diesen Widerspruch, den Sie beschreiben, sehe ich so gar nicht. Als Sozialdemokratin bin ich froh über jeden leistungswilligen und qualifizierten Zuwanderer. An beinahe jedem Lieferwagen und Schaufenster hängt ein Schild „Wir stellen ein“. Auch viele Geflüchtete haben es schon in den regulären Arbeitsmarkt geschafft. Ich habe einen hohen Respekt vor allen, die in unser Land kommen, hier die Sprache lernen, sich beruflich einbringen. Das muss insgesamt noch stärker wertgeschätzt werden. Deutschland ist ein Einwanderungsland.
Enttäuschte SPD-Anhänger werfen Ihrer Partei vor, zu sehr auf die Bedürfnisse von Flüchtlingen einzugehen – die Interessen der Einheimischen, vor allem der Ärmeren, aber vernachlässigt zu haben...
Diese Haltung gibt es, und wir müssen dafür sorgen, dass wir diesen Eindruck wieder zurückdrängen. Deshalb müssen wir genug Geld für die Unterstützung von Familien bereitstellen, beim Wohngeld, mit deutlich mehr sozialem Wohnungsbau – und zwar nicht nur für Geringverdiener, sondern auch für viele Normalverdiener. Es kann nicht sein, dass man eine benachteiligte Gruppe gegen die andere ausspielt. Die SPD hat erkämpft, dass es einen Rechtsanspruch für Ganztagsbetreuung im Grundschulbereich geben wird. Von dem staatlichen Angebot an Bildung profitieren Einheimische genauso wie Einwanderer.
Nicht nur die SPD befindet sich einer Art Führungskrise. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer steht in den eigenen Reihen unter Druck. Haben Sie Mitleid?
Frau Kramp-Karrenbauer hat einen schwierigen Job angetreten, als Parteichefin genauso wie als Verteidigungsministerin. Dass die Union jetzt über ihre künftige Führung diskutiert, überrascht mich schon. Frau Kramp-Karrenbauer ist ja erst kürzlich an die Spitze gewählt worden. Ich glaube nicht, dass das der Union nützt. Aber das ist nicht mein Problem.
Kann die SPD von der Schwäche der CDU-Chefin profitieren?
Die nächste Bundestagswahl kann sehr überraschend werden. Zum ersten Mal seit Langem geht die Union nicht mit Angela Merkel und damit ohne Amtsbonus in den Wahlkampf. Für die SPD kann das ein Vorteil sein, ja.
Erinnert Sie die Situation der CDU an die Lage, in der sich Andrea Nahles vor ihrem Karriereende befand? Die war auch frisch gewählt und bald begann die Diskussion über ihre Nachfolge...
Ich plädiere dafür, unterschiedliche Personen nicht miteinander zu vergleichen. Ich schaue mir interessiert an, wie das mit der CDU und ihrer Vorsitzenden weitergeht.
Und die Männer in der CDU – erinnern Sie die manchmal an die Männer in der SPD?
Nein.
Warum nicht?
Die SPD hat aus den Ereignissen der vergangenen Jahre gelernt. Wir haben verstanden, dass wir nur dann glaubwürdig für eine solidarische Welt streiten können, wenn wir diese Solidarität auch vorleben. Das ist der wesentliche Lerneffekt aus dem schlimmen Umgang mit Andrea Nahles.