SPD-Fraktionsvize Lauterbach: "Martin Schulz ist der Antityp zu Angela Merkel"
SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach sieht in Kanzlerkandidat Schulz die glaubwürdigere Alternative. Schulz werde im Wahlkampf über sich hinauswachsen, sagt er im Interview.
Herr Lauterbach, Sie haben sich schon für eine Kanzlerkandidatur von Martin Schulz stark gemacht, als andere noch das hohe Lied von Sigmar Gabriel sangen. Was kann Schulz bei der Wahl am 24. September erreichen?
Schulz ist für die jetzige Situation klar der bessere Mann. Gabriel wird stark mit der großen Koalition verbunden. Die ist nicht nur unbeliebt, sie hat auch dazu geführt, dass der rechte Rand sich von der Demokratie absetzt. Wir brauchen jetzt jemanden, der nicht mit dieser Koalition identifiziert wird. Und der für eine knallharte Abgrenzung zum Rechtspopulismus steht.
Schulz fehlt aber eine realistische Machtperspektive, ohne die hierzulande noch niemand Kanzler geworden ist....
Viele spätere Regierungschefs hatten acht Monate vor der Wahl noch keine Machtperspektive. Man muss dafür kämpfen, dann kommt sie auch. Für die hervorragenden Umfragewerte von Schulz können wir uns im Moment zwar noch nichts kaufen. Aber ich kenne ihn. Er wird im Wahlkampf über sich hinauswachsen.
Glauben Sie denn, dass die Aussicht auf Rot-Rot-Grün, gerade in unruhigen Zeiten wie diesen, besonders verlockend wirkt?
Das ist ja längst nicht die einzige Machtoption. Denkbar ist auch eine Ampel-Koalition, selbst Rot-Grün ist nicht ausgeschlossen. Ich versichere Ihnen: Wir machen keinen Wahlkampf für Rot-Rot- Grün. Wir werden unseren Gegnern nicht den Gefallen tun, wieder eine Rote-Socken-Kampagne loszutreten. Wir gehen ohne Koalitionsaussage in die Bundestagswahl, nur mit einer klaren Absage an die AfD.
Auf Schulz werden die unterschiedlichsten Hoffnungen und Erwartungen projiziert. Wissen Sie, welchen Plan er für die Zukunft dieses Landes hat?
Ich bin seit langem mit Martin Schulz befreundet. Er steht für drei Grundwerte. Für ein geschlossenes vereintes Europa, das in den nächsten Jahren als Vorbild für Demokratie weltweit eine ganz besondere Rolle auszufüllen hat. Er steht für soziale Gerechtigkeit. Schulz war einer der ersten, der gesagt hat, dass wir nicht Milliarden zur Bankenrettung ausgeben und gleichzeitig Jugendarbeitslosigkeit und Altersarmut hinnehmen dürfen. Und er ist durch und durch freiheitlich orientiert.
Was heißt das?
Seine Überzeugung ist, dass jeder sein Leben führen können soll, ohne Einschränkung durch Fremdenhass oder andere Ressentiments. Werte und Haltungen – das ist es, was ihn so glaubwürdig macht. Wir haben derzeit ja sehr viele Technokraten in der Politik, deren Vorstellungen aus Werten nicht klar ableitbar sind.
Sie sprechen von der Bundeskanzlerin?
Angela Merkel ist tatsächlich ein Gegenbeispiel. Niemand wird bestreiten, dass sie eine begnadete Pragmatikerin ist, eine gute Technokratin der Macht. Aber für welche Werte sie genau steht und wie sich die verändert haben, weiß keiner so genau. Auch ihre Mitstreiter in der Union nicht. Sie erweckt den Eindruck, dass es ihr mehr um Machterhalt geht als um die Durchsetzung bestimmter Werte. Das schürt Politikverdrossenheit. Schulz ist der Antityp zu Merkel.
Was für eine Rede wird Schulz nach seiner Nominierung am Sonntag halten?
Es wird nicht um Klein-Klein gehen, insbesondere nicht um Wahlkampfgeschenke wie das CSU-Müttergeld zum Beispiel. Martin Schulz wird die Partei aufrichten. In Teilen hat die SPD ja ihren Glauben an sich selber verloren, einige sind sogar politisch depressiv geworden und chronisch unzufrieden mit der Partei. Schulz ist derjenige, der der SPD Mut macht, Visionen gibt. Er wird an die Partei appellieren, sich wieder auf ihre Werte zu besinnen und an sich selber zu glauben.
Trotzdem: Was haben die Wähler von der SPD konkret zu erwarten? Die Abschaffung der privaten Krankenversicherung?
Wir werden für die Durchsetzung der Bürgerversicherung kämpfen. Dabei geht uns aber nicht platt um die Abschaffung der privaten Krankenversicherung. Sie darf innerhalb eines Systems, in dem Reiche für Arme und Gesunde für Kranke einstehen, sehr wohl weiter am Wettbewerb teilnehmen. Wir wollen nur, dass jeder Versicherte gleich behandelt wird, unabhängig von Herkunft und Einkommen. Und ich weiß: Für Martin Schulz ist die Bürgerversicherung ein zentrales Anliegen.
Müssen Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen entlastet und die Reichen stärker zur Kasse gebeten werden?
Ja, natürlich. Die mittleren Einkommen werden zu hoch belastet. Und viele Menschen sind ganz vom Wohlstandzuwachs abgehängt. Das ist nicht nur ungerecht, es bremst auch das Wirtschaftswachstum - weil es der Binnenkonjunktur schadet. Wir können uns aber kein Wahlprogramm leisten wie die Linkspartei, bei der das Geld für alle Wünsche herbeigezaubert wird. Was wir zusätzlich einnehmen, muss auch reichen, um die Segnungen zu bezahlen.
Der scheidende SPD-Chef Gabriel hat sich selbst ins Auswärtige Amt versetzt. Auch Vizekanzler will er bleiben. Welche Rolle soll er denn im Wahlkampf spielen?
Das Wichtigste ist, dass er in seinem Amt überzeugt. Wir brauchen einen erfahrenen und durchsetzungsfähigen Außenminister. Das ist Sigmar Gabriel ohne Wenn und Aber. Ich bin mir sicher, er wird sein Amt mit Statur, Kompetenz und großem Interesse füllen.
Hat Gabriel als Außenminister wirklich die Zeit, sich mehr um seine Familie zu kümmern wie angekündigt. Oder bedeutet seine Äußerung, dass er sich nach der Wahl aus der ersten Reihe der Politik zurückzieht?
Ich hoffe, dass er das nicht tut. Ein Außenminister ist natürlich auch sehr belastet, allein durch seine Reisen. Aber nicht wie ein Kanzlerkandidat oder Kanzler der gleichzeitig auch Parteichef ist.