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Engagement der Bürger gegen "hate crimes"- hier in Kalifornien - ist eines. Aber in Deutschland muss die Justiz mehr tun, findet auch der zuständige Minister.
© Reuters

Motiv Rassismus oder Frauenfeindlichkeit: Mit dem Strafrecht gegen Hassverbrechen

Auch in Deutschland sollen Hassverbrechen härter bestraft werden. In Berlin diskutierten jetzt Experten, welche Möglichkeiten das Strafrecht bietet - und ob es der Ort ist, gegen gewalttätigen Hass vorzugehen.

Obdachlose werden angezündet, Menschen dunkler Hautfarbe zusammengeschlagen, Frauen mit Kopftuch attackiert oder Männer, weil sie sich küssen -  alles alltägliche Nachrichten über Taten aus Hass gegen vermeintlich Anderes und Andere. Im Alltag gehen sie auch jetzt oft unter, da die Morde an neun Migranten im Münchner NSU-Prozess aufgearbeitet und darüber breit berichtet wird.

Und dies eben auch seit langem schon im Gerichtssaal: Die Rechtsanwältin Kati Lang hat für Sachsen 122 abgeschlossene Fälle aus den Jahren 2006 und 2007 analysiert, die selbst die Polizeiermittler für rassistisch motiviert hielten, was sie auch in den Ermittlungsunterlagen festhielten. Doch nur in 49 Prozent davon wurde dieses Motiv auch Thema im Gerichtssaal. Und nur in zwölf Prozent der Fälle floss es ins Urteil gegen die Täter ein.

Dies sei kein sächsisches Phänomen, eine Auswertung für Baden-Württemberg komme zu ganz ähnlichen Ergebnissen, sagt Lang. Sie schreibt zum Thema ihre juristische Doktorarbeit; die Zahlen bestätigten ihr, was in ihrer früheren Arbeit für die sächsische Opferberatung nur ein Eindruck war: „Es steht zwar im Gesetz, dass Tatmotive zu berücksichtigen sind, aber es geschieht nicht“, sagte Lang. Die Staatsanwaltschaft vergesse das, im Urteil stehe nichts davon. Das Vertrauen, die Justiz werde es schon richten, sagt Lang, sei „ganz falsch“.

"Der Rechtsstaat muss Rassismus verstehen und ernst nehmen"

Wie die Lage besser werden könnte, war Thema eines Fachgesprächs der Grünen-Bundestagsfraktion am Mittwoch über Hasskriminalität und Strafrecht, bei dem auch Lang berichtete. Sie spricht sich klar für eine geänderte Strafzumessung aus. Außerdem müssten die Gruppen, gegen die sich Gewalt und Hass richteten, im Gesetz einzeln aufgeführt werden.

Ihre Anwaltskollegin Undine Weyers, die viele Opfer recher Gewalt vor Gericht vertritt, darunter Antifa-Leute und Punks, hält wie Lang ein Ende der verbreiteten Ignoranz in der Justiz für nötig, auch im Sinne der Opfer: „Um ihnen den nötigen Respekt zu zollen – das ist das einzige, was sie im Prozess erwarten – muss sich das ändern.“ Ein Gesinnungsstrafrecht hielte auch sie für „ganz schlimm“. „Aber das ist etwas anderes als die Tatmotivation. Die muss aufgeklärt werden.“ Die wiederum, ergänzte Lang, sei nicht gleichzusetzen mit der „Selbstverortung des Täters“. Wer „nicht in die Nazi-Ecke zu stellen“ sei, werde noch seltener als Hasstäter wahrgenommen als dies ohnehin der Fall ist.

Was und ob sich überhaupt etwas ändern muss, darüber gingen die Meinungen der Fachleute weit auseinander – bis hin zum grundsätzlichen Nein des Vize-Chefs des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, Dirk Baier. „Wir haben eigentlich gar keinen Handlungsbedarf“, sagte Baier. „Der Anteil der Rechtsextremen ist gesunken.“

Unruhe unter den Mitdiskutanten und Gegenrede des Berliner Aktivisten Joshua Kwesi Aikins: Der Rassismus nehme eben nicht ab, das stehe auch in der in dieser Woche veröffentlichten Leipziger Studie, auf die sich Baier berufe. Cengiz Barskanmaz, Jurist an der Berliner Humboldt-Universität, hält die Waffen des Strafrechts für stumpf, solange die Gesellschaft insgesamt auf diesem Auge blind sei: „Ohne strukturelles Verständnis von Rassismus wird jedes rechtliche Instrument, auch Strafverschärfung, ins Leere zu laufen.“ Erst wenn die Institutionen, der Rechtsstaat, das Problem ernst nehme, könne man es bekämpfen, „dann auch innerhalb der bestehenden Rechtsordnung.“

Lehren aus dem Fall Sarrazin

Auf eine Veränderung in den Köpfen der Verantwortlichen zielen, unter anderem, auch die Empfehlungen, die das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR) in der letzten Woche zum Gesetzentwurf des Justizministers  vorlegte. Der Entwurf schreibt in einer Neufassung des Paragraphen 46, der im Strafgesetzbuch die Strafzumessung regelt, erstmals ausdrücklich vor, "rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende" Tatmotive für die Strafzumessung zu berücksichtigen. Das Institut kritisiert - wie auch etliche Experten beim Fachgespräch - dass der Entwurf noch das Wort „fremdenfeindlich“ verwendet. Der Gesetzgeber übernehme damit die Perspektive der Täter, die ihre Opfer als fremd ausgrenzen. Rassismus sei der bessere Begriff, schreibt das DIMR, müsse aber durch „gezielte Fortbildung“ für Gerichte und Polizei klar und handhabbar werden.

Im vergangenen Jahr hatte die Berliner Justiz es trotz einer Rüge des UN-Antirassimus-Ausschusses erneut abgelehnt, das Verfahren gegen Thilo Sarrazin wegen seiner Äußerungen über Türken und Araber wieder aufzunehmen. Außerdem fordert das Institut, dass in den „Richtlinien für Straf- und Bußgeldverfahren“ vorgeschrieben wird, dass die Ermittler möglichen rassistischen Motiven nachgehen und dokumentieren, wenn Zeugen Hinweise darauf liefern.

Maas' Gesetzentwurf reagiert auf Empfehlungen des NSU-Ausschusses

Der Gesetzentwurf, mit dem Justizminister Heiko Maass (SPD) nicht zuletzt auf die Erkenntnisse des NSU-Ausschusses des Bundestags reagiert, ist derzeit in der Abstimmung mit den Ländern. Verbände – etwa von Gewaltopfern – können bis zum 22. Juli noch Stellung dazu nehmen. Der Ausschuss hatte Versagen von Behörden, Polizei und Gerichten dokumentiert und angeprangert, das dazu führte, dass der „Nationalsozialistische Untergrund“ jahrelang unbehelligt morden konnten. Maas’ Entwurf soll nach der Sommerpause ins Kabinett.

Safter Cinar, der neue Vorsitzende der Türkischen Gemeinde Deutschland, freut sich über die Entwicklung. Wenn er früher Schulungen zu Rassismus gefordert habe, hätten ihn selbst Wohlmeinende "angeguckt, als hätte ich zum bewaffneten Kampf aufgerufen", sagte er beim Grünen-Gespräch. Ob das geplante Gesetz allerdings ausreiche, "wird man sehen".

Andrea Dernbach

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