Bundeswehr zieht endgültig auf Afghanistan ab: Mission Unvollendet
Mit der Rückkehr der letzten deutschen Soldaten aus Afghanistan endet am Mittwoch ein Einsatz, der mit Optimismus begann und zu Ernüchterung zwang.
Die Bundeswehrpiloten haben den historischen Moment festgehalten: Am Dienstag um 21:54 Uhr, kurz vor Mitternacht Ortszeit, verließ die Maschine mit den letzten deutschen Soldaten den Luftraum Afghanistans.
Nach 20 Jahren ging damit ganz undramatisch der Einsatz zu Ende, der die Bundeswehr und den Umgang mit Militäreinsätzen verändert hat wie kein anderer.
Er war nicht der längste – den Rekord hält die Kosovo-Mission seit 1999. Er war nicht einmal der umstrittendste – das teilen sich die Balkan-Einsätze, gegen die ein FDP-Außenminister vor dem Verfassungsgericht klagte und zu denen ein Grünen-Außenminister seine eigene Partei zwang. Der opferreichste war er – 59 Soldaten sind gefallen oder bei Unfällen gestorben – und der prägendste.
General Khanullah Schudschah lässt die Deutschen ungern gehen. Der Kommandeur des 209. Corps der afghanischen Armee hat das Camp Marmal in Masar-i-Scharif übernommen. Er hat dem letzten deutschen Befehlshaber Ansgar Meyer einen Teppich zum Abschied geschenkt und ein Schwert als Erinnerung bekommen. Der Abzug sei wie der Verlust eines guten Freunds, sagt Schudschah einem dpa-Korrespondeten in Kabul.
Im Land sind die Taliban überall auf dem Vormarsch. Ob die Regierungsarmee die Scharia-Kämpfer aufhalten kann, ist so ungewiss wie die Zukunft des Friedensabkommens. Ob der Einsatz „gescheitert“ ist, wie Linken-Chefin Susanne Hennig-Wellsow kommentiert, oder „viel erreicht hat“, wie Unionsfraktionsvize Johann Wadepul konstatiert, wird sich also vielleicht erst in Jahren zeigen.
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Dass er blauäugig begann, steht jetzt schon fest. Als Rudolf Scharping (SPD) im Januar 2002 das erste deutsche Lager in Kabul besuchte, konnte der Verteidigungsminister in einer Ecke des früheren Bauhofs eine Reihe Dixie-Toiletten sehen. Die hatte die Bundeswehr einfliegen lassen ins „Camp Warehouse“.
In der ersten afghanischen Winternacht froren die blauen Boxen kaputt. Dafür hingen die Heizungen für die Zelte der gut 500 Soldaten irgendwo auf dem Dienstweg fest.
Die Logistik-Probleme begleiteten die Bundeswehr lange. Noch im Feldlager Kundus gehörte das „Kundus-Tuch“ zur selbstgekauften Standardausstattung, ein einheimischer Schal, der den feinen Wüstenstaub von Mund und Nase abhielt.
Größer war das politisch-strategische Problem. Scharpings Nachfolger Peter Struck (SPD) prägte nicht nur das Bonmot, dass Deutschlands Sicherheit ab jetzt auch am Hindukusch verteidigt werde. Er räumte auch offen ein, dass die Deutschen nach den Anschlägen vom 11. September 2001 völlig ohne Plan in den Solidaritätseinsatz für die USA gezogen waren.
Sie übernahmen kurzerhand das US-Konzept der „Provincial Reconstruction Teams“ (PRT), das darauf baute, dass von befestigten Militärlagern im ganzen Land sowohl Befriedung als auch Entwicklung ausstrahlen würden. Das PRT Kundus im Norden wurde 2003 das erste dieser Lager. In Talokan und Feisabad im äußersten Nordosten folgten für einige Jahre zwei weitere.
Das Konzept war von viel Optimismus begleitet. Man baute Brunnen und Mädchenschulen und suchte Kontakt zu den örtlichen Autoritäten. Der erste Kommandeur von Kundus ließ sich einen Vollbart wachsen, weil ihm das in den Dörfern Autorität verlieh.
Doch die hässliche Seite Afghanistans wurde rasch deutlich. Die ersten Toten waren noch Opfer von Unfällen: Zwei Bombenentschärfer starben in Kabul, sieben Deutsche überlebten einen Hubschrauberabsturz nicht.
Erst der Bombenanschlag auf einen Bundeswehr-Bus an der Straße zum Kabuler Flughafen am 7. Juni 2003 löste daheim eine Schockwelle aus. Vier Tote und 29 Verletzte – bis zu Karl-Theodor zu Guttenberg wollte niemand von Kriegseinsatz sprechen. Aber das Bild vom „Technischen Hilfswerk mit Langwaffen“ verdunkelte sich.
Im Rückblick war damit ein Punkt erreicht, über den die Mission am Hindukusch nie hinauskommen sollte.
Zivil-humanitär gab es zähen Fortschritt, der sich auf die größeren Städte konzentrierte. Militärisch blieb es beim Patt. Selbst die USA konnten mit massiven Kampfeinsätzen ihre Verantwortungszonen im Süden nie befrieden. Inzwischen fassen dort Ableger des im Irak zerschlagenen „Islamischen Staats“ (IS) Fuß.
Die Bundeswehr blieb zuletzt eingeigelt im Feldlager Mazar-i-Sharif und bildete afghanische Soldaten aus, aus Sicherheitsgründen stark eingeschränkt und deshalb mehr schlecht als recht. Wer sie in den letzten Jahren besuchte und mit erfahrenen deutschen Kommandeuren sprach, bekam eine nüchterne Einschätzung zu hören: Afghanistan hat sich verändert in den zwei Jahrzehnten. Das Land auf Dauer zu befrieden – das wäre Aufgabe für viele weitere Jahrzehnte.
Als die letzten Heimkehrer am Mittwoch nach Zwischenstopp in Georgien auf dem Fliegerhorst Wunstorf landen, bescheinigt ihnen Generalleutnant Erich Pfeffer herausragenden Einsatz. „Sie haben sich nicht beirren lassen von unklaren Lagen, häufigen Änderungen der Rahmenbedingungen und auftretenden Friktionen“, lobt Pfeffer, Chef des Einsatzführungskommandos in Potsdam. Auch der schnelle Abzug, für den die neue US-Regierung den Takt vorgab, lief reibungslos.
Aber es bleibt eben etwas, wofür die Soldatinnen und Soldaten nichts können. Selbst gemessen an den Jahr für Jahr bescheideneren Zielen endet die Mission am Hindukusch unerfüllt.