Großbritannien: „Mays Tage sind gezählt“
Premierministerin Theresa May steht unter Druck. Boris Johnson plant angeblich ihre Ablösung und die zunächst gemeldete Einigung mit der nordirischen DUP musste dementiert werden.
Nach ihrer Wahlniederlage nimmt der Druck auf die britische Premierministerin Theresa May massiv zu. Der frühere Tory-Finanzminister George Osborne sagte am Sonntag der BBC, Mays Tage seien gezählt, die einzige Frage sei, „wie lange sie noch im Todestrakt“ sitze. Anders als zunächst verkündet musste Downing Street zudem richtigstellen, dass die Bildung einer von der nordirischen DUP unterstützten Minderheitsregierung noch nicht in trockenen Tüchern sei. Nachdem ein Sprecher Mays am Samstagabend bereits eine Vereinbarung zwischen den Tories und der rechten Democratic Unionist Party (DUP) verkündet hatte, ruderte Downing Street am Sonntagmorgen zurück. „Die Premierministerin hat am Abend mit der DUP gesprochen, um über den Abschluss einer Vereinbarung zu diskutieren, wenn das Parlament kommende Woche seine Arbeit wieder aufnimmt“, erklärte ein Sprecher. „Wir hoffen, dass der Vertrag zustande kommt.“
Die DUP erklärte, die Gespräche seien „bislang positiv“ verlaufen. May will nach dem Verlust ihrer absoluten Mehrheit im Unterhaus eine Minderheitsregierung bilden, die von der ultrakonservativen DUP unterstützt wird. Damit hätte sie eine hauchdünne Mehrheit. Mit 318 Abgeordneten fehlen den Tories acht Sitze zur absoluten Mehrheit. Die DUP mit ihren zehn Abgeordneten soll die künftige Regierung stützen – welche Zugeständnisse die Tories machen müssen, wurde zunächst nicht offiziell mitgeteilt.
Die DUP gilt als homophob
Eine Zusammenarbeit mit der als homophob geltenden DUP ist auch unter Tories umstritten. Gegründet wurde die nordirische Partei, die auch gegen Abtreibungen mobil macht, 1971 vom umstrittenen Protestantenführer Ian Paisley. Heute wird sie von der 46-jährigen Juristin Arlene Foster geführt. Eine Koalition mit der DUP würde auch die Neutralität Londons im Nordirlandkonflikt infrage stellen. Als weiteres Zeichen für Mays Schwächung traten am Samstag ihre Stabschefs Nick Timothy und Fiona Hill zurück. Medienberichten zufolge hatten führende Mitglieder der Tories Mays Verbleib im Amt vom Rücktritt ihrer Stabschefs abhängig gemacht. Timothy und Hill wurden Medienberichten zufolge zudem für eine „toxische“ Atmosphäre in der Regierungsmannschaft verantwortlich gemacht.
In den britischen Medien steht die Premierministerin massiv in der Kritik. „Sie ist erledigt“, titelte die rechte Boulevard-Zeitung „The Sun“ am Samstag. „May blickt in den Abgrund“ lautete die Schlagzeile der „Times“, „Die Tories wenden sich gegen Theresa“, schrieb die konservative „Daily Mail“.
Das neu gewählte Unterhaus soll am Dienstag zusammentreten. Am 19. Juni sollen die Brexit-Verhandlungen beginnen. Unklar ist, ob der Termin eingehalten wird. Mays Büro erklärte am späten Samstagabend, die Premierministerin habe in einem Telefonat mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bestätigt, dass Großbritannien die Gespräche über den EU-Austritt „wie geplant in den nächsten Wochen“ beginnen wolle.
Die „Mail on Sunday“ berichtete unterdessen, Außenminister Boris Johnson plane, Mays Ablösung zu beantragen. Laut „Sunday Times“ drängen fünf Kabinettsmitglieder Johnson dazu. Johnson dementierte die Berichte. (AFP)
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