Aggression gegen Polizisten: „Maskenmuffel verhalten sich unsolidarisch und undemokratisch“
Warum sind einige Anti-Corona-Vorschriften so umstritten - andere nicht? Zwei Faktoren sind entscheidend für die Akzeptanz, sagt ein Verfassungsrechtler.
Mit deutschlandweit steigenden Corona-Fallzahlen wächst die Kritik an Maskenverweigerern. „In einem demokratischen Rechtsstaat ist es unverzichtbar, dass rechtlich bindende Regeln auch akzeptiert und eingehalten werden“, sagte der Berliner Verfassungsrechtler Ulf Buermeyer am Sonntag dem Tagesspiegel.
„Beispielsweise verhalten sich Maskenmuffel zutiefst undemokratisch, wenn sie rechtliche Grenzen nicht anerkennen.“ Sie verhielten sich auch unsolidarisch, „weil sich Krisen wie jetzt die Corona-Pandemie nur effektiv bewältigen lassen, wenn alle Menschen mitziehen“.
Buermeyer ist einer der Gründer der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) und gestaltet gemeinsam mit dem Journalisten Philip Banse den wöchentlichen Politik-Podcast „Lage der Nation“ - die Frage, welche Einschränkungen zur Eindämmung der Coronakrise notwendig sind, treibt ihn seit Monaten um.
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Buermeyer sagt, die Politik habe wesentlichen Einfluss darauf, dass die Menschen Vorschriften akzeptieren. Zwei Faktoren seien dabei entscheidend: „Zum einen müssen Anti-Corona-Maßnahmen verhältnismäßig sein, also insbesondere auf einer wissenschaftlichen Grundlage beruhen, zum anderen müssen sie plausibel begründet und kommuniziert werden.“ Bei den meisten Maßnahmen der vergangenen Monate sei dies der Fall gewesen. „Fehler wie etwa das Totalverbot von Demonstrationen im Frühjahr wurden schnell korrigiert.“
Polizisten werden angepöbelt, bespuckt und angehustet
Trotzdem eskalieren die Auseinandersetzungen über die Einhaltung der Corona-Regeln immer häufiger. Das jedenfalls erklärt die Gewerkschaft der Polizei (GdP). Ihr Vizechef Jörg Radek sagte am Wochenende der Nachrichtenagentur dpa: „Nach wie vor gibt es immer noch eine hohe Akzeptanz für die Corona-Regeln, aber wir spüren auch, dass die Stimmung beginnt, aggressiver zu werden - zum Beispiel wenn wir als Polizei die Maßnahmen durchsetzen wollen.“
Und: „Da kommt es dann zu Widerstand. Das fängt an mit Beleidigungen, dann wird gepöbelt, gespuckt, angehustet. Das alles erleben unsere Kolleginnen und Kollegen in dieser Pandemie.“
Vor allem die Maskenpflicht und das Abstandsgebot sorgen immer wieder für Streit. Die Maskenpflicht wurde im April von den ersten Ländern im öffentlichen Nahverkehr und im Einzelhandel eingeführt, teilweise schritten dabei auch einzelne Städte wie beispielsweise Jena in Thüringen voran. Zuletzt wurde sie zum Teil auch auf andere öffentliche Bereiche mit Menschenansammlungen ausgeweitet.
Berlin will Maskenpflicht ausweiten
In Berlin sollen am Dienstag drastisch verschärfte Regeln beschlossen werden. Laut dem finalen Entwurf der neuen Infektionsschutzverordnung soll demnach eine Maskenpflicht auf Märkten und anderen öffentlichen Plätzen gelten. Zudem dürfen sich dann maximal fünf Personen gemeinsam im öffentlichen Raum aufhalten - oder mehrere Angehörige zweier Haushalte.
Wie aus Meldungen der Landespolizeien hervorgeht, kam es zuletzt nahezu täglich zu Auseinandersetzungen wegen Corona-Regeln. In einem Supermarkt im sächsischen Zwickau schlug ein Mann kürzlich mit einer Axt um sich, als er an die Maskenpflicht erinnert wurde.
In Mülheim in Nordrhein-Westfalen erfasste eine 66-Jährige nach einem Supermarkt-Einkauf mit ihrem Auto einen 55-Jährigen und verletzte ihn leicht. Dieser hatte die Frau zuvor zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes und zum Abstandhalten aufgefordert. Im bayerischen Kaufbeuren wurden fünf Polizisten bei einer Kontrolle in einer Bar leicht verletzt. Und auch im Bahnverkehr, wo die Maskenpflicht gilt, eskalierten Kontrollen.
Probleme auch durch aggressive Maskenbefürworter
Die Einsätze gehen nicht nur von Maskenverweigerern aus. Auch Bürger, die geschützt werden wollen, forderten zuletzt ihre Schutzrechte stärker und zum Teil auch aggressiver ein und wiesen zum Beispiel Menschen ohne Mund-Nasenschutz auf ihr Fehlverhalten hin. „Daher kommt es nun insgesamt mehr zu solchen Einsätzen“, sagt Polizeigewerkschafter Radek - mit Zahlen belegen lasse sich dieser Trend aber nicht.
Der Aufwand für die Polizei, die Corona-Allgemeinverfügungen durchzusetzen, ist zum Teil erheblich. Im sächsischen Erzgebirgskreis, der am vergangenen Montag zum Corona-Risikogebiet erklärt wurde, holten die örtlichen Polizisten am Wochenende Einsatzkräfte der sächsischen Bereitschaftspolizei und des Hauptzollamts Erfurt zu Hilfe. Insgesamt waren dort 53 Beamte im Einsatz.
In der Kreisstadt Annaberg-Buchholz wurden Verstöße in mehreren Gastwirtschaften geahndet. In einem Lokal konnten die Mitarbeiter weder ein Hygienekonzept nachweisen noch eine Kontaktverfolgung gewährleisten - die Kneipe wurde geschlossen.
„Beherbergungsverbote weitgehend sinnlos“
Nach Einschätzung des Verfassungsrechtlers Buermeyer, der lange Jahre Richter im Land Berlin war, haben insbesondere die Beherbergungsverbote in den vergangenen Tagen viel Vertrauen verspielt: „Solche Regeln sind aus medizinischer Sicht weitgehend sinnlos, greifen aber massiv in die Grundrechte der Reisenden und der Menschen ein, die Hotels und Pensionen betreiben. Das passt aus einer grundrechtlichen Perspektive nicht zusammen - nicht umsonst hielten die Beherbergungsverbote der Überprüfung durch die Gerichte nicht stand“, sagt er.
Wer in der Pandemie politische Entscheidungen treffe, sollte seiner Meinung nach aus dem „Fiasko mit den Beherbergungsverboten“ lernen und Maßnahmen unbedingt aus medizinischen Erkenntnissen ableiten. „Beschränkungen müssen außerdem so begründet werden, dass Bürgerinnen und Bürger sie auch verstehen.“
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