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Lautsprecher. Dezente Auftritte sind nicht Matteo Salvinis Sache.
© Gregorio Borgia/AP/dpa

Italiens Innenminister: Matteo Salvini - hart unherzlich

Kapitän, so wird Innenminister Matteo Salvini von Anhängern genannt. Hundert Tage nach der Regierungsbildung steuert er Italien streng nach rechts. Kaum jemand tritt ihm entgegen.

Streng schaut er in Richtung der Journalisten. „Wir machen hier wieder mal einen richtig schlechten Eindruck“, sagt er, „Italien, wie man’s kennt.“ Und als die Fotografen nicht aufhören, lautstark um gute Plätze zu rangeln, wird Matteo Salvini richtig ernst: „Der Nächste, der aufsteht, geht raus!“ Ruhe. Die Pressekonferenz kann beginnen.

Der gemeinsame Auftritt mit dem ungarischen Regierungschef Viktor Orbán in der vergangenen Woche zeigt wieder einmal den ganzen Salvini: Innenminister Italiens seit dem Frühjahr, Dompteur ganzer Säle – auch wenn die vierte Gewalt sie füllt. Einer, der mit der Autorität eines Lehrers unangestrengt Herr im Ring ist. „Il Capitano“, Kapitän, so nennen ihn seine Anhänger.

Seine Autobiografie trägt ein Wortspiel im Titel: „Secondo Matteo“ heißt sowohl „wie Matteo sagt“, als auch „nach Matthäus“ – wie das Evangelium. Im katholischen Italien verstehen sie solche Botschaften. Und sind ihm nicht auch schon ein paar Wunder gelungen? Das jüngste vor drei Monaten, und es dauert immer noch an. Seit sich Matteo Salvini im Mai entschied, mit seiner Partei Lega in eine Koalition mit der Fünf-Sterne-Bewegung einzutreten und Italien mitzuregieren, beherrscht er die Schlagzeilen. Dabei ist Salvinis Lega die Juniorpartnerin in der Koalition, bei der Wahl stimmten 17 Prozent der Italiener für sie – und 33 für die Sterne. Doch während Letztere seit der Wahl so gut wie verstummt sind, vergeht kein Tag, an dem der bullig auftretende Matteo Salvini mit dem großen Mundwerk nicht im Mittelpunkt der Medienaufmerksamkeit steht.

Nicht einmal die Katastrophe von Genua, wo Mitte August die Morandi-Brücke einstürzte, konnte den Lautsprecher lange leise schalten. Die Rettungsteams suchten noch nach Überlebenden, das Land stand unter Schock, die Untersuchungen zu den Hintergründen des Unglücks liefen erst an, da hatte Salvini schon die angeblich Verantwortlichen identifiziert und, assistiert von Giuseppe Conte, dem blassen Premier auf Fünf-Sterne-Ticket, verbal den privaten Autobahnbetreibern die Konzession entzogen.

In den Monaten zuvor hatten die Flüchtlingsboote auf der Mittelmeerroute Salvini – und seiner Weigerung, ihnen Italiens Häfen zu öffnen – eine Dauerpräsenz auf allen ersten Web- und Zeitungsseiten gesichert, im Land wie in ganz Europa. Das Thema nutzt ihm nach wie vor. Nun ermittelt sogar die Justiz gegen ihn, weil er die „Diciotti“, ein Schiff der Küstenwache, das Flüchtlinge aufgenommen hatte, tagelang in keinen Hafen einlaufen ließ. Der Vorwurf: Freiheitsberaubung. Für Salvini ist das vor allem eine Gelegenheit, sich, wie einst Berlusconi, als Justizopfer zu inszenieren.

Um Fakten schert er sich nicht

Besonders Genua aber ist ein Musterbeispiel für das System Salvini. „Er versteht von jedem Thema wenig, aber er redet über alles“, schreibt Matteo Pucciarelli, der ihn als Mailänder Korrespondent von „La Repubblica“ lange aus der Nähe beobachten konnte und eine Biografie über ihn verfasst hat. Auch dies lasse Salvini so angenehm normal in den Augen derer erscheinen, die er überzeugt. „Man erkennt sich sogar wieder in ihm.“

„Einer von uns“ zu sein, auf dieses Image legt Salvini Wert. Der gebürtige und überzeugte Mailänder wohnt nicht im teuren Zentrum von Italiens heimlicher Hauptstadt, sondern in einer Zwei-Zimmer-Wohnung am Stadtrand. In Land-Diskos trinkt er Bier aus Plastikbechern und im Stadion San Siro jubelt er seinem AC Mailand zu. Statt Maßanzügen trägt er Turnschuhe und Sweatshirt. Selbst im eigenen Lager seufzen sie beim Gedanken an „il look“ von Italiens neuem starken Mann. „Verschafft dem Legisten Salvini einen Schneider und ihr bekommt vielleicht einen richtigen Parteichef“, schrieb der rechte Journalist Vittorio Feltri. „Wenn er im Fernsehen auftaucht, als sei er gerade von einem Migrantenboot in Lampedusa an Land gegangen, dann ist das kontraproduktiv.“

Salvinis vermeintlich volksnahes Verhältnis zu Fakten und Hintergründen – er schert sich schlicht wenig um sie – hat vor allem, wie Biograf Pucciarelli nachweist, den großen Vorzug, dass er immer schneller ist als die Konkurrenz. Wichtig im Zeitalter des Internets. Den absoluten Publikumsrekord erlebte Salvinis Facebook-Seite in der Woche nach den Attentaten von Paris. Salvini nutzte das Geschehene ausgiebig für Markiges gegen die „islamistische Gefahr“, was ihm 29 Millionen Nutzer auf die Seite spülte – bei insgesamt nur 27 Millionen italienischen Usern. Jeder, der in Italien auf Facebook ist, landet demnach früher oder später auf Salvinis Profil.

Sein Profil jenseits des Netzes ist unspektakulär. Der Sohn eines leitenden Firmenangestellten und einer Hausfrau wurde im März 1973 geboren und wuchs am Stadtrand von Mailand in einer eher unpolitischen Familie auf. Er besuchte eine katholische Grundschule und später das renommierte altsprachliche Manzoni-Gymnasium in Mailand. Sein Abiturzeugnis soll brillant gewesen sein, weniger brillant, jedenfalls ohne Abschluss, blieb sein Geschichtsstudium, für das er mehr als 20 Jahre lang eingeschrieben war. Wechselvoll, aber so durchschnittlich, wie er sich gern zeigt, ist auch Salvinis Familienleben: Eine Scheidung, keine Skandale. Mit seiner Ex-Frau hat er einen 15-jährigen Sohn, mit einer späteren Lebensgefährtin eine jetzt sechsjährige Tochter. Inzwischen ist er mit einer Fernsehmoderatorin zusammen.

"Die Italiener zuerst"

Schon als Student war Matteo Salvini in Umberto Bossis Lega Nord aktiv, in Shows der Berlusconi-Sender sammelte er TV-Erfahrung, die ihn heute, neben einer offenbar natürlichen Begabung, zum bevorzugten Gast sämtlicher Talkrunden macht. Das Bild, das Salvini von sich pflegt, ist das des Beschützers der Schwachen – freilich nur derer, die einen italienischen Pass haben. Als gemeinsame Feinde hat die Lega die Europäische Union und die vermeintliche Invasion der Flüchtlinge übers Meer ausgemacht. „Die Italiener zuerst“ steht groß auf seinem Twitter-Profilbild.

Der Hashtag #primagliitaliani mag jene verwundern, die sich an die Ursprünge der einstigen Lega Nord erinnern. So verhasst wie heute Brüssel war ihren Gründervätern und wenigen -müttern einst „Roma ladrona“, das räuberische Rom. Italien war in ihren Augen eine unterdrückerische Kolonialmacht, die den Reichtum des fleißigen Nordens verprasste. Parteiübervater Umberto Bossi schwor, die Landesfarben sehe man bei ihm zu Hause nur auf der Toilette: „Mit der Trikolore wische ich mir den Arsch ab.“

Doch seit Salvini ihn beerbt hat, definiert sich die Lega italienischer als je eine Partei des Landes, „i Lumbàrd“, die stolzen Lombarden, wollen sich nicht mehr von Mamma Roma abspalten, sondern sie erobern. Der Reiseschriftsteller Paolo Rumiz bemerkte einst, man müsse nur einmal auf einem ihrer Grillfeste gewesen sein, um zu wissen: „Es gibt nichts Italienischeres als die Lega. Dieses laute Dorfleben, die schöpferische Anarchie, das Schimpfen auf den Staat, der auch fürs schlechte Wetter verantwortlich gemacht wird – das ist die Quintessenz des Landes, italienischer als Spaghetti.“

Salvinis Wende scheint gelungen, die Italianisierung akzeptieren selbst die „Reinen und Harten“ unter den Leghisti, auch wenn es um die Streichung des Artikels 1 des Parteistatuts noch Konflikte gibt – er sieht die Abspaltung von Italien vor. Die Landsleute im Süden, von der Lega jahrzehntelang als „terroni“ geschmäht, was mit „Bauern“ oder „Dörfler“ eher schwach übersetzt ist, honorieren den neuen Kurs ebenfalls. Norditalien bleibt zwar auch ausweislich der Stimmenergebnisse Lega-Land, aber Salvini hat auch im Süden Anhänger gewonnen. In einer sizilianischen 4000-Seelen-Gemeinde erzielte er etwa 33 Prozent, in Lampedusa kam er auf 17. Darunter auch Stimmen von links.

Gegen die "Arroganz der Eliten"

In Salvinis Augen kein Wunder. Als Student besuchte er linke Zentren, die erste politische Gruppe, die er gründete, hieß „Kommunisten Padaniens“. Matteo Salvini sagt: „In der europäischen Rechten sehe ich mehr linke Werte vertreten als in einer gewissen Linken. Unsere Parteien und Bewegungen sind heute die, die die Arbeiter verteidigen, die gerechte Kämpfe ausfechten.“

Wie Marine Le Pens „Front National“ in Frankreich, so schreibt Salvinis Biograf, sei dessen Rechte nicht mehr im Kampf gegen die Linke, sondern denke in oben und unten: Wir, das Volk, gegen die Arroganz der Eliten in Rom, der Eurokraten, der Bankiers und Weltkonzerne. Beim Auftritt mit Viktor Orbán fiel wieder eine Anspielung auf George Soros, den jüdischen US-Mäzen, den Orbán als Erzfeind betrachtet und der für Salvini jener ist, „der die europäischen Eliten finanziert“. Der antisemitische Unterton ist in der Lega kein Ausrutscher. Als links kann man ihr Programm nur lesen, wenn man davor die Augen verschließt – und vor etwas anderem: Ihr „Wir“ der Vergessenen und Verachteten grenzt nicht nur das Gros derer aus, die eine andere Hautfarbe haben, sondern definiert sie zu Feinden um. Vor Jahren grölte Salvini noch im Stadion gegen die „stinkenden Neapolitaner“, vor denen sich sogar Hunde ekelten. Das hört man heute nicht mehr von ihm. Aber seine täglichen Aussagen gegen Ausländer sind vom selben Geist.

Wenn er etwa in der Sendung „Die Fünfte Kolonne“ eines Journalistenfreundes das Schicksal italienischer Arbeitsloser beklagt, denen es schlechter gehe als Migranten: „Wenn ein italienischer Bürger in Sizilien mit 50 seine Arbeit verliert, verdient er vielleicht etwas mehr Aufmerksamkeit als einer, der morgen früh vom Schiff an Land geht.“ Dabei blickt er dem gegnerischen, früheren PD-Abgeordneten Khalid Chaouki ins Gesicht wie ein genervter Lehrer einem begriffsstutzigen Schüler: „Stimmt es oder stimmt es nicht, dass die auf Staatskosten in Hotels untergebracht sind?“ Riesenapplaus im Studio, die Erwiderung Chaoukis, dass dies in der ersten Not geschah, wird kaum gehört.

Woran glaubt er wirklich?

Einst Sezessionist – jetzt national; selbst ernannter und teils echter Erbe der Linken – aber rechtsradikal; EU-Hasser – obwohl er zweimal aus Rom ins Abgeordnetendasein nach Straßburg floh; dazu Lobsänger der hart arbeitenden einfachen Bürger – obwohl er wie sein Vorgänger Umberto Bossi nie einen anderen Beruf hatte als die Politik: Salvini und seine gewendete Lega sind beide voller Widersprüche. Woran er wirklich glaubt, ist nicht zu fassen.

Sein ganzes politisches Leben setze der eigenen Chamäleonhaftigkeit ein Denkmal, schreibt Salvinis Biograf Pucciarelli. Der prophezeite dem Politiker schon vor zwei Jahren, dass seine Methode – Worte statt Taten, Unbekümmertheit um Fakten, das ständig neue Erfinden von Feinden und Bedrohungsszenarien – auch in den Untergang führen könnte, sobald er an der Macht sei. Salvini hetzt gegen Migranten, doch er hat Arbeit und Steuerreformen versprochen. Daran würden sich die Italiener über kurz oder lang erinnern.

Durch Salvinis erste Monate im Innenministerium sieht Pucciarelli sich bestätigt. „Wie so oft verändert Macht Menschen tiefgreifend“, sagt er. „Salvini ist gerade dabei, den Verstand zu verlieren.“ Er überschreite jetzt selbst die wenigen Grenzen, die er früher achtete, spreche ohne eine Spur Menschlichkeit über die Migranten. „Er reißt, anders als früher, sogar Witze über Menschenleben, Ton und Sprache sind zutiefst faschistisch geworden.“ Dass Salvini angefangen habe, sich allmächtig zu fühlen, nehme ihm genau das, womit er nach oben gekommen sei: „zu wirken wie der Junge von nebenan“.

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