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In diesem Fall gelang die Rettung. Doch künftig wird Europas Marine nicht mehr helfen können.
© picture alliance / Italian Navy

EU zieht "Sophia"-Schiffe ab: Menschen vor dem Ertrinken retten? Das war einmal

Für Tausende wird das Mittelmeer wieder zum Massengrab. Die EU zieht die letzten Schiffe ab, die Menschen aus Seenot gerettet hatten. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Edmund Burke war Skeptiker, Rationalist, Konservativer. Er schrieb Essays und Pamphlete. „Wenn schlechte Menschen sich verbünden“, heißt es in einer Schrift des irisch-britischen Philosophen aus dem 18. Jahrhundert, „müssen sich auch die guten Menschen zusammentun. Andernfalls werden sie fallen, einer nach dem anderen.“

Mehr als 45.000 Menschen wurden seit 2015 im Mittelmeer aus Seenot gerettet. Dass sie nicht jämmerlich ertranken, verdanken sie der EU-Mission „Sophia“. Der Marine-Einsatz war beschlossen worden, um Schleuser- und Schlepperbanden vor der libyschen Küste zu bekämpfen, Menschenhändlern das Handwerk zu legen. Dazu gehörte, jene Verzweifelten vor dem sicheren Tod zu bewahren, deren Boote gekentert oder manövrierunfähig geworden waren.

Jetzt zieht die Europäische Union die letzten beiden „Sophia“-Schiffe ab. Was das bedeutet, ist klar. Für Tausende wird das Mittelmeer wieder zum Massengrab. Das „mare nostrum“, das Europa mit Afrika und Asien verbindet, symbolisiert nun die Trennung der Menschen, die Gleichgültigkeit gegenüber Notleidenden. Es ist eine Schande. Man schämt sich, Europäer zu sein. Die Rede von Werten, die es in der EU angeblich zu verteidigen gelte, entpuppt sich als hohl und verlogen.

Durchgesetzt haben sich die Rechtspopulisten in Italien, Ungarn und Polen. Die Regierung in Rom hatte eine Änderung der Einsatzregeln verlangt, die vorsehen, das gerettete Menschen zunächst ausschließlich nach Italien gebracht werden. Einer Änderung des Umverteilungsmechanismus stimmten indes Ungarn und Polen nicht zu. Weil man sich nicht einigen konnte, wurde die Operation „Sophia“, deren Mandat am kommenden Sonntag ausläuft, jetzt zwar um sechs Monate verlängert, aber der Einsatz von Schiffen wird „temporär ausgesetzt“, wie es aus EU-Kreisen heißt. Die kriminellen Aktivitäten von Schleusern sollen künftig nur noch aus der Luft beobachtet werden.

Appelle und Argumente prallten ab

Die Bundesregierung entsendet bereits seit Februar kein Schiff mehr für die Mission. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hatte der italienischen Einsatzleitung vorgeworfen, die „Sophia“-Schiffe weitab der Flüchtlingsrouten stationiert zu haben. Vergeblich auch hatte die EU-Außenbeauftragte, Federica Mogherini, die EU-Staaten aufgerufen, eine Fortsetzung der ursprünglichen „Sophia“-Mission zu ermöglichen. Ohnehin sei die Zahl der illegal in Europa ankommenden Migranten im Verlauf des Einsatzes um mehr als achtzig Prozent gesunken. Dazu beigetragen habe die Ausbildung der libyschen Küstenwache. Doch all diese Appelle und Argumente prallten an der Gnadenlosigkeit der europäischen Rechtspopulisten ab.

Im Herbst des legendären Flüchtlingsjahres 2015 hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel gesagt: „Wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land.“ Ums Entschuldigen geht es längst nicht mehr. Es geht allein noch um die Rettung von Ertrinkenden, um das unmittelbarste Gebot der Humanität.

Wenn diesem Gebot zu folgen im Rahmen der EU nicht mehr möglich ist, muss der Rahmen gesprengt werden. Warum tut sich keine „Koalition der Willigen“ zusammen? Das Mittelmeer gehört niemanden allein. Zumindest den Versuch könnte Deutschland unternehmen, zusammen mit Anrainern wie Frankreich, Spanien und Griechenland, skandinavischen Staaten und Benelux-Ländern eine seegestützte Art der schnellen Eingreiftruppe zu erstellen. Das Prinzip der Lastenteilung wäre dadurch zwar obsolet, aber das ist es in der Flüchtlingsfrage ohnehin. Sollen Menschen ertrinken, weil ihre Rettung an einer konsensfixierten, aber kompromissunfähigen EU scheitert?

In zwei Monaten finden die Wahlen zum Europaparlament statt. Wer noch nicht weiß, wem er seine Stimme gibt, soll sich selbst fragen, welcher Wert für ihn der oberste ist. Dann fällt die Entscheidung vielleicht ganz leicht.

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