In Griechenland wird neu gewählt: Radikale Linke sieht ihre Stunde gekommen
Die gescheiterte Präsidentschaftswahl in Griechenland ist ein Triumph für die radikale Linke. Sie hofft, aus Neuwahlen als Sieger hervorzugehen. Wie geht es nun weiter?
Am Ende fehlten ihm zwölf Stimmen. Lediglich 168 Abgeordnete hatten im dritten Wahlgang am Montagmittag für den Präsidentschaftskandidaten Stavros Dimas gestimmt. Nach der damit gescheiterten Präsidentenkür steht Griechenland nun vor Neuwahlen. Der Urnengang am 25. Januar könnte zu einer folgenschweren Weichenstellung werden – falls in Athen das Bündnis der radikalen Linken (Syriza) die Macht übernimmt.
Wie wahrscheinlich ist es, dass Syriza die nächste Regierung bilden wird?
Aktuell lassen die Meinungsumfragen einen Syriza-Wahlsieg erwarten. In jüngsten Befragungen schrumpft der Vorsprung allerdings. In einer am Sonntag veröffentlichten Umfrage liegt Syriza nur noch 2,5 Prozentpunkte vor der konservativen Nea Dimokratia von Ministerpräsident Antonis Samaras. Dass Tsipras eine absolute Mehrheit im nächsten Parlament gewinnt, ist unwahrscheinlich. Koalitionsverhandlungen wären die Folge, möglicherweise ein weiterer Urnengang im Frühjahr.
Was will Syriza?
Syriza ist ein Sammelbecken von rund einem Dutzend Gruppierungen. Das Spektrum reicht von Linkssozialisten über Trotzkisten, Marxisten, Maoisten und Altkommunisten bis hin zu Extremisten, die Gewalt als ein legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung betrachten. Der linksextremistische Syriza-Flügel, der etwa 30 bis 40 Prozent des Bündnisses repräsentiert, propagiert offen den Abschied vom Euro sowie den Austritt Griechenlands aus EU und Nato.
Je näher die Wahl rückt, desto unklarer werden die Auskünfte von Syriza-Chef Alexis Tsipras über seine politischen Pläne. Mal will er die Kreditverträge mit der EU und dem Internationalen Währungsfonds „zerreißen“, dann spricht er von „Verhandlungen“. Zugleich kündigt Syriza-Fraktionschef Panagiotis Kourouplis einen einseitigen Schuldenschnitt von massiven 70 Prozent an, was eine Insolvenz des griechischen Staates bedeuten würde. Tsipras gelobt einerseits, Griechenland in der Euro-Zone halten zu wollen. Andererseits sagt er, der Euro sei „kein Fetisch“. Er will Privatisierungen strategisch wichtiger Unternehmen rückgängig machen – wie, lässt er offen.
Was passiert jetzt mit den Troika-Geldern?
Vor allem wirtschaftlich könnte sich die Unsicherheit der kommenden Wochen negativ für die Griechen auswirken. Griechenland erwartet von der EU und vom IWF insgesamt noch 7,1 Milliarden Euro. Diese Gelder hätten schon im Herbst auszahlt werden sollen, werden aber zurückgehalten, solange die Troika-Verhandlungen nicht abgeschlossen sind.
Nachdem Anfang Dezember absehbar wurde, dass die Troika-Gespräche nicht rechtzeitig bis zum Jahresende abgeschlossen werden können, einigten sich Griechenland und die Euro-Finanzminister darauf, das Hilfsprogramm um zwei Monate zu verlängern. Damit ist der 28. Februar die neue Deadline für eine erfolgreichen Abschluss der Troika-Verhandlungen. Sie können allerdings erst wieder aufgenommen werden, wenn in Athen die Neuwahlen stattgefunden haben und eine neue Regierung gebildet ist.
Die wird unter einem extremen Zeitdruck stehen. Denn kommt es bis Ende Februar nicht zu einer Einigung oder einer nochmaligen Verlängerung des Programms, hängt Griechenland in der Luft. Dann verfallen auch weitere EU-Kredite und Griechenland droht der Bankrott.
Wie reagieren Politiker in der EU auf die anstehenden Neuwahlen?
Die Brüsseler EU-Kommission fordert in einer ersten Reaktion weitere Reformen. „Ein starkes Bekenntnis zu Europa und breite Zustimmung unter den griechischen Wählern und politischen Führungspersönlichkeiten für den nötigen wachstumsfreundlichen Reformprozess“ sei entscheidend, damit Griechenland „wieder innerhalb der Euro-Zone florieren“ könne, teilte EU-Wirtschafts- und -Finanzkommissar Pierre Moscovici mit. Die EU-Kommission gehört mit dem Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Zentralbank zur Troika der internationalen Geldgeber in Griechenland.
Der CSU-Finanzpolitiker Hans Michelbach kritisierte die fehlende Unterstützung für Dimas im Parlament scharf. „Mit ihrem Verhalten drohen die Parlamentarier das Land gegen die Wand zu fahren“, sagte Michelbach dem Tagesspiegel. In Athen herrsche offenbar „weiter der Irrglaube, man müsse sich nur lange genug notwendigen Reformen verweigern, dann würden die Partner schon zahlen“. Michelbach sprach sich aber gegen ein Entgegenkommen der Euro-Partner aus. „Griechenland kann keinen weiteren Rabatt erwarten“, sagte der CSU-Politiker.
Der SPD-Fraktionsvize Carsten Schneider sagte dem Tagesspiegel, die griechische Bevölkerung habe „nun ihr Schicksal selbst in der Hand“ und werde „souverän über den künftigen Kurs des Landes entscheiden“. Allerdings müsse sich auch jede neue Regierung der Realität stellen. Ohne Hilfe von außen sei Hellas angesichts des Schuldenstandes „nicht handlungsfähig“, fügte der SPD-Politiker hinzu. „Die Verhandlungen mit der Troika werden deshalb weitergehen, andernfalls wäre das Land bald zahlungsunfähig.“ Zwar sei bei der Umsetzung der Reformen schon viel erreicht worden, aber beispielsweise im Steuervollzug oder bei der Modernisierung der Verwaltung bestünden weiterhin große Aufgaben.
Droht eine Rückkehr der Euro-Krise?
„Der Gedanke an eine Staatspleite in Griechenland hat für die Partner und die Finanzmärkte längst ihren Schrecken verloren. Deshalb sind auch keine negativen Rückwirkungen auf die gesamte Euro- Zone zu erwarten“, sagte der CSU-Abgeordnete Michelbach. „Leidtragende eines Staatsbankrotts werden die Menschen in Griechenland sein.“
Nach der Ansicht von Grégory Claeys vom Brüsseler Thinktank Bruegel ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass Griechenland unter Syriza aus dem Euro austritt, „ziemlich gering“. „Die Syriza will, dass Griechenland in der Euro-Zone bleibt, aber nicht um jeden Preis“, beschreibt Claeys den europapolitischen Standpunkt der griechischen Linkspartei.
Sollte es aber dazu kommen, dass Tsipras im Falle eines Staatsbankrotts Drachmen drucken lässt, wäre nach der Einschätzung von Claeys eine neuerliche Spekulation an den Finanzmärkten gegen andere Krisenländer nicht auszuschließen. Als Wackelkandidat würde in diesem Krisenszenario vor allem Italien gelten, dessen Gesamtverschuldung inzwischen auf 133 Prozent der Wirtschaftsleistung angewachsen ist. Frankreich dagegen, immerhin mit einer bis 2015 prognostizierten Gesamtverschuldung von 96,6 Prozent, dürfte Spekulationsangriffe angesichts der niedrigen Zinsen für seine Staatsanleihen leichter abwehren können als Italien.
Was bedeutet dies für den Reformkurs in Ländern wie Frankreich und Italien?
Dass ein Reformstillstand in Griechenland auch für die Gegner des Sparkurses in Frankreich und Italien politische Munition liefern könnte, hält der Experte Claeys für unwahrscheinlich. „In Italien und Frankreich werden Reformen nicht den EU-Partnern zuliebe durchgeführt, sondern im eigenen Interesse“, sagt Claeys. Frankreichs Premierminister Manuel Valls machte am Montag in der spanischen Zeitung „El Mundo“ deutlich, dass er auf Reformkurs bleiben will. Die Franzosen würden wohl noch auf Jahre hinaus Einbußen hinnehmen müssen, sagte er.