Regierungskrise in Österreich: Misstrauensvotum stürzt Regierung von Kanzler Kurz
Vor knapp zwei Wochen schien Sebastian Kurz noch unangreifbar. Jetzt ist er sein Amt los. Für den 32-Jährigen bleibt es aber wohl nur eine Delle im Lebenslauf.
Mit einem Misstrauensvotum haben SPÖ und FPÖ Österreichs Kanzler Sebastian Kurz und dessen gesamtes Kabinett gestürzt. Der 32-Jährige habe mit seiner rein auf den Ausbau seiner Macht angelegten Politik jeden Kredit verspielt, argumentierten Redner der Opposition bei einer Sondersitzung des Parlaments am Montag. Das Vorgehen des Kanzlers sei stattdessen ein „schamloser, zügelloser und verantwortungsloser Griff nach der Macht“, sagte die Parteivorsitzende der Sozialdemokraten, Pamela Rendi-Wagner. Der SPÖ-Misstrauensantrag erhielt die Mehrheit der Stimmen. Es war das erste erfolgreiche Misstrauensvotum in der österreichischen Geschichte.
Möglich wurde der Schritt, weil nach dem Skandal-Video rund um Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache die Regierung aus Österreichischer Volkspartei ÖVP und Freiheitlicher Partei Österreichs FPÖ von Kurz aufgekündigt worden war. Damit verlor er die Mehrheit im Parlament. Sein Übergangskabinett überzeugte die Opposition nicht. „Er hat im eigenen Interesse gehandelt“ und habe nicht die Staatsräson in den Vordergrund gestellt, meinte SPÖ-Chefin Rendi-Wagner.
Auch der haushohe Sieg der ÖVP bei der EU-Wahl am Sonntag hielt die sozialdemokratische SPÖ und die rechte FPÖ nicht von ihrem Vorhaben ab. Bundespräsident Alexander Van der Bellen kündigte am Abend an, dass er die aktuelle Regierung unter Führung von Vizekanzler Hartwig Löger noch für kurze Zeit im Amt belassen wird. In spätestens einer Woche solle dann eine andere Übergangs-Regierung stehen, die die Staatsgeschäfte mindestens bis zur geplanten Neuwahl im September führen solle. Die Bestellung des neuen Kanzlers oder der neuen Kanzlerin werde mit besonderer Rücksicht auf das Parlament erfolgen, kündigte Van der Bellen an. Es gelte, weitere Misstrauensanträge zu verhindern.
Die SPÖ will die aktuelle Übergangsregierung durch ein Expertenkabinett bis zu den Neuwahlen ersetzt sehen. Der Kanzler habe in seiner 18 Monate langen Regierungszeit und in der gegenwärtigen Krise jegliches Vertrauen verspielt, weil er die Opposition praktisch völlig ignoriert habe. Die Übergangsregierung, die in der vergangenen Woche vom Bundespräsidenten vereidigt worden war, wurde als getarnte ÖVP-Alleinregierung kritisiert.
Ibiza-Affäre brachte Krise ins Rollen
Die schwere Regierungskrise begann am 17. Mai mit der Veröffentlichung des skandalösen Ibiza-Videos, das FPÖ-Spitzenpolitiker Strache im Gespräch mit einer vermeintlichen russischen Investorin über eine Zusammenarbeit zeigt. Strache war zur Zeit der Aufnahme des Videos im Sommer 2017 FPÖ-Chef und wurde einige Monate später Vizekanzler. Von beiden Ämtern trat er einen Tag nach der Video-Veröffentlichung durch „Spiegel“ und „Süddeutsche Zeitung“ zurück. Es folgte das Ende der ÖVP-FPÖ-Regierung.
Kanzler Kurz ließ Innenminister Herbert Kickl vom Bundespräsidenten entlassen, die weiteren FPÖ-Minister traten zurück, und Van der Bellen vereidigte eine Übergangsregierung mit vier Experten unter der Leitung von Kurz.
Die anderen Parteien, vorneweg die SPÖ, nahmen das als Affront wahr. Der Vorwurf an Kurz: Der 32-Jährige habe die Parlamentsparteien nicht anständig eingebunden, nicht dafür gesorgt, dass er im Parlament eine Mehrheit habe. Dass der Gründer der Liste „Jetzt“, Peter Pilz, schon frühzeitig einen parlamentarischen Misstrauensantrag gegen den Kanzler ins Spiel brachte, führte zu der entscheidenden Parlamentsdebatte am Montag.
Für Kurz ist die Abwahl ein Dämpfer. Doch er schaute bereits in den vergangenen Tagen auf die geplante Neuwahl. „Am Ende des Tages entscheidet in Österreich das Volk - und zwar im September“, sagte Kurz am Sonntag, nachdem die ÖVP bei der Europawahl in Österreich einen deutlichen Sieg eingefahren hatte. Bereits am Abend sprach er vor zahlreichen Anhängern und rief ihnen zu: „Ich bin noch immer hier.“ Für Wut, Hass und Trauer nach dem vorzeitigen Ende der reformorientierten Regierung gebe es keinen Grund. Stattdessen sollten die Anhänger die demokratische Entscheidung des Parlaments respektieren, so Kurz.
Der Sturz des populären Regierungschefs gilt als politisch heikles Unterfangen. Einflussreiche Medien und sogar der Grünen-nahe Bundespräsident hatten sich mehr oder weniger deutlich an die Seite von Kurz gestellt. Das Staatsoberhaupt hatte in den Tagen vor der Entscheidung an die Vernunft der politischen Parteien appelliert, die Regierungskrise nicht noch weiter eskalieren zu lassen.
Hintermänner des Videos noch unbekannt
Weiterhin offen ist, wer genau hinter dem skandalösen „Ibiza-Video“ steckt. Ex-Vizekanzler Strache kündigte vor einigen Tagen an, Anzeige gegen drei Personen zu erstatten, die er für „mögliche Mittäter“ hält. Wie Straches Anwalt der Deutschen Presse-Agentur mitteilte, geht es dabei konkret um einen in den vergangenen Tagen mit den Videoaufnahmen in Verbindung gebrachten Anwalt, einen Detektiv sowie den Lockvogel als unbekannten Täter. Die Anzeige lautet demnach auf Täuschung, Urkundenfälschung, Missbrauch von Ton- und Abhörgeräten sowie Verdacht der Datenverarbeitung in Gewinn- und Schädigungsabsicht. Strache sagte in einer Stellungnahme, dass er es für wahrscheinlich halte, dass noch weitere Personen an der Falle mitgewirkt hätten.
Der FPÖ-Politiker geht nicht davon aus, dass es noch weiteres kompromittierendes Material gegen ihn gibt. „Anders als von einzelnen Medien behauptet, kann es auch kein weiteres, mich kompromittierendes Video- oder Ton-Material geben“, teilte Strache mit. „Weder solches das Treffen auf Ibiza betreffend, noch solches, das davor oder danach entstanden ist.“ (dpa)
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