Regierungserklärung: Merkel verurteilt Nazi-Vergleiche aus der Türkei
Angela Merkel plädiert für mehr Zusammenhalt in Europa. Die Anschuldigungen türkischer Politiker seien "nicht zu rechtfertigen". Bundestagspräsident Lammert sieht in der Türkei die Entwicklung zu einem autokratischen Staat.
Die Kanzlerin hat dafür plädiert, die Freundschaft mit der Türkei aufrechtzuerhalten. In ihrer Regierungserklärung zu dem am Nachmittag beginnenden Brüsseler EU-Gipfel betonte sie die Wichtigkeit des Flüchtlingsabkommens mit der Türkei. Seit einem Jahr habe die Zahl der Toten massiv abgenommen und seien die Lebensbedingungen der Flüchtlinge in den Unterkünften in der Türkei verbessert worden. Nur mit Vereinbarungen zwischen EU und Herkunfts- und Transitländern könne nachhaltig an den Fluchtursachen vor Ort gearbeitet werden. "Wir sollten niemals vergessen, dass niemand seine Heimat leichtfertig verlässt", so Merkel. Ein Abkommen mit der Türkei sei im Interesse aller: Europas, der Türkei und der Flüchtlinge.
Die Flüchtlingspolitik der EU habe sich ohne Zweifel verbessert. Sie müsse jedoch solidarischer gestaltet und krisenfest gemacht werden. "Vieles liegt immer noch im Argen." Es gebe weiterhin Tote im Mittelmeer, und die Lage der Flüchtlinge in Griechenland sei inakzeptabel. Der Kampf gegen Schleuser habe weiterhin höchste Priorität.
Merkel: Türkei verharmlost Verbrechen der Nazis
Mit wenigen Ländern habe Deutschland eine "so schwierige aber auch vielfältige Verbindungen" wie mit der Türkei. Umso trauriger und deprimierender seien die Äußerungen türkischer Politiker, die Deutschland in die Nähe des Nationalsozialismus rücken. "Es ist so deplatziert, dass man es eigentlich gar nicht kommentieren kann, und ist nicht zu rechtfertigen." Diese Aussagen würden die Verbrechen der Nazis verharmlosen. Diese Vergleiche müssten aufhören, sie seien der Freundschaft mit der Türkei nicht würdig. Gleichzeitig betonte sie, dass man diplomatisch agieren müsse. Niemand könne Interesse daran haben, dass sich ein Nato-Partner weiter entfernt.
Zu dem in der Türkei inhaftierten deutschen Journalisten Deniz Yücel sagte Merkel, die Bundesregierung setze sich mit "aller Macht für die Freilassung" ein. Hinsichtlich der Wahlkampfauftritte von türkischen Politikern in Deutschland zeigte sich die Kanzlerin unschlüssig. Redefreiheit gelte auch für Reden von türkischen Politikern in Deutschland. Diese sollten weiterhin stattfinden, müssten aber vorher angekündigt werden.
Die Kanzlerin richtete auch einige Worte an die in Deutschland lebenden Türken. Diese würden zum "Wohlstand unseres Landes" beitragen. "Sie sind Teil dieses Landes, und innertürkische Konflikte sollen nicht in unser Zusammenleben getragen werden. Lassen Sie uns unser Zusammenleben weiter verbessern. Das ist uns ein Herzensanliegen."
Kanzlerin betont Bedeutung des Freihandels
Merkel machte sich zudem für einen stärken Freihandel stark. Notwendig sei in Europa eine Handelspolitik, die auf freien Handel setze. "Europa darf sich niemals einigeln, abschotten und zurückziehen. Europa muss sich seine Offenheit in der Welt bewahren", sagte Merkel. Europa müsse seine Interessen im Handel entschlossen gegen Protektionismus verteidigen, wo immer dies notwendig sei.
Die Kanzlerin lobte in dem Zusammenhang das Ceta-Freihandelsabkommen mit Kanada. Das Ergebnis könne sich sehen lassen. Auch mit anderen Partnern sollten die Verhandlungen über derlei Abkommen zügig fortgeführt werden. Deutschland sei in besonderer Weise darauf angewiesen, guten Zugang nicht nur zum europäischen Binnenmarkt, sondern auch zu den Weltmärkten zu erhalten.
Lammert sieht Entwicklung zu autokratischem Staat
Vor der Rede der Kanzlerin hatte Bundestagspräsident Norbert Lammert die Türkei vor der „Entwicklung zu einem zunehmend autokratischen Staat“ gewarnt. Ein solcher Staat entferne sich „immer weiter von Europa, seinen Überzeugungen und demokratischen Standards“, sagte der CDU-Politiker.
Lammert betonte mit Blick auf jüngste Äußerungen türkischer Regierungspolitiker über Deutschland: „Wer dieses Land öffentlich verdächtigt, Nazi-Methoden anzuwenden, wenn seine Behörden und gewählten Repräsentanten im Rahmen unserer Verfassungsordnung handeln, disqualifiziert sich selbst.“ Zudem erwarte man „von jeder ausländischen Regierung, und schon gar von jedem Partnerland, dass es die Rechte, die ihre Vertreter bei uns in Anspruch nehmen, auch ihren eigenen Landsleuten zuhause in gleicher Weise garantieren“.
Lammert fügte hinzu: „Hierzulande kann jeder seine Meinung sagen, auch ausländische Gäste. Wir aber auch.“ Deswegen werde Deutschland „gerade auch im Interesse unserer türkischen Mitbürger, die zugleich deutsche Staatsbürger sind“, auf Fehlentwicklungen in der Türkei hinweisen. (mit Reuters)