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Theresa May und Jean-Claude Juncker nach ihrem Treffen am Montagabend
© FREDERICK FLORIN/AFP
Update

Brexit-Abstimmung: May und Juncker setzen alles auf eine Karte

Ob das Unterhaus die Nachbesserungen am Brexit-Deal akzeptiert, ist ungewiss. Die Einschätzung des Generalstaatsanwalts spricht eher dagegen. Eine Analyse.

Es sind entscheidende Stunden und Tage für Großbritannien und die EU. Während das Unterhaus auf eine Abstimmung über den EU-Austrittsvertrag mit offenem Ausgang zusteuert, ist Jean-Claude Juncker den Briten weit entgegengekommen. Der EU-Kommissionschef möchte gemeinsam mit der britischen Regierungschefin Theresa May den Brexit-Deal nun endlich über die Ziellinie bringen.

May und Juncker teilen damit die Gefühlslage vieler Bürger auf der Insel und auf dem Kontinent, die des endlosen Gezerres um den EU-Austritt der Briten überdrüssig sind. Aber ihre in Straßburg gefundene Last-Minute-Vereinbarung birgt große Risiken.

Der EU-Kommissionschef hat seinen letzten Trumpf ausgespielt

Wenn der Plan von Juncker und May aufgeht, dann wird Großbritannien noch halbwegs pünktlich in den kommenden Wochen aus der EU austreten. Sollte das Unterhaus trotz der Nachbesserungen zum Austrittsvertrag allerdings erneut den Deal ablehnen, dann stünde vor allem Juncker düpiert da.

Sein Zugeständnis, dem zufolge Großbritannien auch in der kommenden Übergangsfrist eine losere Bindung mit der EU anstreben kann, stellt gewissermaßen das letzte Angebot aus Brüssel dar. Es ist ein Trumpf, den Juncker schon jetzt ausspielt. Berechtigterweise will er es nicht auf eine Verlängerung der Brexit-Frist bis weit über den 29. März hinaus ankommen lassen.

Dennoch bleibt die Frage: Wie wollen die EU und Großbritannien gegebenenfalls aus einer Verhandlungs-Sackgasse herauskommen, falls sich das Unterhaus demnächst mehrheitlich für eine Fristverlängerung aussprechen sollte und die Gespräche sich anschließend im Kreis drehen sollten?

Im Kern ist Juncker bei seinem Zugeständnis an May das Risiko eingegangen, das EU-Mitglied Irland zu verprellen. Vor allem in Dublin war jener Backstop von Anfang an sakrosankt, an dem die Zustimmung des Unterhauses zu scheitern droht. Der Backstop soll verhindern, dass in der einstigen Bürgerkriegsregion im Norden der irischen Insel wieder eine harte Grenze entsteht.

Um dies zu verhindern, hatten die Regierung in London und die verbleibenden 27 EU-Staaten eine Lösung ersonnen, der zufolge Großbritannien bis auf Weiteres in der Zollunion und das britische Nordirland sogar im EU-Binnenmarkt bleiben soll. Damit würde zwar die Grenze zwischen Dublin und Belfast offengehalten. Aber die Brexit-Hardliner in den Reihen der Tories befürchteten, dass diese Regelung einen harten Bruch mit der EU unmöglich macht.

Juncker reicht den Brexiteers die Hand

Mit der jüngsten Vereinbarung ist Juncker nun den Brexiteers einen Schritt entgegenkommen. Vor allem mit der Selbstverpflichtung der EU, bis Ende 2020 gemeinsam mit den Briten Ersatzlösungen zum Backstop auszuarbeiten, reicht Juncker den Hardlinern gewissermaßen die Hand.

Gleichzeitig hat er das Kunststück fertiggebracht, trotz der Ergänzungen zum Backstop keinen Proteststurm bei der Regierung in Dublin heraufzubeschwören. Am Morgen nach der Vereinbarung von Straßburg lobte der irischen Regierungschef Leo Varadkar die in aller Eile gefundene Lösung zwischen der Premierministerin und dem Kommissionschef. Offenbar denkt sich auch Varadkar: Lieber ein absehbares Ende des Brexit-Schreckens und eine Abwendung des No-Deal-Szenarios als ein Schrecken ohne Ende.

Schlechtes Omen für Unterhaus-Abstimmung am Dienstagabend

Ob die Strategie Junckers und Mays aufgeht, ist allerdings ungewiss. Die Brexiteers im Unterhaus wollen ihr Abstimmungsverhalten letztlich von der Einschätzung des britischen Generalstaatsanwalts Geoffrey Cox abhängig machen. Der 58-jährige Konservative erklärte am Dienstag, die jüngste Vereinbarung von Straßburg ändere nichts an dem "rechtlichen Risiko", dass Großbritannien gegen seinen Willen in der Zollunion mit der EU gefangen bleiben könnte.

Die Einschätzung von Cox ist kein gutes Omen für die Unterhaus-Abstimmung, die am Dienstagabend geplant ist. Die Brexiteers könnten den Deal durchfallen lassen - und May erneut demütigen wie schon im vergangenen Januar.

Dabei gibt es schon seit langem eine weitere Möglichkeit, die dem EU-Austrittsabkommen im Unterhaus über die Hürde helfen würde: die Zustimmung der Labour-Partei. Aber die wird es bis auf Weiteres nicht geben. Labour-Chef Jeremy Corbyn setzt lieber weiter darauf, dass sich im Parlament demnächst eine Mehrheit für eine möglichst enge Anbindung an die EU im Rahmen einer Zollunion findet. Aber bevor dies passiert, müsste schon die Brexit-Frist bis weit über den 29. März hinaus verlängert werden. Und damit auch die endlose Suche nach den Modalitäten der Scheidung zwischen Großbritannien und der EU.

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