EU-Gipfel: Merkel gegen Kurswechsel in der EU-Asylpolitik
Die Kanzlerin ist gegen den Vorstoß Österreichs für eine „verpflichtende Solidarität“. Emmanuel Macron bevorzugt beim Brexit keinen Deal vor einem schlechten.
Bundeskanzlerin Angela Merkel ist dagegen, in der EU-Asylpolitik das Ziel einer verpflichtenden Umverteilung von Flüchtlingen auf die Mitgliedstaaten endgültig aufzugeben. Das österreichische Konzept einer „verpflichtenden Solidarität“ sei ein bisschen zu einfach, sagte die CDU-Chefin am Donnerstag zum Abschluss des EU-Gipfels in Brüssel. Dann könnte sich jeder EU-Staat aussuchen, in welcher Weise er sich in der Migrationspolitik engagieren wolle. Die Hauptankunftsstaaten wie Italien würden alleine gelassen, warnte Merkel.
Sie wandte sich damit gegen einen Vorstoß des österreichischen Kanzlers Sebastian Kurz. Dieser hatte eine „verpflichtende Solidarität“ in der EU vorgeschlagen, derzufolge jedes EU-Land beim Thema Migration einen Beitrag leisten müsse, dieser Beitrag aber unterschiedlich sein könne.
Merkel äußerte die Meinung, „dass wir weiter an diesem Werkstück noch arbeiten müssen“. In die Gipfelbeschlüsse ging Kurz' Vorschlag nicht ein. Sie bekräftigten einige konsensfähige Punkte wie den Kampf gegen Menschenschlepper und verstärkte Abschiebungen. Einig waren sich die EU-Staaten darin, dass sich die Gemeinschaft besser gegen Cyber-Attacken und Angriffe mit Chemiewaffen wappnen müsse.
Merkel zu Italiens Defizit: EU-Kommission ist zuständig
In der Debatte über das italienische Haushaltsdefizit verwies die Kanzlerin auf die Zuständigkeit der EU-Kommission. „Die Kommission ist der Ansprechpartner“, sagte sie am Donnerstag nach dem EU-Gipfel in Brüssel. Notwendig sei jetzt ein „redlicher und guter Dialog“ - und sie hoffe auf ein gutes Ergebnis. Die EU-Kommission hat das geplante Defizit von 2,4 Prozent im italienischen Haushaltsentwurf bereits deutlich kritisiert.
Merkel sagte weiter, bei einem Treffen am Mittwoch habe ihr Conte die von der Regierung in Rom geplanten Reformen erläutert, etwa zur Bekämpfung der Korruption und zur Schaffung transparenter Stukturen in der Verwaltung. Dies seien gute Ansätze, die für Italien sehr hilfreich sein könnten.
Zuvor hatte Conte aus dem Gespräch mit Merkel berichtet, die Kanzlerin habe sich „sehr beeindruckt“ von den in Rom geplanten Strukturreformen gezeigt. Beide seien sich einig gewesen, dass es über die Haushaltspläne seines Landes einen „konstruktiven Dialog“ geben müsse. „Wir werden natürlich auf die kritischen Einwände antworten“, sagte Conte.
EU macht Italien schwere Vorwürfe
Die Europäische Union wirft Italien eine "beispiellose" Abweichung von den europäischen Haushaltsregeln vor. Das ging am Donnerstag aus einem Brief der EU-Kommission an die italienische Regierung hervor, den die EU-Kommission am Donnerstag auf ihrer Internetseite veröffentlichte. Rom plant eine deutlich höhere Neuverschuldung als mit Brüssel vereinbart.
Die geplanten Ausgaben seien zu hoch, das strukturelle Defizit würde steigen und nicht fallen und die Staatsschulden würden nicht im Rahmen der EU-Regeln fallen, hieß es in dem Brief an Finanzminister Giovanni Tria. "Diese drei Faktoren scheinen auf eine besonders schwere Nichteinhaltung der Haushaltsregeln hinzudeuten, die im Stabilitätspakt festgelegt sind", schreibt die EU-Kommission. Sie forderte die italienische Regierung auf, sich bis Montag, den 22. Oktober, zu den Bedenken zu äußern.
Zur Finanzierung kostspieliger sozialpolitischer Wahlversprechen plant die Regierung aus rechter Lega und populistischer Fünf-Sterne-Bewegung 2019 eine deutlich höhere Neuverschuldung als von der Vorgängerregierung in Aussicht gestellt. Dies war bereits in die Kritik geraten.
Macron: Lieber kein Deal, als schlechter Deal
Neben Italiens Haushaltsdefizit und der Flüchtlingsfrage war der Brexit das dritte große Thema beim Gipfel.
Bundeskanzlerin Merkel sieht trotz des momentanen Stillstands bei den Brexit-Verhandlungen noch Chancen auf eine Einigung mit Großbritannien. Auf dem EU-Gipfel hätten sich alle der verbleibenden 27 Mitgliedstaaten "dafür ausgesprochen, alles daran zu setzen, um eine Lösung zu finden", sagte Merkel am Donnerstag in Brüssel. "Wo ein Wille ist, da sollte auch ein Weg sein. Normalerweise ist da auch ein Weg."
Die Gipfelteilnehmer hätten verabredet, wieder zu einem Brexit-Treffen zusammenzukommen, wenn "ausreichend Fortschritt" erreicht sei. "Denn wir wissen ja, je schneller desto besser", sagte Merkel. "Die Zeit drängt." Einen ursprünglich für November anvisierten Sondergipfel zum Brexit hatten die EU-Chefs wegen des Stillstands bei den Verhandlungen über einen Austrittsvertrag ausgesetzt.
Die Kanzlerin räumte ein, dass sich noch keine Antwort auf die schwierige Frage der künftigen Grenze zwischen Irland und der britischen Provinz Nordirland abzeichne. "Solange man die Lösung nicht hat, wird man auch nicht genau erklären können, wie das gelingen kann", sagte sie. Im Ziel seien sich aber alle einig: Es gehe um "gute Beziehungen und intensive Beziehungen zwischen uns und Großbritannien auch für die Zukunft". EU-Ratschef Donald Tusk hat sich überraschend optimistisch über die Aussicht auf eine gütliche Einigung mit Großbritannien beim Brexit geäußert. „Ich glaube, wir sind näher an einer endgültigen Lösung und einem Abkommen“, sagte Tusk am Donnerstag zum Abschluss des EU-Gipfels in Brüssel. Aber das sei mehr ein Gefühl. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagte voraus, dass die Idee einer längeren Übergangsfrist nach dem EU-Austritt Großbritanniens wahrscheinlich umgesetzt werde. Dies sei eine gute Idee. „Ich glaube, es gibt uns etwas Spielraum, um die künftigen Beziehungen in möglichst guter Weise zu regeln“, sagte Juncker. Der Vorschlag für eine verlängerte Übergangsfrist sei aber im Kreis der EU-Staaten nicht diskutiert worden.
Für einen harten Kurs sprach sich Frankreichs Präsident Emmanuel Macron aus. Er sieht bei den Brexit-Verhandlungen die politischen Verantwortlichen in London am Zug. „Das Schlüsselelement für den finalen Deal liegt auf der britischen Seite“, sagte er am Donnerstag nach Ende des EU-Gipfels in Brüssel. Das liege daran, dass das Schlüsselelement „ein politischer Kompromiss“ in Großbritannien sei. Macron spielte damit darauf an, dass es im Vereinigten Königreich sehr unterschiedliche Auffassungen über mögliche Zugeständnisse in den Verhandlungen und über die europäisch-britischen Beziehungen nach dem Brexit gibt.
Ein größeres Entgegenkommen der EU schloss Macron aus. Auf europäischer Seite gebe es seiner Ansicht nach keine zusätzlichen Kompromisse zu machen. „Ich bevorzuge einen Deal und ich will einen Deal“, ergänzte Macron. „Aber ich werde niemals einen schlechten Deal bevorzugen.“ (dpa, AFP, Reuters)