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Martin Schulz (l.) unterstützt Jean-Claude Juncker.
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Update

EU-Wahl: Kommissionspräsident: Martin Schulz unterstützt Jean-Claude Juncker

Jean-Claude Juncker will verhindern, dass es im Streit über seine Ernennung zum EU-Kommissionschef zu einem europäischen Zerwürfnis kommt und erhält in Martin Schulz einen prominenten Fürsprecher. Angela Merkel bringt eine neue Kandidatin ins Spiel.

In der Diskussion um den Posten des künftigen EU-Kommissionspräsidenten hat der SPD-Europapolitiker Martin Schulz die Gegner des konservativen Spitzenkandidaten Jean-Claude Juncker zum Einlenken aufgefordert. Der umstrittene Luxemburger startete derweil eine Charmeoffensive in Richtung des britischen Premiers David Cameron.

„Das ist nicht die Zeit für Parteipolitik. Der Wahlkampf ist beendet“, sagte Schulz, der unterlegene Präsidentschaftskandidat der Sozialdemokratische Partei Europas (SPE) bei Spiegel Online. „Jetzt ist die Stunde, das zu tun, was notwendig ist, damit wir auf unserem Kontinent Frieden und Wohlstand bewahren und neue Stärke gewinnen.“ Schulz betonte, dass Juncker aus seiner Sicht der Favorit für den Posten des Kommissionspräsidenten sei. „Viele Sozialdemokraten, Konservative und andere sind bereit, einer neuen EU-Kommission unter Führung von Jean-Claude Juncker das Vertrauen auszusprechen, wenn sie diese Aufgaben beherzt angeht und sie so Europa und seine Mitgliedsstaaten stärkt.“

Zuvor hatte der siegreiche Spitzenkandidat der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) bei der Europawahl, Jean-Claude Juncker, betont, er gehe trotz der Ablehnung des britischen Regierungschefs David Cameron fest davon aus, dass er der nächste EU-Kommissionspräsident wird. Derzeit lotet Juncker mögliche Gemeinsamkeiten mit Cameron aus. „Wir wollen mit den Briten einen fairen Deal finden“, hieß es am Dienstag aus dem Umfeld Junckers.

Juncker verhandelt in zwei Richtungen

Die EVP ist bei der Europawahl mit 214 von 751 Mandaten die stärkste Fraktion im Europaparlament geworden. Damit verfügt Juncker in den Augen der meisten Europaabgeordneten über einen Auftrag, sich eine Mehrheit für eine Wahl zum Kommissionschef zu suchen. Stattdessen verlangen die Briten, anstelle der Europawahl-Spitzenkandidaten noch einmal grundlegend neu über Führungsleute an der Spitze der EU-Kommission nachzudenken. Schon vor der Europawahl hatte Cameron zu erkennen gegeben, dass er weder Juncker noch seinen sozialdemokratischen Kontrahenten Martin Schulz (SPD) auf dem Posten des Kommissionschefs sehen will. Beide Kandidaten streben nach der Auffassung Camerons zu sehr auf eine Vertiefung der EU hin. Nach den Angaben aus seinem Umfeld führt Juncker derzeit Koalitionsverhandlungen über sein künftiges Programm in zwei Richtungen. Einerseits gelte es, die Unterstützung der beiden großen Fraktionen im Europaparlament, der EVP und der Sozialdemokraten, zu gewinnen. Gleichzeitig seien Verhandlungen mit sämtlichen 28 Staats- und Regierungschefs – also auch mit Cameron – zu führen. „Wir wollen nicht, dass durch die Ernennung des Kommissionspräsidenten Europa gespalten wird“, hieß es.

Enthält sich Cameron bei der Abstimmung über Juncker?

Die Staats- und Regierungschefs werden voraussichtlich beim Gipfel Ende Juni einen Vorschlag für die Nachfolge des scheidenden EU-Kommissionschefs José Manuel Barroso machen. „Dieser Vorschlag kann mit Großbritannien erfolgen – was wir hoffen – oder ohne Großbritannien“, hieß es weiter. Denkbar sei auch, dass sich Cameron beim EU-Gipfel der Stimme enthalte.

In den Verhandlungen mit Cameron gibt es für Juncker allerdings auch einige rote Linien. Beispielsweise sei es unakzeptabel, die Personenfreizügigkeit im EU-Binnenmarkt einzuschränken, hieß es. Für Camerons Wunsch einer Neuverhandlung der britischen EU-Mitgliedschaft habe Juncker hingegen ein offenes Ohr.

Juncker: London darf eine Vertiefung der Euro-Zone nicht blockieren

Juncker hatte bereits im Wahlkampf erklärt, dass er als Kommissionspräsident eine Antwort auf die britische Frage geben wolle. In der kommenden europäischen Legislaturperiode müssten Lösungen für die politischen Anliegen Londons gefunden werden, hatte Juncker erklärt. In seinen Augen solle einerseits die besondere Rolle Großbritanniens, das beim Euro und dem grenzüberschreitenden Schengen-Raum nicht dabei ist, akzeptiert werden. Zudem hat Juncker nichts dagegen, dass Großbritannien bei neuen EU-Institutionen außen vor bleibt, wie beispielsweise der Europäischen Staatsanwaltschaft.

Die neue Einrichtung soll die Betrugsbekämpfung in der EU verbessern, wurde aber vom britischen Parlament abgelehnt. Andererseits fordert Juncker, dass die Länder in der Euro-Zone die Möglichkeit haben müssten, die Integration zu vertiefen. „Das Vereinigte Königreich wird verstehen müssen, dass wir in der Eurozone mehr Europa brauchen, nicht weniger“, heißt es im Wahlkampf-Manifest des ehemaligen Luxemburger Regierungschefs.
Juncker setzt darauf, dass ihn die Staats- und Regierungschefs - nicht zuletzt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) - beim Gipfel Ende Juni mehrheitlich vorschlagen und die Europaabgeordneten Mitte Juli diesem Vorschlag zustimmen werden. Erst anschließend sieht das Procedere die Bildung der neuen Kommission vor. Dem Gremium soll aus Sicht der SPD auch der Spitzenkandidat Schulz angehören, während die Union den Posten des deutschen Kommissars ebenfalls für sich beansprucht.

Der Wahlsieger kann sich Schulz als Vize gut vorstellen

„Wenn Frau Merkel Herrn Schulz vorschlägt, dann wird Herr Juncker sich sicherlich darüber freuen“, hieß es aus dem Umfeld des Luxemburger Ex-Premiers. In jedem Fall wäre es sinnvoll, wenn sich ein prominenter Politiker aus den Reihen der europäischen Sozialdemokraten in der künftigen Kommission in der Rolle eines „Vizekanzlers“ wiederfinden würde, hieß es weiter.

Merkel lotet aber offenbar auch andere Möglichkeiten aus. Wie die Nachrichtenagentur Reuters am Dienstag berichtete, soll sie die Chefin des internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde, als neue Kommissionspräsidentin ins Gespräch gebracht haben. Französischen Insidern zufolge soll die Kanzlerin den französischen Präsidenten François Hollande in einer privaten Unterredung gefragt haben, ob er seine Landsfrau unterstützen würde. Schon vor der Europawahl war spekuliert worden, ob der erwartete Widerstand des Parlaments dadurch gebrochen werden könnte, dass erstmals eine Frau Kommissionschefin wird. (mit dpa)

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