Brexit-Niederlage: May ist zur Geisel der Brexiteers geworden
Nach Theresa Mays Niederlage im Unterhaus könnte es im Brexit-Drama auf eine Fristverlängerung hinauslaufen. Das ist kein Grund zur Beruhigung. Ein Kommentar.
Die britische Regierungschefin Theresa May ist gescheitert. Wie schon bei der letzten entscheidenden Abstimmung im Unterhaus im Januar hat eine große Mehrheit unter den Abgeordneten dem EU-Austrittsvertrag die Zustimmung verweigert. Die Demütigung war für May zwar nicht ganz so schlimm wie vor zwei Monaten. Aber am grundlegenden Problem der Premierministerin gibt es nichts zu deuteln: Sie schafft es nicht, die eigene Partei davon zu überzeugen, dass eine Zustimmung zum ungeliebten Deal mit der EU immer noch besser ist als eine Verlängerung der Brexit-Frist mit unüberschaubarem Ausgang.
Ein harter Brexit gilt auf kurze Sicht als unwahrscheinlich
Dass es zu einer solchen Verlängerung über das eigentlich vorgesehene Austrittsdatum am 29. März hinaus kommt, gilt nach Mays Niederlage nun wahrscheinlich als nächster Akt im Brexit-Drama. Auch wenn die schlechteste aller Optionen – nämlich ein harter Brexit – gleichzeitig auch die unwahrscheinlichste ist, wäre eine Brexit-Verlängerung aber auch kein echter Grund zur Beruhigung. Die politische Ungewissheit bliebe nämlich auch während einer Verlängerungsfrist bestehen.
Bis auf Weiteres ist im Unterhaus keine Mehrheit für irgendeine Option – eine enge Anbindung an die EU, ein harter Bruch mit der Gemeinschaft oder ein zweites Referendum – absehbar. Und am Ende der Verlängerungsfrist, die von der EU noch gebilligt werden muss, stünde dann erneut die Gefahr eines ungeregelten Brexit im Raum.
Auf den ersten Blick hat May die Abstimmung verloren, weil es ihr nicht gelang, die Abgeordneten von einer zusätzlichen Last-Minute-Vereinbarung mit EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker zu überzeugen. Auch wenn sie die Parlamentarier vor der Abstimmung beschwor, die erreichten Fortschritte der Vereinbarung anzuerkennen, war die Skepsis vieler Konservativer mit Händen zu greifen: Sie befürchten, dass Großbritannien auf ewig in einer Zollunion mit der EU festgehalten wird.
Allerdings geht es nur vordergründig um die Rechtsfrage, ob Großbritannien gegen seinen eigenen Willen in der EU-Zollunion gefangen bleibt. Vielmehr ist May – um im Bild zu bleiben – im Verlauf der Brexit-Verhandlungen zunehmend zur Gefangenen der Tory-Brexiteers geworden. Sie haben die Premierministerin vor die unlösbare Aufgabe gestellt, kurz vor dem geplanten Austrittsdatum das Austrittsabkommen noch einmal aufzuschnüren.
Darauf kann sich die EU nicht einlassen. Anderenfalls würde die Gemeinschaft riskieren, dass in der früheren Bürgerkriegsregion im Norden der irischen Insel wieder Schlagbäume errichtet werden. Daher erreichte May bei Juncker nur das vage Zugeständnis, dass beide Seiten bis Ende 2020 nach Alternativen für die gegenwärtige Nordirland-Regelung suchen wollen. Mehr konnte der Kommissionspräsident vor allem aus Rücksicht auf das EU-Mitglied Irland nicht bieten.
Die in London mit großer Spitzfindigkeit betriebene Auseinandersetzung um die Frage, welche rechtliche Bindewirkung die jüngsten Zusicherungen der EU haben, sollte aber nicht über eines hinwegtäuschen: Das eigentliche Drama beim Brexit spielt sich nicht an der Grenze Nordirlands, sondern innerhalb der Tory-Partei ab. Das Schicksal der Brexit-Verhandlungen liegt in den Händen einer Regierungspartei, die im Streit über das künftige Verhältnis zur EU auseinanderzubrechen droht.
Mays Strategie, beide Lager in ihrer Partei mit immer neuen Winkelzügen zufriedenzustellen, geht aber nicht auf. Bei der jüngsten Abstimmung im Unterhaus hat sich ein weiteres Mal ihr Kardinalfehler bei den über eineinhalbjährigen Brexit-Verhandlungen gerächt – die fehlende Einbindung der Labour-Opposition. Hätte May die Partei von Jeremy Corbyn rechtzeitig ins Boot geholt, dann würde heute wohl mehr Klarheit herrschen, wohin Großbritannien steuern wird – nämlich in Richtung einer Zollunion mit der EU. Noch ist es nicht zu spät für May, ihren Fehler zu korrigieren.