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Deutschland übernimmt am Mittwoch den EU-Vorsitz. Damit kommt viel Arbeit auf Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zu.
© dpa

Angela Merkel und Europa: Mission Possible

Die Corona-Pandemie hat die EU hart getroffen. Mitten in der schwersten Krise übernimmt Deutschland den Vorsitz. Was hat Angela Merkel als Ratspräsidentin vor?

Große Erwartungen richten sich auf den kommenden Mittwoch, wenn Deutschland für ein halbes Jahres turnusgemäß den Vorsitz in der EU übernimmt. Von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wird verlangt, dass sie die Gemeinschaft der 27 EU-Staaten bei Dutzenden von kritischen Fragen voranbringt. Die Themenliste ist lang – sie reicht von der verstärkten Unabhängigkeit der EU bei der Versorgung mit Arzneimitteln über den Klimaschutz und die Post-Brexit-Gespräche bis zum schwierigen Verhältnis zu China.

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Nun wird die Lösung all dieser Probleme keineswegs alleine von Merkel abhängen. Denn der halbjährige Vorsitz im Rat der jeweiligen EU-Fachminister bedeutet noch lange nicht, dass Deutschland in den kommenden sechs Monaten in der Europäischen Union alleine das Sagen hat. Aber beim zentralen EU-Thema der kommenden Wochen - die milliardenschweren europäischen Corona-Hilfen  - dürfte es entscheidend auf die Kanzlerin ankommen. Schon jetzt ist klar: Der beispiellose Wirtschaftseinbruch in der EU führt dazu, dass sich die Kanzlerin, die im kommenden Jahr abtritt, in der Europapolitik noch einmal völlig neu orientiert.

Was nutzt Merkel der Bonus als dienstälteste Regierungschefin in der EU?

Sehr viel. Seit 2005 amtiert Merkel als Kanzlerin, und sie weiß, was EU-Ratspräsidentschaften bedeuten. 2007 hatte Deutschland zuletzt den Vorsitz in der Europäischen Union. Auch damals befand sich die EU in einer Krisensituation. Zwei Jahre zuvor war die geplante EU-Verfassung bei Referenden in Frankreich und den Niederlanden gescheitert. Merkel gelang es damals während des deutschen Ratsvorsitzes, wesentliche Elemente der EU-Verfassung zu retten, so dass später der bis heute gültige EU-Vertrag von Lissabon unterzeichnet werden konnte. Die Staats- und Regierungschefs, mit denen Merkel es damals bei den Verhandlungen zu tun hatte, hießen Romano Prodi (Italien), Tony Blair (Großbritannien) oder Vaclav Klaus (Tschechien).

Die damaligen Gespräche über die „Berliner Erklärung“ vom März 2007, die dem Lissabon-Vertrag den Weg ebneten, verliefen äußerst zäh.  Aber dennoch lässt sich die Krisenlage von 2007 nicht mit dem vergleichen, was dann kam: Das Finanzbeben in den USA von 2008, das im folgenden Jahrzehnt in der EU die Euro-Krise auslöste, gefolgt von der Flüchtlingskrise im Jahr 2015. Für Merkel waren das lauter Härtetests auf EU-Ebene, die schon damals den Bestand der Gemeinschaft gefährdeten. Und jetzt hat die Pandemie in der Gemeinschaft eine Rezession bislang nicht gekannten Ausmaßes ausgelöst, die alle bisherigen Herausforderungen in den Schatten stellt.

„Merkel macht es diesmal besser als während der Eurozonen- und Migrationskrise, aus denen sie ihre Lehren gezogen hat“, urteilt Jana Puglierin über das gegenwärtige Krisenmanagement der Kanzlerin. Die Leiterin des Berliner Büros der Denkfabrik „European Council on Foreign Relations‘“  ist der Ansicht, dass Merkel auf bewährt pragmatische Weise und ohne große Visionen nach Art des französischen Präsidenten Emmanuel Macron an die gegenwärtige Krise herangehe. Aber die Kanzlerin erkläre den Menschen in Deutschland diesmal besser, was eigentlich in Europa auf dem Spiel stehe, so Puglierin.

Nach der Lesart der Kanzlerin geht es bei den geplanten europäischen Corona-Hilfen nicht bloß um finanzielle Solidarität für Südländer in der EU, die während der Euro-Krise immer wieder heftige Diskussionen in der CDU/CSU auslöste. Diesmal erklärt Merkel die Hilfen allein schon aus deutschem Eigeninteresse für unabdingbar. Wenn deutsche Exportmärkte in anderen EU-Ländern wegbrechen, so lautet ihre Argumentation, erleidet auch die hiesige Wirtschaft einen enormen Schaden.

Was will Merkel in der Ratspräsidentschaft konkret erreichen?

Sowohl Merkel als auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von Leyen drängen darauf, dass das EU-Wiederaufbauprogramm noch während des Sommers unter Dach und Fach gebracht wird. Die Kanzlerin hatte gemeinsam mit Macron vorgeschlagen, einen Fonds in Höhe von 500 Milliarden Euro einzurichten. Aus dem Fonds sollen ab Anfang 2021 Zuschüsse vor allem an Länder wie Italien und Spanien fließen, die von der Pandemie besonders betroffen sind. Merkel ist dabei einen großen Schritt auf den französischen Staatschef zugegangen. Denn sie hat zugestimmt, dass die EU-Kommission im Einklang mit dem geltenden EU-Recht Schulden in entsprechender Höhe aufnehmen kann. Dasselbe Modell gilt auch für den Vorschlag von der Leyens, die ein noch größeres Wiederaufbaupaket in Höhe von 750 Milliarden Euro vorgeschlagen hat.

Auf EU-Ebene und mit Blick auf die deutsche Innenpolitik spricht alles dafür, möglichst schnell zu einer Einigung über das Wiederaufbauprogramm zu kommen. Damit das Geld ab Anfang kommenden Jahres über den EU-Haushalt ausgezahlt werden kann, braucht es eine rasche Einigung unter den 27 EU-Staaten. Denn auch nationale Parlamente wie der Bundestag und das Europaparlament müssen anschließend zustimmen – und das braucht Zeit.

Aus innenpolitischer Sicht hat Merkel ebenfalls ein großes Interesse daran, einen Beschluss über das Hilfspaket unter den EU-Staaten idealerweise schon beim nächsten Gipfel am 17. und 18. Juli in Brüssel zu Stande zu bringen. Niemand weiß, wie lange der Höhenflug der CDU/CSU, welcher der Union derzeit Umfragewerte bis zu 40 Prozent beschert, noch anhalten wird. Es ist nicht auszuschließen, dass eine weitere wirtschaftliche Eintrübung im Herbst und ein neuerlicher Anstieg der Arbeitslosigkeit den Aufwärtstrend der Union wieder stoppen. Für Merkels EU-Kurs hätte das unmittelbare Folgen. Denn der europapolitische Spielraum, den ihr die eigene Partei derzeit gewährt, dürfte schnell schrumpfen, falls die Umfragewerte der Union wieder auf das Vor-Corona-Niveau zurückfallen sollten.

Allerdings könnte es schwierig werden, bereits beim EU-Gipfel am 17. und 18. Juli die Lösung für das Wiederaufbauprogramm zu finden. Das liegt daran, dass nicht nur beim Wiederaufbauprogramm eine Einigung her muss, sondern gleichzeitig auch beim EU-Finanzrahmen für die kommenden sieben Jahre, für den die EU-Kommission 1,1 Billionen Euro ansetzt. Zu den kniffligen Punkten gehört dabei ein Kommissionsvorschlag zu Ländern wie Ungarn und Polen, für den sich auch Merkel stark machen will: Die Auszahlung von EU-Haushaltsmitteln soll künftig an die Einhaltung von Rechtsstaats-Standards geknüpft werden.

Doch ob Merkel in diesem Punkt hart bleibt, wird zumindest bei den Grünen bezweifelt. Franziska Brantner, die europapolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, befürchtet, dass die Zustimmung zum Wiederaufbauprogramm im Kreis der 27 EU-Staaten erkauft wird „mit einem Schweigen gegenüber den Rechtsstaatsverstößen in Ungarn und Polen“. „Ich habe die Befürchtung, dass mögliche finanzielle Sanktionen gegenüber Rechtsstaats-Sündern am Ende weniger strikt ausfallen werden, als die EU-Kommission dies ursprünglich geplant hat“, sagt Brantner.

Welches europapolitische Erbe möchte die Kanzlerin hinterlassen?

Was Merkel im April noch mitten im Shutdown bei einer Regierungserklärung im Bundestag zu sagen hatte, ließ manche Beobachter aufhorchen. Sie kündigte an, sie werde auf EU-Ebene darauf drängen, dass sich ihre Amtskollegen in Rom, Madrid oder Kopenhagen „mit grundsätzlichen Fragen“ befassen würden. Dazu zählte die Kanzlerin eine mögliche Übertragung zusätzlicher Kompetenzen auf die EU-Ebene und eine stärkere Verzahnung der EU bei der Migrationspolitik, der Rechtsstaatlichkeit sowie der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Da fragte sich schon mancher, ob die Kanzlerin dabei war, vor der Bundestagswahl im kommenden Jahr ihr europapolitisches Erbe vorzubereiten.

Europapolitische Visionen, wie sie Frankreichs Präsident Macron vorstellt, sind nicht die Sache der Kanzlerin.
Europapolitische Visionen, wie sie Frankreichs Präsident Macron vorstellt, sind nicht die Sache der Kanzlerin.
© REUTERS

Jana Puglierin vom „European Council on Foreign Relations“ glaubt allerdings nicht an die Deutung, als sei für Merkel jetzt der Moment gekommen, auf den sie jahrelang gewartet habe, um ihre europapolitische Vision zu verwirklichen. „Hätte sie diese europapolitische Vision gehabt, dann hätten wir in den letzten 15 Jahren etwas davon gesehen“, so Puglierin. Vielmehr sei es der Kanzlerin stets in erster Linie darum gegangen, weitere Spaltungen in der EU zu verhindern. So sei es auch jetzt bei der Diskussion um den Wiederaufbaufonds.

Andere wie Finanzminister Olaf Scholz (SPD) sehen das anders. Als Merkel und Macron im Mai ihren Plan für den Wiederaufbaufonds vorstellten, sprach Scholz von einem „Hamilton-Moment“. Der frühere US-Finanzminister Alexander Hamilton hatte im 18. Jahrhundert beschlossen, auf US-Bundesebene gemeinsame Schulden aufzunehmen – ähnlich wie die EU-Kommission jetzt für das Wiederaufbauprogramm Anleihen für die gesamte EU in Milliardenhöhe am Markt platzieren soll.

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Doch Merkel ist eine derartige Betrachtungsweise, der zufolge vom Wiederaufbauprogramm ein gewaltiger Integrationsschub für die EU ausgehen soll, fremd. Nach der Einschätzung von Jana Puglierin wäre schon viel erreicht, wenn der EU eine Einigung auf das Wiederaufbauprogramm gelänge. Ein groß angelegter Umbau der Euro-Zone, wie ihn Macron immer wieder gefordert hat, sei hingegen nicht das Ziel der Pragmatikerin Merkel. „Es geht Merkel nicht um ihren persönlichen Platz in den Geschichtsbüchern“, so Puglierin.

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