Italien: "Die Option, die Euro-Zone zu verlassen, bleibt auf dem Tisch"
Italiens Ex-Staatssekretär für EU-Angelegenheiten, Sandro Gozi, geht davon aus, dass ein "Italexit" weiter auf der Agenda der Regierung in Rom steht.
Herr Gozi, laut der jüngsten Eurobarometer-Umfrage haben nur 35 Prozent der Italiener ein positives Bild von der EU. Wie ist das zu erklären?
Die Italiener sind keine EU-Skeptiker. Aber sie sind enttäuscht von der EU. Es gibt zwei Gründe dafür. Erstens haben die notwendigen Reformen in der Regierungszeit von Mario Monti zu Beginn dieses Jahrzehnts zu sozialen Verwerfungen geführt, für welche die EU zum Sündenbock gemacht wurde. Dann begann die Flüchtlingskrise, in der die EU-Partner Italien lange Zeit im Stich gelassen haben. Jetzt kommt noch die Anti-EU-Propaganda der gegenwärtigen Regierung hinzu.
Die Populisten-Koalition der Lega unter Matteo Salvini und der Fünf-Sterne-Bewegung ist seit dem vergangenen Juni im Amt. Kann es dieser Koalition gelingen, in Italien wieder Wachstum und damit eine positive Sicht auf die EU zu erzeugen?
Italien hat ein großes wirtschaftliches Potenzial. Aber der Haushalt, den die Regierung beschlossen hat, wird die Lage verschlimmern. Es gibt bei der Lega und der Fünf-Sterne-Bewegung keine ernst zu nehmenden Versuche, mehr Investitionen zu erzeugen. Das Bürgereinkommen, das die beiden Parteien eingeführt haben, liefert zudem keine Antwort auf die entscheidende Frage: Wie kann man Menschen, die lange vom Arbeitsmarkt abgeschnitten waren, dort wieder integrieren? Meine Befürchtungen nach dem Regierungswechsel im vergangenen Sommer haben sich bestätigt: Italien ist inzwischen in die Rezession gerutscht.
Wie erklären Sie den Machtverlust Ihrer sozialdemokratischen Partei bei den italienischen Parlamentswahlen im vergangenen Jahr?
Das hängt zum einen mit der Umsetzung eines nationalen Planes zum Umgang mit der Migration zusammen. Der Plan war richtig, denn er gab Italien wieder die Kontrolle über die Migration zurück – ohne die Schließung von Häfen, wie Salvini dies tut. Aber er wurde erst 2017 umgesetzt, und das war zu spät. Es wäre besser gewesen, wenn er schon 2014 in Kraft getreten wäre. Auch die Maßnahmen zur Armutsbekämpfung, die wir mit Hilfe der EU ergriffen haben, kamen zu spät. Entscheidend war aber die Tatsache, dass die Partito Democratico in den letzten Regierungsjahren permanent mit sich selbst beschäftigt war. Ständig gab es Querschläger innerhalb der Partei. Die Leute haben sich die Frage gestellt: Warum sollten wir eine derart zerstrittene Partei wählen?
Welchen europapolitischen Plan verfolgt eigentlich der Lega-Vorsitzende Salvini? Arbeitet er langfristig auf einen „Italexit“ hin, also auf einen Ausstieg Italiens aus der Euro-Zone?
Vor der Wahl im vergangenen Jahr haben die Lega und die Fünf-Sterne-Bewegung eindeutig gesagt, dass Italien aus dem Euro aussteigen soll. Heute lautet ihre offizielle Position, dass Italien in der EU und der Euro-Zone bleiben soll. Aber beide Parteien handeln nicht danach. Ich glaube, dass ihre Strategie jetzt darauf hinausläuft, die europäischen Institutionen von innen auszuhöhlen. Auch die Option, die Euro-Zone zu verlassen, bleibt auf dem Tisch. Der zunehmende Einfluss der Neo-Nationalisten in Italien führt dazu, dass es vor der kommenden Europawahl eine klare Alternative gibt, die in dieser Form neu ist. Italien hat erstmals seit der ersten Wahl zum Europaparlament im Jahr 1979 die Wahl zwischen Neo-Nationalismus und einem pro-europäischem Föderalismus.
Salvini sucht vor der Europawahl das Bündnis mit Rechtsextremen und Rechtspopulisten wie Marine Le Pen und Viktor Orban. Wie gefährlich könnte ein solches Bündnis für die EU werden?
Das hängt davon ab, wie handlungsfähig sich die pro-europäischen Kräfte im EU-Parlament nach der Wahl zeigen. Denn der beste Verbündete von Salvini und Co. ist der europäische Status quo. Wenn sich die EU nicht erneuert, werden auch die Populisten stärker werden.
Was muss sich ändern?
Die wichtigsten pro-europäischen Fraktionen im Europaparlament müssen in der nächsten Straßburger Legislaturperiode parteiübergreifend einen Konsens zu den wichtigsten Herausforderungen für die Gemeinschaft hinbekommen. Dazu gehören die Durchsetzung der Rechtsstaatlichkeit überall in der EU, die Schaffung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik, eine wirksame Reform der Euro-Zone, der Kampf gegen den Klimawandel und eine europäische Migrationspolitik, die gemeinsam mit den afrikanischen Herkunftsländern gestaltet wird.
Das Gespräch führte Albrecht Meier.
Sandro Gozi (50) ist Präsident der Union der Europäischen Föderalisten, die sich für einen föderalen europäischen Bundesstaat einsetzt. Bis Juni 2018 war er Staatssekretär für europäische Angelegenheiten in der italienischen Regierung.