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Bundeskanzlerin ohne Plan: Angela Merkel will nur moderieren, statt die Koalitionsverhandlungen endlich an sich zu reißen.
© Michael Kappeler/AFP

Jamaika-Verhandlungen: Merkels eklatante Führungsschwäche

Die Kanzlerin muss in den Jamaika-Sondierungen zeigen, wofür sie steht oder fällt, sonst wird diese Koalition niemals zusammenkommen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Alle wussten es – oder sollten zumindest wissen, dass diese Koalitionssondierungen besonders sein würden. Alle, also auch Angela Merkel. Es war ausrechenbar, dass das Zustandebringen dieser Koalition, einer wie keiner zuvor, nicht bloß allen vier mutmaßlichen Partnern viel abverlangen würde. Viel an Geduld und Duldsamkeit, an Kompromissfähigkeit und Kompromisswilligkeit. Sondern, dass es hohen Einsatz erfordern würde, das Bündnis, ob Jamaika oder Schwampel genannt, zueinanderzuführen. Aber genau hier, bei diesem Wort, beim Führen, zeigt sich die eklatante Schwäche – ausgerechnet an der Spitze.

Angela Merkel ist wie nie vorher herausgefordert. Im Herbst ihrer Tage als Bundeskanzlerin müsste sie sich, genauer: muss sie sich umgewöhnen, ja ändern, wenn sie das Amt behalten will. Jetzt hat es schon so viele Gespräche von CDU, CSU, FDP und Grünen gegeben, und immer noch kann keiner sagen, wohin die Reise geht. Weil Merkel vor allem solche Sachen sagt: Alle müssen sich anstrengen.

Das ärgert nicht allein Grüne oder Freidemokraten, das ärgert allmählich außerdem ihre eigenen Leute. Und das zu Recht. Mit dem Abhaken von Spiegelstrichen ist es hier nicht mehr getan. Genauso wenig mit dem Abwarten wie in früheren Zeiten, bis sich die Konkurrenten selbst zerlegen und Merkel dann die Teile zusammensetzt, wie es ihr gefällt. Die ständige Moderation unter Preisgabe oder sogar Verheimlichung der eigenen Position ist auch keine Option.

Denn so ganz allmählich werden ihre Hinterlassenschaften absehbar. Nur ein Beispiel, ein großes allerdings: dass beispielsweise die Klimaziele, die seit Jahren nicht zuletzt Merkels Klimaziele sind, dramatisch verfehlt werden, ist klar. Aber anstatt jetzt ehrlich an dieses heiße Thema heranzugehen und entschlossen neue Politik zu machen, fürs Klima, für die Gesellschaft, für die Industrie, lässt sich die Kanzlerin nicht darauf ein. Als hätte sie mit nichts etwas zu tun. Außer, aber das gewiss, mit der Macht.

Wer dieser Tage die Unterhändler hört, der merkt, dass es ernst ist. Anders gesagt: Jamaika rückt nicht näher, vielmehr entfernt es sich mit jedem Tag mehr, den Merkel unterlässt, was ihres Amtes ist. Diese Koalition kommt doch überhaupt nur zusammen, wenn die Kanzlerin inhaltlich erkennbar wird. Führen heißt, einen Überbau zu schaffen, der erklärt, wozu es diese Koalition überhaupt geben soll und wofür sie als Chefin steht oder fällt. Alle wissen, dass die Antwort darauf über Merkel als Bundeskanzlerin entscheidet. Sie sollte es also auch wissen.

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