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Protest von Amnesty International vor der Türkischen Botschaft in Berlin. (Archiv)
© dpa/Nicolas Armer
Update

Türkei: Merkel fordert Freilassung von Berliner Menschenrechtler

Peter Steudtner wollte an einem Amnesty-Workshop teilnehmen - und wurde festgenommen. Die Bundeskanzlerin erklärt sich "mit ihm und den anderen Verhafteten solidarisch".

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die Freilassung des in der Türkei inhaftierten Menschenrechtlers Peter Steudtner und seiner Kollegen gefordert. "Wir sind der festen Überzeugung, dass diese Verhaftung absolut ungerechtfertigt ist", sagte Merkel am Dienstag bei einem Besuch im Bundesleistungszentrum Kienbaum in Grünheide. "Wir erklären uns mit ihm und den anderen Verhafteten solidarisch", betonte Merkel. "Und wir werden seitens der Bundesregierung alles tun, auf allen Ebenen, um seine Freilassung zu erwirken."

Dies sei leider ein weiterer Fall, in dem "unbescholtene Menschen" in der Türkei in die Mühlen der Justiz und damit auch in Haft gekommen seien. "Deshalb ist das ein Grund zu allergrößter Sorge. Und werden wir alles in unseren Mitteln Stehende tun, um diesen Menschen und in diesem Falle Peter Steudtner zu helfen", erklärte die Kanzlerin. Steudtner war zusammen mit anderen Menschenrechtsaktivisten vor einigen Tagen auf einem Menschenrechtsseminar in der Türkei verhaftet worden. Jetzt wurde seine Untersuchungshaft bestätigt. Unter den Inhaftierten ist auch die türkische Direktorin von Amnesty International, Idil Eser. Den Menschenrechtlern wird die Mitgliedschaft und die Unterstützung einer Terrororganisation vorgeworfen.

Auch der menschenrechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Michael Brand (CDU), hat die Türkei aufgefordert, die inhaftierten Menschenrechtler schnell freizulassen. „Der Vorwurf der Terrorunterstützung ist absurd, die Strafverfolgung eindeutig politisch motiviert“, sagte Brand am Dienstag dem Evangelischen Pressedienst. Die angebliche Unabhängigkeit der Justiz sei ein Märchen, das beweise die persönliche Vorverurteilung durch Präsident Recep Tayyip Erdogan. „Die inhaftierten Menschenrechtler sind in Wahrheit ebenso politische Geiseln wie die inhaftierten Journalisten.“

Peter Steudtner lebt mit seiner Lebensgefährtin und zwei Kindern in Berlin.
Peter Steudtner lebt mit seiner Lebensgefährtin und zwei Kindern in Berlin.
© Privat

Vier der Menschenrechtler setzte der Haftrichter bis zu einem Prozess unter Auflagen auf freien Fuß. Sie dürfen das Land nicht verlassen und müssen sich dreimal die Woche bei den Behörden melden. Die anderen sechs müssen hinter Gitter. Die Staatsanwaltschaft wirft allen zehn Beschuldigten nach Amnesty-Angaben vor, eine Terrororganisation unterstützt zu haben - um welche es sich handeln soll, blieb unklar.

SPD-Fraktionsvorsitzender Thomas Oppermann sprach von einer "weiteren Eskalationsstufe im deutsch-türkischen Verhältnis". Er forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel auf, sich "energisch" für alle wegen politischer Vorwürfe in der Türkei inhaftierten Deutschen einzusetzen.

"Unterstellungen eines Putschversuchs sind absurd"

„Willkürliche Verhaftungen sind keine innere Angelegenheit der Türkei“, sagte Michael Brand. „Als Mitglied des Europarats hat sich die Türkei zum Schutz von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaat verpflichtet. Das staatliche Handeln steht dazu im kompletten Gegensatz.“ Die aktuellen Fälle machten deutlich: Wer den Einsatz für Menschenrechte zu Verbrechen erkläre, der mache Willkür zum Staatsprinzip.

Die Familie des inhaftierten Deutschen machen die Vorwürfe fassungslos. Bei ihm handelt es sich um den Menschenrechtstrainer Peter Steudtner, der gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Magdalena Freudenschuss und zwei Kindern im Alter von drei und 16 Jahren in Prenzlauer Berg lebt. „Peter hat sich stets für eine friedliche, gewaltfreie Lösung von Konflikten eingesetzt. Die Unterstellung, er könnte einen Putsch geplant haben, ist völlig absurd“, sagte Freudenschuss. „Es macht uns Angst und es macht uns wütend, nicht zu wissen, wann Peter und die anderen Menschenrechtler entlassen werden.“

Sie stehe in Kontakt mit dem deutschen Konsulat in Istanbul, dem Auswärtigen Amt sowie den Anwälten. Wie lange Peter Steudtner noch in Haft bleiben muss sei unklar, sagte Freudenschuss. "Es gibt noch keinen Zeithorizont".

Steudtner ist 45 Jahre alt und widmet sich hauptberuflich der Friedensarbeit. Unter anderem war er im Rahmen des Programms "Ziviler Friedensdienst" in Kenia, Nepal, Israel und den Palästinensergebieten tätig, wie es in einer Mitteilung von Familien und Freunden heißt. Er hat in Berlin Politikwissenschaften studiert und lebte anschließend zwei Jahre in Mosambik im Zuge seines Auslandszivildienstes. Er arbeitete dort mit Kindersoldaten und deren Reintegration in die Gesellschaft.

"Es ist abwegig, ihm die Unterstützung einer bewaffneten Terrorgruppe zu unterstellen. Seminare wie dieses sind gängige Weiterbildungen für Menschenrechtsorganisationen, damit sie vertrauliche Daten verwalten können, wie Zeugenaussagen zu Menschenrechtsverletzungen oder vertrauliche persönliche Informationen von Betroffenen", sagte Daniel Ó Cluanaigh, Sprecher für die Angehörigen und Menschenrechtsberater aus Berlin.

Peter Steudtner ist seit vielen Jahren Mitglied der Gethsemanekirche in Prenzlauer Berg, das bestätigte der Geschäftsführer der Evangelischen Kirchengemeinde Prenzlauer Berg Nord, Frank Esch, dem Tagesspiegel.

Amnesty: "In Erdogans Türkei soll es keine Kritik geben"

Seit dem Putschversuch in der Türkei vor einem Jahr wurden mehr als 50.000 Menschen in Untersuchungshaft gesperrt, die bis zu fünf Jahre dauern kann. Mehr als 150 Journalisten sitzen derzeit im Gefängnis, darunter der deutsch-türkische „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel. Auch die deutsche Journalistin und Übersetzerin Mesale Tolu Corlu ist in U-Haft.

Dass nun gleich sechs Menschenrechtler bis zu einem Prozess hinter Gitter sollen, markiert eine neue Stufe im Vorgehen gegen angebliche Staatsfeinde. „Das ist ein Angriff auf die gesamte Menschenrechtsbewegung in der Türkei“, sagt der Türkei-Experte von Amnesty International, Andrew Gardner, der Deutschen Presse-Agentur. „Das ist eine existenzielle Bedrohung der Menschenrechtsbewegung und von Amnesty International in der Türkei.“

Erst im Juni war der Amnesty-Landesvorsitzende Taner Kilic in Untersuchungshaft genommen worden. Ihm werden Verbindungen zur Bewegung des Predigers Fethullah Gülen vorgeworfen, den Präsident Recep Tayyip Erdogan für den Putschversuch verantwortlich macht. Amnesty sprach im Zusammenhang mit der Inhaftierung von Kilic von einer „Justiz-Farce“, und ebenso verheerend fiel die Kritik an den Festnahmen der zehn Menschenrechtler vor knapp zwei Wochen aus. Schon unmittelbar danach nannte der Generalsekretär von Amnesty International, Salil Shetty, Terrorvorwürfe gegen die zehn Menschenrechtler „unfassbar“.

Shetty warf Erdogan vor, im Zuge der vom Staatschef sogenannten Säuberungen Kritik zum Verstummen bringen zu wollen. „In Erdogans Türkei soll es keine Zivilgesellschaft, keine Kritik und keine Rechenschaftspflicht geben.“ Erdogan rückte die Menschenrechtler dagegen in die Nähe der Putschisten vom 15. Juli 2016. Nach den Festnahmen sagte er beim G20-Gipfel in Hamburg, die Versammlung auf Büyükada habe in ihrem Charakter „einer Fortsetzung des 15. Juli“ entsprochen. Das ist ein gefährlicher Vorwurf: Bei den Feierlichkeiten ein Jahr nach der Niederschlagung des Putsches kündigte Erdogan am Wochenende an, Putschisten und anderen Verrätern werde man „die Köpfe abreißen“.

Die regierungsnahe Zeitung „Star“ will mit Hilfe des AKP-Abgeordneten Orhan Deligöz sogar eine Verschwörung aufgedeckt haben, die einem Spionagethriller alle Ehre machen würde: In dem Hotel auf Büyükada hätten seit dem Putschversuch vier Versammlungen stattgefunden, sagt Deligöz nach Angaben des Blattes - darunter auch jenes Treffen der „sogenannten Menschenrechtsaktivisten“. Geleitet hätten die Versammlungen Agenten des US-Geheimdienstes CIA und des britischen Pendants MI6. Das Ziel: Ein Aufstand nach Art der Gezi-Proteste 2013.

1999 setzte sich Amnesty noch für Erdogan ein

Bei Amnesty klingt es nicht, als hätten die Workshop-Teilnehmer einen Aufstand geplant. Demnach ging es bei dem Treffen um Menschenrechtsarbeit unter schwierigen Bedingungen - wie schwierig diese Bedingungen in der Türkei sind, wurde den Teilnehmern bei der Polizeirazzia vor Augen geführt. Auf dem Programm standen Themen wie Kommunikations- und Datensicherheit, aber auch Stressbewältigung und Yoga. Den Haftrichter beeindruckte das nicht. Die Türkei hat nun ein zweifelhaftes Alleinstellungsmerkmal: Es ist das erste Mal in der Geschichte von Amnesty, dass der Vorsitzende und die Direktorin der Organisation in einem Land gleichzeitig hinter Gittern sind.

Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie: Als Erdogan 1999 - damals als Bürgermeister von Istanbul - wegen des Rezitierens eines Gedichts zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde, setzte sich Amnesty International für seine Freiheit ein. Erdogan wischte diesen Hinweis kürzlich bei einer Pressekonferenz unwirsch beiseite - und verwies darauf, dass er damals ja trotz des Amnesty-Engagements inhaftiert wurde: „Das Resultat war, dass ich ins Gefängnis gekommen bin.“ (mit dpa)

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