Fall „NSU 2.0“: Mihalic: „Der Verfassungsschutz liefert nicht“
Die Grünen-Innenpolitikerin Mihalic kritisiert angesichts des Frankfurter Polizeiskandals, die Sicherheitsbehörden hätten aus dem NSU noch nicht genug gelernt.
Frau Mihalic, die Frankfurter Polizei wird erschüttert vom Fall „NSU 2.0“. Sie sind selbst Polizistin. Wie anfällig sind Sicherheitsbehörden für Rechtsextremismus?
Ich will keine pauschale Anfälligkeit unterstellen. Aber wenn man sich anschaut, wer Polizist werden möchte, dann sind konservativ eingestellte Menschen sicher leicht überrepräsentiert. Wenn die Frustrationserfahrungen machen, wenn sich bei ihnen während ihrer Arbeit in schwierigen Milieus das Gefühl eines staatlichen Kontrollverlustes breit macht – dann kann sich eine Anfälligkeit ergeben für vermeintlich einfache Botschaften von Rechtspopulisten.
Glauben Sie, dass die Frankfurter Polizisten Teil eines größeren Netzwerks sind – also nur die Spitze des Eisbergs?
Es ist zumindest möglich. Das muss kein Netzwerk innerhalb der Polizei sein. Aus meiner Sicht wahrscheinlicher ist, dass es rechtsextreme Gruppierungen gibt, die Beamten aus Sicherheitsbehörden in ihren Reihen haben oder mit ihnen in Kontakt stehen. Diese Beamten haben Zugang zu Daten, die sehr nützlich für rechtsextremistische Kreise sind, um Tatplanungen zu verwirklichen. Das betrifft beispielsweise Adressen aus den Melderegistern. Aber auch der Zugang zu Waffen über die Sicherheitsbehörden kann für Rechtsextremisten interessant sein.
In den vergangenen Wochen gab es auch beunruhigende Berichte über ein rechtes Netzwerk innerhalb der Bundeswehr – Sicherheitsexperten vermuten eine Verbindung zum Frankfurter Fall. Müssen wir eine Unterwanderung des Rechtsstaats fürchten?
Diese Frage stelle ich mir auch. Um sie zu beantworten, müssen wir wissen: Welche rechtsextremistischen Netzwerke in Deutschland nutzen ihre Zugänge zu Sicherheitsbehörden für die Verwirklichung ihrer Pläne? Wer kooperiert mit wem? Welche personellen Überschneidungen gibt es? Der Verfassungsschutz müsste das klären, aber wir haben an dieser Stelle seit eh und je eine eklatante Analyseschwäche. Hier sind die Lehren aus dem NSU noch nicht gezogen. Der Verfassungsschutz hat einen starken Personalaufwuchs, aber er liefert nicht. So oft wie bei rechtsextremen Vorgängen von Einzelfällen die Rede ist, muss man den Verdacht bekommen, dass es sich in Wirklichkeit um ein Netzwerk handelt. Meine Vermutung ist aber: Solange das keine Organisation ist, die Mitgliedsausweise verteilt, sieht es niemand.
Wie lässt sich gegen rechtsextreme Umtriebe in Sicherheitsbehörden vorgehen?
Man kann versuchen, Polizisten durch Fortbildungen noch besser auf ihren Dienst in Milieus am Rande der Gesellschaft vorzubereiten – damit dieses Frustrationsgefühl nicht aufkommt. Es wäre auch gut, wenn Beamte nicht über Jahre hinweg im selben schwierigen Umfeld unterwegs sind. Aber es gibt natürlich Leute, die so stark im rechtsextremen Milieu verwurzelt sind, dass man mit Fortbildungen nicht weiterkommt. Hier muss man beamtenrechtlich vorgehen: Solche Leute haben im Polizeidienst nicht verloren.
Was kann die Politik tun?
Wir müssen frühzeitig beunruhigende Entwicklungen erkennen. Deswegen fordern wir schon länger einen Polizeibeauftragten analog zum Wehrbeauftragten. Wenn Polizisten Fehlentwicklungen beobachten, könnten sie sich an diese Person wenden. Wir müssen Whistleblowing ermöglichen. Das könnte eine Art Frühwarnsystem sein.
Die Fragen stellte Maria Fiedler.