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Wurde der Bundestag vom russischen Geheimdienst gehackt?
© dpa-tmn

Reaktion auf russischen Hackerangriff: Merkel droht - aber ihre Drohung ist leer

Laut Angela Merkel gibt es "harte Evidenzen", dass der russische Geheimdienst den Bundestag hackte. Das sei "ungeheuerlich". Doch wann wacht die Bundesregierung endlich auf? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Da stand sie – und zog blank. Selten zuvor hatte Angela Merkel machtvoller und machtloser zugleich geklungen. Bei einer Fragestunde des Bundestags in der vergangenen Woche äußerte sich die Bundeskanzlerin über Ermittlungsergebnisse des Generalbundesanwalts. 

Demnach gibt es „harte Evidenzen“ dafür, dass der russische Geheimdienst vor fünf Jahren am Hackerangriff auf den Bundestag beteiligt war. „Unangenehm“ und „ungeheuerlich“ nannte Merkel das. Das Vertrauen sei brüchig, Konsequenzen schloss sie nicht aus.

„Ich nehme diese Dinge sehr ernst“, fügte sie hinzu, „weil ich glaube, dass da sehr ordentlich recherchiert wurde.“ Dann sprach sie von „hybrider Kriegsführung“ Russlands, von „Faktenverdrehung“ und „Desorientierung“, von einer „Strategie, die dort angewandt wird“. 

„Ich darf sehr ehrlich sagen: Mich schmerzt das.“ Zwei Tage später reagierte der russische Außenminister Sergej Lawrow. Fünf Jahre seien vergangen, höhnte er, nicht eine einzige konkrete Tatsache sei vorgelegt worden.

Ein internationaler Haftbefehl wurde erwirkt

Durch den Hackerangriff war im Mai 2015 die IT-Infrastruktur des Bundestages komplett lahmgelegt worden. Das gesamte Parlament musste tagelang vom Netz genommen werden. Vor zwei Jahren hatte bereits der Bundesverfassungsschutz auf Russland als Verursacher hingewiesen.

Inzwischen hat die Bundesanwaltschaft einen internationalen Haftbefehl gegen einen russischen Hacker namens Dimitri Badin erwirkt. Ihm werden geheimdienstliche Agententätigkeit und das Ausspähen von Daten vorgeworfen. Vermutlich befindet sich der junge Mann in Russland. Sie sei sehr froh, sagte Merkel, dass nun eine konkrete Person auf der Fahndungsliste stehe.

Was daraus folgt? Vermutlich nichts. Merkel faucht, aber ihr Fauchen ist ein Schnurren. Sie droht, aber ihre Drohung ist leer. 

Während  Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer Pläne für neue Tornados schmiedet, die im höchst unwahrscheinlichen Ernstfall amerikanische Atomraketen ins Ziel befördern sollen, wird Deutschlands Sicherheit seit Jahren vor allem digital herausgefordert. Gegen Laptops, Viren und Würmer nützen Soldaten, Panzer und Kampfjets leider gar nichts.

Entwicklungen wurden verschlafen

Dringlich ist daher der Aufbau einer Elite-IT-Truppe, die Attacken etwa auf die kritische Infrastruktur – Wasser- und Stromversorgung, Kernkraftwerke, Verkehrsleitsysteme, Finanzströme – abwehren kann. Beim Aufbau digitaler Waffensysteme muss der Anschluss gefunden werden an Cyber-Hochrüstungsnationen wie USA, China, Russland, Nordkorea, Israel, Iran, Großbritannien.

Als Edward Snowden die Abhörpraktiken der NSA enthüllte, war die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen geschockt: „Mir ist durch die NSA-Affäre klar geworden, was es bedeutet, wenn man vor 10 bis 15 Jahren technologische Entwicklungen verschlafen hat und heute voll Bitterkeit feststellt, wie abhängig man von anderen ist.“

Wie viele Alarmsignale muss es noch geben? Die Deutungsschlachten im globalen Informationsraum tragen CNN, BBC und RT ohnehin unter sich aus. Sie bestimmen, welche Nachrichten unser Bild von der Welt prägen, welche Werte transportiert werden. Hinzu kommen Youtube, Instagram, Facebook, TikTok, Twitter und Whatsapp. Deutsche Unternehmen spielen in dieser Liga keine Rolle.

Anschluss an die digitale Weltspitze

Wäre Deutschland gerüstet gegen eine Wahl-Einmischung wie in den USA nach dem Muster der britischen Daten-Analyse-Firma „Cambridge Analytica“? Wohl kaum. Wäre es gewappnet gegen einen Cyber-Angriff, durchgeführt mit einer Art Stuxnet-Wurm wie einst zur Sabotage des iranischen Atomprogramms? Eher nicht.

Gefahndet wird jetzt nach einem jungen Hacker namens Dimitri Badin. Aber das lenkt von der wahren Sicherheitslücke ab. Durch Flehen, Bitten und Drohungen lassen sich weder Russland noch andere potenziellen Angreifer beeindrucken. 

Merkel mag sich im Bundestag demonstrativ grämen: Notwendig sind Milliarden-Investitionen, um Anschluss zu finden an die digitale Weltspitze. Das ist in etwa so dringlich wie der Kampf gegen Covid-19 und die globale Klimaerwärmung.

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