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Eine kleine Drohung an den griechischen Wähler. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU).
© dpa

Griechenland, Syriza und der Euro: Merkel und Schäuble wollen nur drohen

Die Bundesregierung ändert laut "Spiegel" ihre Haltung zu Griechenland. Danach hält Berlin ein Ausscheiden des Landes aus dem Euro für nahezu unausweichlich, falls Athen seinen Sparkurs aufgibt. Doch man kann auch eine ganz andere Rechnung aufmachen. Ein Kommentar.

Die Angst geht um, dass bei der Wahl am 25. Januar in Griechenland das Linksbündnis Syriza gewinnt und der bisherigen Spar- und Austeritätspolitik ein Ende bereitet. Was wird dann geschehen? Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble halten für diesen Fall einen Austritt Griechenlands aus dem Euro für nahezu unausweichlich, berichtet der "Spiegel". Stimmt das? Oder ist das nur eine Drohung an die griechischen Wähler?

Die "Financial Times" macht in ihrer Ausgabe vom Samstag eine andere Rechnung auf. Danach bestehen auch nach einem Sieg des charismatischen Syriza-Führers Alexis Tsipras sowohl von seiner Seite, als auch von Seiten der EU größere Spielräume für Verhandlungen, die einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone eher unwahrscheinlich machen.

Tsipras lässt keine Gelegenheit aus, lautstark ein Ende der Austerität zu verkünden, für den Fall, dass er die Wahlen gewinnt. Außerdem will er die Schulden des Landes mit den Gläubigern neu verhandeln.

Das Sozialprogramm, das Alexis Tsipras fordert, kostet nur zwei Milliarden Euro

Aber worum geht es dabei wirklich? Tsipras will die "humanitäre Katastrophe" durch die aufgezwungene Austeritätspolitik beenden, indem er ein Sozialprogramm für die Ärmsten der Armen auflegt. So will er die Stromrechnung der ärmsten 300.000 Familien bezahlen - das Land hat 11 Millionen Einwohner - sowie Wohnungszuschüsse für 25.000 arme Familien in Athen leisten und Arbeitslosen einen besseren Zugang zum Gesundheitswesen ermöglichen. Der Umfang dieser mit großem Furor angekündigten zusätzlichen Sozialleistungen beträgt nur zwei Milliarden Euro pro Jahr. Zum Vergleich: Die bisherigen Hilfszahlungen von EU und Internationalem Währungsfonds (IWF) betragen 245 Milliarden Euro.

Tsipras trägt die Forderung nach diesem Zwei-Milliarden-Programm so kämpferisch vor, dass in der Euro-Zone der Eindruck vorherrscht, er wolle jegliche Sparpolitik aufgeben. Das trägt ihm Begeisterung bei den Anhängern ein. Wobei denen möglicherweise nicht klar ist, wie klein seine Forderung ist, bisher hat ihn noch keiner als Blender bezeichnet. Die vergleichsweise geringe Summe für die neuen Sozialprogramme müsste bei anstehenden Verhandlungen Spielräume eröffnen, bei denen beide Seiten ihr Gesicht wahren. EU und IWF könnten sich etwas großzügiger zeigen und Tsipras stände als Sieger da, was den Griechen Genugtuung und Stolz wiedergäbe, ohne dass das viel kostet.

Die zweite Forderung betrifft die Einführung eines Mindestlohns. Der betrifft aber vor allem die heimische Wirtschaft.

Als Drittes möchte Tsipras die Schulden Griechenlands mit den Gläubigern neu verhandeln, um bessere Bedingungen für sein Land herauszuschlagen. Auch hier steht die große öffentliche Geste im Vordergrund. Nach Angaben der "Financial Times" könnten Verhandlungen ergeben, dass Details beim Schuldendienst geändert werden, ohne ihn selber infrage zu stellen. So wäre eine Verlängerung eines Schuldendienstes denkbar, was die jährlichen Zinszahlungen schmälern würde. Beide Seiten könnten sich hinterher zum Sieger erklären. Tsipras kann einen neuen Schuldenvertrag verkünden, den er tapfer erfochten hat und die Bundesregierung kann ihren Wählern erklären, dass es keinen Schuldenschnitt gegeben habe.

Ein Hinweis darauf, dass eine Syriza-geführte Regierung in Athen kein Drama sein wird, ist die Reaktion der Börsen auf die Nachricht, dass es in Griechenland Neuwahlen geben werde und eine Syriza-Regierung drohe: Die Märkte reagierten darauf überhaupt nicht.

Was wäre der schlimmste anzunehmende Fall?

Da jede Zukunft ungewiss ist, müssen dennoch die Folgen eines schlimmsten Falles erwogen werden, auch wenn er unwahrscheinlich ist. Auch dazu hat die Bundesregierung eine klare Haltung, wie der "Spiegel" berichtet. Merkel und Schäuble hielten ein Ausscheiden des Krisenlandes aus der Währungsgemeinschaft inzwischen für verkraftbar, berichtet der "Spiegel“ unter Berufung auf Regierungskreise. Grund für diese Einschätzung seien Fortschritte, die die Eurozone seit dem Krisenhöhepunkt 2012 gemacht habe. Dazu zähle der Europäische Stabilitäts-Mechanismus (ESM), über den Staaten im Notfall mit bis zu 500 Milliarden Euro gerettet werden können.

Es gibt einen weiteren Punkt, den die Bundesregierung ungern betont. Die Europäische Zentralbank (EZB) steht jederzeit bereit, im Notfall Staatsanleihen gefährdeter Euroländer in unbegrenzter Höhe aufzukaufen, sollte wider Erwarten eine Griechenlandkrise andere Märkte anstecken.

Sollte alles gut gehen, Alexis Tsipras mit seinen kleinen Forderungen als Sieger dastehen und die Griechen damit Genugtuung nach langer Schmach erfahren und gleichzeitig alle Seiten einen Kompromiss erzielen, der die bisherigen Erfolge der Austeritätspolitik weiterführt, dann würde der seltene Fall eintreten, dass es eines Blenders bedurfte, um etwas Gutes zu Ende zu bringen.

Dafür braucht es zunächst aber auch die andere Seite, die ebenfalls laut in Stellung geht. So gesehen wäre die jetzige Drohung der Bundesregierung an die griechischen Wähler die dröhnende Einleitung des kommenden Geschachers, an dessen Ende alles gut werden soll.

Andreas Oswald

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