Die Koalition nach der Steuerschätzung: Mehr Geld heißt: Mehr Konfliktstoff
Verteidigung, Entwicklungspolitik, Entlastung der Bürger - wohin fließen die zusätzlichen Einnahmen des Bundes? Und was bedeutet das noch größere Steuerplus bei Ländern und Kommunen? Ein Überblick.
Wenn die Zeichen nicht täuschen, wird die neueste Steuerschätzung, am Mittwoch vorgestellt von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD), noch ordentlich Zündstoff in die Koalition bringen. Zwar hat Scholz den größeren Teil der Mehreinnahmen, die sich aus den besseren Wachstumserwartungen gegenüber früheren Prognosen ergeben, schon im Etat für 2018 und in der Finanzplanung berücksichtigt (der absehbar größere Spielraum prägte ja schon die Koalitionsverhandlungen).
Aber ein zusätzliches Plus für den Bund von insgesamt 10,8 Milliarden Euro bis 2022 wird für Streitigkeiten sorgen. Sie haben auch schon begonnen. Zwei Minister vor allem wollen mehr. für ihre Ressorts. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) möchte die Bundeswehr wieder stärker auf Landesverteidigung ausrichten und neue Rüstungsprojekte anschieben. Und Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) verweist auf die Koalitionsvereinbarung, wonach überschüssiges Geld nicht nur in den Wehretat, sondern auch in seinen Haushalt fließen soll.
Beide Minister können damit punkten, dass Deutschland internationale Vereinbarungen nicht erfüllt – die Nato-Quote, wonach zwei Prozent der Wirtschaftsleistung ins Militärische fließen müsste, und die „Oda-Quote“, wonach 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Entwicklungshilfe gehen sollen. Bei der Nato-Quote liegt die Bundesrepublik bei 1,24 Prozent, Tendenz stagnierend bis leicht sinkend.
Leyen hat da ein Argument, das im Finanzministerium gekontert wird mit dem Hinweis, der Wehretat wachse jetzt schon weit über dem Schnitt. Andererseits hat Kanzlerin Angela Merkel beim Besuch in Washington US-Präsident Donald Trump Besserung versprochen, also mehr Geld zur Annäherung an die Nato-Vereinbarung. Die Oda-Quote wiederum wird mit aktuell 0,5 Prozent ebenfalls nicht erfüllt (die Zielmarke von 0,7 Prozent wird nur erreicht, wenn man Flüchtlingskosten einberechnet). Müller hat in Innenminister Horst Seehofer einen starken Helfer, der die höheren Entwicklungsausgaben in Krisengebieten auch als Einwanderungsbremse betrachtet.
Der "Soli" rückt wieder in den Blick
Ein weiterer Konfliktstoff wird die Steuerpolitik sein – weshalb Scholz mit seiner Ankündigung schon mal vorbaut, bei der Anpassung des Einkommensteuertarifs an die Inflation (also beim Vermeiden der kalten Progression) den Entlastungsspielraum 2019 „ausschöpfen“ zu wollen. Konkrete Zahlen wird es dazu erst im Herbst geben, wenn die offiziellen Berichte zum Existenzminimum und zur Inflationsentwicklung vorliegen. Freilich ist Scholzens Absicht keine zusätzliche Entlastung, denn die regelmäßige Anpassung der Steuerprogression hat der Bundestag schon vor Jahren beschlossen.
Die üblichen Verdächtigen – Wirtschaftsflügel der Union, Bund der Steuerzahler, Unternehmerverbände, FDP und neuerdings AfD – verlangen schon mehr: „beschleunigte vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags“ lautet etwa die Devise des CSU-Manns Hans Michelbach. Die SPD-Haushaltspolitiker halten zwar eine „aufgewärmte Steuersenkungsdiskussion“ für fehl am Platz. Doch haben beide Koalitionsparteien im Wahlkampf Steuerentlastungen nicht zuletzt in der Mitte versprochen. Der Einstieg in die Abschaffung des Solidaritätszuschlags ist aber erst für 2021 vorgesehen.
Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer erwartet durch frühere Entlastungen mehr Nachfrage und einen "Schub für Wachstum und Wettbewerb". Eine „Soli“-Senkung nutzt freilich vor allem Besserverdienern. SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles hat wohl auch deswegen eine zusätzliche Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung ins Spiel gebracht, was Arbeitern und Angestellten mit kleinen und mittleren Einkommen hilft. Aber die Unions-Fraktionsspitzen traten hier erst einmal auf die Bremse.
Noch eine Konfliktfront
Eine dritte Konfliktfront deutet sich derweil zumindest an. Die Steuerschätzung sieht nämlich nicht nur für den Bund sehr günstig aus, sondern auch für Länder und Kommunen. Diesen verheißt die Prognose sogar noch höhere Zuwächse. Während der Bundesetat (gemessen am „Ist“ von 2017) bis 2022 um 19 Prozent auf knapp 369 Milliarden Euro wachsen soll, wird das Plus bei den Ländern auf 22 Prozent geschätzt (auf zusammen dann 365 Milliarden Euro), bei den Kommunen sollen es sogar 27 Prozent mehr sein (sie hätten dann 133 Milliarden Euro). Damit wird sich die Frage auftun, ob der Bund tatsächlich so sehr in die Mitfinanzierung der Länder- und Kommunalaufgaben gehen muss, wie die Koalition das vorsieht. Und stattdessen nicht stärker bei den eigenen Aufgaben investiert – oder eben stärker entlastet.
Der Finanzminister hat für 2018 vorgeschlagen, die zusätzlichen Einnahmen in einen Fonds mit 2,4 Milliarden Euro Volumen zu legen. Der soll vor allem den Breitbandausbau beschleunigen und auch (aber das stellte Scholz deutlich weniger heraus) die Digitalisierung des Unterrichts in den Schulen, was zuvörderst eine Aufgabe der Länder und Kommunen ist. Die Länder vor allem haben in ihren Etats für 2018 die günstigere Entwicklung noch nicht abgebildet (der Bund konnte das ja nur, weil sein Haushalt für dieses Jahr sich wegen der Koalitionsverhandlungen erheblich verzögert hat).
Daher ist bei den Ländern zum Jahresende mit erheblichen Überschüssen zu rechnen, was die Landesfinanzminister natürlich zu kaschieren versuchen werden. Im Bundesfinanzministerium geht man davon aus, dass sie zum Beispiel Schulden tilgen - auch Rückstellungen in die Beamtenpensionsfonds sind möglich. Doch könnte man im Bundestag ja auf die Idee kommen, mehr ans sich selbst zu denken.
"Weitere Hilfen nicht angezeigt"
Der CDU-Haushaltspolitiker Eckhardt Rehberg, schon länger ein Kritiker der Mitfinanzierungen durch den Bund, ist jedenfalls der Ansicht, durch die Überschüsse und dank der Finanzhilfen des Bundes seien die Länder „nun in der Lage, eigenverantwortlich ihre Aufgaben zu erfüllen“. Weitere Hilfen des Bundes „sind nicht mehr angezeigt“. Und warum sollte die Koalition mögliche innere Konflikte nicht dadurch mildern, dass sie die Zusagen an Länder und Kommunen im Koalitionsvertrag etwas lockerer auslegt? Immerhin hat der Bund-Länder-Digitalpakt für die Schulen, der noch gar nicht umgesetzt ist, bisher vor allem eines bewirkt: Dass die Länder ihre Investitionen erst einmal zurückgestellt haben.
Möglicherweise ahnt Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) schon etwas. Sie lobte Scholz zwar dafür, weil er „die Themen Digitalisierung und Schulen angesichts der Mehreinnahmen angesprochen hat“. Aber das reicht ihr nicht. Auch sie meldete Ansprüche an und will mehr Geld, um in Forschung und technologischen Fortschritt zu investieren, "wie es beispielsweise bei Künstlicher Intelligenz notwendig ist".