Antrittsbesuch in Paris: Merkel und Macron wollen Plan zur EU-Reform bis Juni
Binnen weniger Monate wollen Berlin und Paris einen Fahrplan zur Reform der EU vorlegen. Kanzlerin Merkel zeigt sich zuversichtlich, dass eine Verständigung gelingt.
Rein formal handelte es sich um einen Antrittsbesuch, den Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Freitagabend dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron in Paris abstattete. Aber tatsächlich wurde aus Merkels erstem Auslandsbesuch nach ihrer Vereidigung keine protokollarische Angelegenheit, sondern eine Arbeitssitzung.
Das Thema, das Merkel und Macron im Elysée-Palast unter anderem besprachen, ist den beiden schon bestens bekannt: die weitere Entwicklung der Euro-Zone. Wie die Reform des gemeinsamen Währungsraums aussehen soll, soll sich nun in den kommenden drei Monaten in der Diskussion zwischen Deutschland und Frankreich bis zum entscheidenden EU-Gipfel Ende Juni herausstellen.
Macron erinnert an seine Vorschläge
„In den drei kommenden Monaten haben wir viel zu tun“, sagte Macron bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Merkel im Elysée-Palast. Dabei gehe es auch um die mittel- und langfristige Entwicklung der EU, sagte Macron.
Macron erklärte, dass Deutschland über viele Jahre hinweg darauf gewartet habe, dass Frankreich Reformen anpackt. Diese Reformen seien in den vergangenen Monaten eingeleitet worden, "und wir werden sie weiter umsetzen", sagte der Präsident weiter. Macron erinnerte daran, dass er vor einem halben Jahr weit gehende Vorschläge zur Erneuerung der EU gemacht habe.
Es sei jetzt die Aufgabe Deutschlands und Frankreichs, bis Juni für "Verantwortlichkeit und Solidarität" in der Euro-Zone zu sorgen. Als weitere Aufgabenbereiche für eine "Neugründung" der EU nannte Macron die EU-Verteidigungs- sowie die Flüchtlingspolitik. Er kündigte an, dass Deutschland und Frankreich bis zum Juni einen "klaren und ehrgeizigen Fahrplan" zur EU-Reform vorlegen werden.
Pariser Ideenfeuerwerk zur Neugestaltung der EU
Merkel zeigte sich zuversichtlich, dass beide Länder bei der Reform der EU vorangehen könnten. „Wir wollen jetzt gemeinsame Wege finden. Das ist in der Geschichte zwischen Deutschland und Frankreich immer dann von Erfolg gekrönt gewesen, wenn man auch ehrlich und hart arbeitet", sagte die Kanzlerin.
Noch im August des vergangenen Jahres hatte Frankreichs Staatschef in einem Interview mit dem Magazin „Le Point“ ein Budget von „mehreren Prozentpunkten des Bruttoinlandsprodukts der Euro-Zone“ für die 19 Länder mit der Gemeinschaftswährung vorgeschlagen. Wenige Tage später forderte er in Athen eine europaweite Debatte über die Zukunft der Europäischen Union.
Und bei seiner Rede in der Pariser Sorbonne-Universität feuerte der Gründer der Bewegung „En Marche“ („In Bewegung“) kurz nach der Bundestagswahl ein wahres Ideenfeuerwerk zur Neugestaltung der EU ab – inklusive der Schaffung einer EU-Eingreiftruppe bis zum Jahr 2020.
Doch Macron hing mit seinen Plänen in der Luft, solange Merkel noch keine Regierung gebildet hatte. Als geschäftsführende Kanzlerin konnte sie keine handfesten Zusagen liefern. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Europapolitik im Koalitionsvertrag eine prominente Stellung einnimmt.
Aus Macrons Sicht lief es in den letzten Monaten nicht gut
Aus Macrons Sicht ist die Diskussion um die Weiterentwicklung der Euro-Zone in den letzten Monaten nicht allzu gut gelaufen. Denn während sich in Berlin Union und SPD in einem quälenden Prozess auf eine Neuauflage der großen Koalition verständigten, entwickelte sich die Diskussion an anderer Stelle weiter. In Brüssel legte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker Anfang Dezember ein Reformpaket vor, das alles andere als im Sinne des Elysée-Palastes war.
Juncker schlug zwar vor, künftig im EU-Haushalt eine Budgetlinie für die Euro-Länder vorzusehen. Ein großzügiges eigenes Budget für die Euro-Zone, wie es der französische Präsident noch im vergangenen Jahr vorgeschlagen hatte, taucht in den Vorschlägen des Kommissionspräsidenten allerdings nicht auf. Auch von einem eigenen Parlament für die Länder mit der Gemeinschaftswährung, wie es Frankreichs Staatschef noch im vergangenen Jahr ins Gespräch gebracht hatte, ist heute keine Rede mehr.
Auch Finanzminister Scholz stattet seinen Antrittsbesuch in Paris ab
Ebenfalls am Freitag stattete der neue Finanzminister Olaf Scholz seinen Antrittsbesuch in der französischen Hauptstadt ab. Vor dem Treffen zwischen Merkel und dem französischen Präsidenten kamen Scholz und sein französischer Amtskollege Bruno Le Maire zu einer seperaten Begegnung zusammen. Anschließend erklärte Scholz, dass man bei Themen wie der Bankenunion vorankommen müsse. Macron erwartet, dass es beim EU-Gipfel im Juni einen Durchbruch bei der Bankenunion gibt.
Allerdings bereitet die dabei vorgesehene gemeinsame europäische Einlagensicherung vor allem den Geldhäusern in Deutschland Kopfzerbrechen. Sparkassen und Genossenschaftsbanken befürchten, dass deutsche Einlagen zur Stabilisierung schwacher Finanzinstitute an anderen Ländern der Euro-Zone herangezogen werden könnten. Die Bundeskanzlerin bekennt sich zwar im Grundsatz zur Bankenunion, möchte aber zunächst einen weiteren Abbau der Risiken nationaler Banken in der EU sehen. Wie auch Macron kündigte Frankreichs Finanzminister Le Maire nach der Begegnung mit Scholz an, dass er gemeinsam mit seinem deutschen Ressortkollegen bis zum EU-Gipfel Ende Juni einen Plan zur Reform der Euro-Zone vorlegen wolle.
Dass Merkel und Scholz am selben Tag nach Paris reisen, dürfte in der französischen Hauptstadt durchaus als ein Signal verstanden werden: Die CDU-Kanzlerin und der SPD-Finanzminister wollen sich bis auf Weiteres in der Frage, inwieweit sie Macron bei seinen Reformwünschen entgegenkommen möchten, nicht auseinanderdividieren lassen.
Merkel muss skeptische Unions-Abgeordnete im Auge behalten
Bereits am vergangenen Montag hatte Scholz in seiner Rolle als kommissarischer SPD-Chef bei der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages erklärt, dass die SPD „Schritt für Schritt“ vorgehen wolle, wenn es um die Schaffung größerer sozialer Gerechtigkeit in Deutschland gehe. Wenn man Merkels und Scholz’ „Schritt-für Schritt“-Ansatz auf die Europapolitik münzt, dann wird klar, dass sie große europapolitische Umwälzungen à la Macron nicht planen.
Das hat seinen Grund: Während Macron nicht befürchten muss, dass ihm die Nationalversammlung bei der EU-Politik in die Quere kommt, muss vor allem Merkel skeptische Unionsabgeordnete im Bundestag im Auge behalten. Unter einer großen Minderheit von Parlamentariern der CDU/CSU grassiert nämlich die Angst, Macrons Pläne zur Reform der Euro-Zone könnten in eine „Transferunion“ münden.