Neuer Fraktionschef der Sozialdemokraten im EU-Parlament: "Merkel sollte einen klaren Kurs einschlagen"
Der neue Fraktionschef der Sozialdemokraten im EU-Parlament, der SPD-Mann Udo Bullmann, wirft Kanzlerin Angela Merkel vor, sich bislang in der Europapolitik "nicht übertrieben engagiert zu Wort gemeldet" zu haben.
Herr Bullmann, Ihr Vorgänger im Amt des Vorsitzenden der sozialdemokratischen Fraktion im Straßburger Europaparlament, Gianni Pittella, ist Anfang des Monates für die italienischen Sozialdemokraten in den Senat in Rom eingezogen. Gepunktet haben bei der Parlaments- und Senatswahl in Italien aber nicht die Sozialdemokraten, sondern die rechtsextreme Lega-Partei. Welche Schlüsse ziehen Sie aus der Wahl?
Die Lehre lautet: Wir müssen in Europa mit seinem riesigen Binnenmarkt auch liefern, wenn es darum geht, die Lebensbedingungen aller Menschen zu verbessern.
Also soll Kanzlerin Merkel Frankreichs Staatschef Macron bei seinem Vorhaben unterstützen, die Euro-Zone zu stärken?
Die SPD und die Union haben mit der Stärkung der Euro-Zone ein wichtiges gemeinsames Projekt. Das ist ein wesentlicher Grund, warum die Menschen in Europa darauf gewartet haben, dass die Sozialdemokraten in Berlin Verantwortung übernehmen. Uns traut man das Engagement zu, um die europäische Wirtschaft auch morgen zu sichern. Das war in der Vergangenheit bei Merkel nicht immer der Fall – beispielsweise als es in der schwarz-gelben Koalition keine eindeutigen Mehrheiten im Bundestag für eine europafreundliche Politik gab.
Lässt die Kanzlerin in der Europapolitik eine klare Vision vermissen?
Merkel sollte endlich einmal einen klaren Kurs in der Europapolitik einschlagen. In der Vergangenheit hat sie sich in der Europapolitik nicht übertrieben engagiert zu Wort gemeldet. Den Stift hat in der letzten großen Koalition im Wesentlichen Herr Schäuble geführt – nicht immer mit glücklichem Ausgang. Ich erinnere nur an den Zickzack-Kurs in der Griechenland-Politik. Ich denke, es braucht Sozialdemokraten, um die deutsche Regierung europatauglich zu machen.
Apropos: Was halten Sie eigentlich von der Berufung des Goldman-Sachs-Mannes Jörg Kukies zum Staatssekretär im SPD-geführten Finanzministerium?
Ich traue Olaf Scholz Überblick zu und auch Sachverstand bei der Rekrutierung seines Personals. Wir werden mit dem neuen Finanzminister eine gedeihliche Zusammenarbeit haben. Ich weiß, dass Olaf Scholz und damit auch diejenigen, die für ihn arbeiten, mit hoher Professionalität zu Werke gehen.
Viele sehen im französischen Präsidenten Macron schon eine neue europäische Führungsfigur. Stimmen Sie zu?
Es gibt auch Punkte in Macrons Europapolitik, die kritikwürdig sind. Mir fällt beispielsweise auf, dass Macron – anders als die europäischen Sozialdemokraten – keine Spitzenkandidaten für die Europawahl will. Dahinter stehen auch taktische Interessen: Macron will keine Spitzenkandidaten, weil er bislang nicht in der Lage war, für seine Partei eine geeignete Person zu präsentieren. Man darf aber den europäischen Souverän – also die Bürger – nicht an der Nase herumführen.
Bei der Europawahl im Mai 2019 dürfte wohl eine Reihe von Abgeordneten von Macrons Regierungspartei „La République en Marche“ ins EU-Parlament einziehen – und voraussichtlich die Fraktion der Sozialdemokraten weiter dezimieren.
Ich erlebe die Sozialdemokratie als eine lebendige Parteienfamilie, die mit einer attraktiven Formation in den Europawahlkampf ziehen wird. Ich rechne damit, dass unser Programm, das unter anderem auf die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und auf Zukunftschancen für alle zielt, gerade junge Menschen ansprechen wird. Ich setze außerdem darauf, dass wir unseren Europawahlkampf gewissermaßen nicht von oben herab führen – sondern dass wir Europa in einer Sprache und mit Begriffen erklären, die jeder versteht.
Das Gespräch führte Albrecht Meier.