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Der ungarische Premierminister Viktor Orban.
© imago images/Belga

Ungarn und Polen blockieren Corona-Fonds: Merkel muss Orban die Grenzen aufzeigen

Vor allem Ungarns Regierungschef Orban hat sich im Brüsseler Machtkampf ins Abseits gestellt. Das muss ihm Kanzlerin Merkel deutlich machen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albrecht Meier

Viktor Orban und Mateusz Morawiecki haben die EU mit ihrem Veto in eine schwere Krise gestürzt. Das milliardenschwere Corona-Hilfsprogramm für die EU-Staaten droht zu platzen, weil die Regierungschefs aus Ungarn und Polen sich von Brüssel keine Vorschriften zur Rechtsstaatlichkeit machen lassen wollen. Damit steht ein mühsam ausgehandelter Kompromiss, der erstmals in der Geschichte der Gemeinschaft die Aufnahme von Schulden durch die EU im großen Stil sowie Hilfen für Länder wie Italien und Spanien vorsah, wieder auf der Kippe.

Orban gilt als treibende Kraft

Als treibende Kraft bei dem ungarisch-polnischen Veto gegen das künftige EU-Finanzpaket gilt Orban. Dem Autokraten aus Budapest geht es in erster Linie darum, die Brüsseler Planungen für den Rechtsstaats-Mechanismus vor die Wand fahren zu lassen. Nach gegenwärtigem Stand müssen Rechtsstaats-Sünder wie Ungarn und Polen damit rechnen, dass ihre EU-Subventionen in Zukunft gekürzt werden, wenn sie nicht – eigentlich selbstverständliche – Standards wie die Unabhängigkeit der Gerichte einhalten.

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Offenbar will Orban mit dem Veto die Gesetzgeber in Brüssel zwingen, noch einmal Hand an den Rechtsstaats-Mechanismus zu legen und diesen bis zur Unkenntlichkeit zu verwässern. Dabei spielt er ein perfides Spiel: Ungarns Regierungschef scheint davon auszugehen, dass das Europaparlament am Ende schon in seinem Sinne beidrehen werde, um die Corona-Hilfen für Italien und Spanien nicht zu gefährden. Schließlich war es vor allem das Europaparlament gewesen, das beim Gesetzgebungsverfahren gemeinsam mit Ländern wie den Niederlanden und Belgien auf ein möglichst striktes Verfahren gepocht hat, wenn es um die künftige Kürzung von EU-Geldern bei Verstößen gegen die Grundregeln der Gewaltenteilung geht.

Orban nimmt die gesamte EU in Geiselhaft

Offenbar zielt das Kalkül des ungarischen Regierungschefs darauf ab, die europäischen Gesetzgeber in ein Dilemma zu stürzen. Sie sollen sich wohl aus seiner Sicht entscheiden, was ihnen wichtiger ist - die länderübergreifende Anwendung allgemeingültiger Rechtsstaats-Standards oder die zusätzlichen Milliardenhilfen, die vor allem im Süden dringend benötigt werden. Damit nimmt der Ministerpräsident die gesamte EU in Geiselhaft.

Spätestens bei der Videokonferenz der Staats- und Regierungschefs der EU an diesem Donnerstag dürfte Orban aber klar werden, dass er selbst nun in der Gemeinschaft am Pranger steht. Er scheut sich nicht, die EU mitten in der Pandemie ins Chaos zu stürzen. Ungarns Regierungschef, sekundiert von seinem polnischen Amtskollegen, will es in der Auseinandersetzung um die Grundwerte der EU auf eine brutale Machtprobe mit seinen Gegnern in der Gemeinschaft ankommen lassen. Ein derartiger nationalstaatlicher Egoismus ist an Unverantwortlichkeit nicht mehr zu überbieten.

Das Verhaltens des ungarischen Premiers darf in der EU nicht Schule machen

Mittendrin in diesem Machtkampf steht Bundeskanzlerin Angela Merkel, in deren Händen gegenwärtig die EU-Ratspräsidentschaft liegt. Es war richtig, dass der deutsche EU-Vorsitz sich entschlossen hat, Ungarn und Polen nach der Einigung der Brüsseler Gesetzgeber – EU-Parlament, Mitgliedstaaten und Kommission – Farbe bekennen zu lassen. Nun muss Merkel aber auch den zweiten Schritt tun: Sie muss in aller Klarheit deutlich machen, dass sich beide Länder in der Gemeinschaft ins Abseits gestellt haben.

Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn hat vor vier Jahren gesagt, dass Ungarn angesichts des unsolidarischen Verhaltens in der Flüchtlingspolitik heute keine Chance mehr hätte, EU-Mitglied zu werden. Ein Suspendierung der ungarischen EU-Mitgliedschaft ist zwar nach Lage der Dinge nicht denkbar. Aber andererseits muss sich die Gemeinschaft schon auch die Frage stellen, was von ihr in fünf oder zehn Jahre noch übrig bleibt, wenn Orbans Beispiel Schule macht.

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