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Markus Söder (CSU) im Red-Bull-Modus
© Peter Kneffel/dpa

Droht eine „Wechselstimmung“?: Markus Söder wird jetzt schon ganz hibbelig

Wegen eines Absturzes in den Umfragen liest der CSU-Chef gleich der ganzen Union die Leviten: raus aus dem „Kamillentee-Modus“. Was bezweckt er damit?

Das Dasein eines CDU-Vorsitzenden muss man sich im Augenblick geradezu schizophren vorstellen. Am Donnerstagabend sitzt Armin Laschet virtuell vor einer guten Hundertschaft von CDU-Kreisvorsitzenden. Die Stimmung ist verhalten, aber nicht aufgeheizt; einige Parteigänger fordern ihn sogar geradeheraus auf, die Kanzlerkandidatur an sich zu ziehen.

Am Freitagfrüh bescheinigt ihm das „Politbarometer“, dass er dazu selbst in den Augen der eigenen Anhängerschaft nicht taugt: Gerade mal 28 Prozent der Anhänger von CDU und CSU hielten den Nordrhein-Westfalen für geeignet, melden die Demoskopen.

Nun ist dieser Unterschied zwischen Binnenecho und Außenwahrnehmung in Wahrheit gar nicht so groß, wie er scheint. Den Kreisvorsitzenden ist genauso klar, dass die Lage ernst und die Stimmung im Land mies ist; einige haben das auch so gesagt und dringend angemahnt, man müsse besser werden, vor allem beim Testen und Impfen.

Im Stillen zweifelt mancher der Funktionäre auch genauso wie die demoskopisch befragte Basis, ob Laschet der Richtige ist, den Unionskarren aus dem Dreck zu ziehen. Aber die Kreischefs sind Realpolitiker genug, um ihrem neuen Parteichef nicht bei der ersten Gelegenheit ein Scherbengericht zu bereiten.

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Am Tag vorher beim Treffen mit dem Wirtschaftsflügel blieb harte Kritik ebenfalls aus. Friedrich Merz war diesmal nicht dabei, und Laschet redete wenig nett über die Grünen und sehr wohlwollend über eine Unternehmensteuerreform. Die Lage werde ja nicht besser, sagt hinterher ein Teilnehmer, wenn die CDU sich nun obendrein selbst zerfleischt.

Tiefer Blick ins Umfrageloch

Der Blick in den Abgrund ist auch so tief genug. Die Forschungsgruppe Wahlen bestätigt in ihrer Auswertung für das ZDF den Umfragetrend. Die Union sinkt nicht nur auf die miesen Werte vor der Pandemie, sondern auch noch im Rekordtempo. Minus sieben Prozent auf 28 Prozent messen die Demoskopen. Die Grünen steigen auf 23 Prozent.

Noch dramatischer sieht das in der „politischen Stimmung“ aus, den Rohdaten ohne Gewichtung: Da überholen die Grünen CDU und CSU um einen Punkt.

Markus Söder macht das gleich ganz hibbelig. Der CSU-Chef will eigentlich den neuen Verhaltenskodex vorstellen, mit dem der Parteivorstand auf die Maskenaffären reagiert. Aber solche Zahlen könne man ja nicht ignorieren.

„Es sortiert sich völlig neu“, warnt der Bayer; eine „Wechselstimmung“ drohe. Für die Union stelle sich nicht mehr die Frage, wie sie regiere, sondern ob. Sie müsse „wieder kämpfen lernen“, den „Programmturbo“ anwerfen, raus aus dem „Kamillentee-Modus“ und Red Bull schlucken oder wenigstens Cola light.

Wie das gemeint sei, fragt ein Journalist in München. Söder versteht die Frage absichtlich nicht. Aber „Programmturbo“ in seinem Sinne ist es wohl kaum, wenn Laschet plant, am Dienstag eine Rede zu halten, die einen Basisdiskussionsprozess einleitet, der in einen Programmprozess mündet.

Auch die Frage nach dem Kanzlerkandidaten wimmelt Söder ab, schiebt aber den nächsten Giftpfeil sofort hinterher: Er habe gerade das Politbarometer gesehen. Da liegt er selbst bei Zustimmungswerten von 56 Prozent – in der gesamten Wählerschaft, nicht nur der Union.

Die Maskenaffäre geht immer weiter

Das ist insofern besonders bemerkenswert, als die CSU in der Maskenaffäre mit prominenteren Verdächtigen vertreten ist als die CDU. Jetzt wird auch noch offenbar, dass CSU-Urgestein Peter Gauweiler vom Mövenpick-Baron August von Finck über die Jahre Millionen erhielt. Strafbar erscheint das zunächst nicht, für peinliche Nachfragen trotzdem gut.

Dafür hat die CDU den problematischeren Fall am Hals. Der Thüringer Mark Hauptmann trat am Freitag aus der Partei aus, nachdem er Besuch von der Staatsanwaltschaft bekam. Die fand handfeste Hinweise, dass Kaufmann eine knappe Million Euro für ein Maskengeschäft kassiert hat.

Armin Laschet (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen
Armin Laschet (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen
© Federico Gambarini/dpa

Aus dem Bundestag war Kaufmann schon ausgeschieden, allerdings nur, weil ihm dubiose Verbindungen zu Aserbaidschan nachgesagt werden. Vorher hatte er aber noch unterschrieben, keine Geschäfte mit der Pandemie gemacht zu haben. Die Unionsfraktion hat nun das nächste Problem am Hals. Sie hat von jedem Abgeordneten eine Ehrenerklärung verlangt, um sich vom Generalverdacht zu entlasten. Das Mittel wird durch den falschen Schwur diskreditiert.

Doch so sehr die Affären die Union moralisch in Bedrängnis bringen, das Hauptproblem bleibt die Pandemie.

Nerven verlieren, Nerven zeigen

Auch dazu hat Söder wieder etwas zu sagen. Die Glaubwürdigkeit der Union als Krisenpartei stehe in der Kritik, deshalb sei „klare Linie“ nötig: Notbremsen „konsequent“ ziehen, keinen „Ermüdungsbruch“ zulassen, nicht kurzfristigen Stimmungen nachgeben. „Viele scheinen die Nerven zu verlieren“, schimpft der Bayer. „Wer Nerven verliert, verliert ganz sicher auch Wahlen.“

Das klingt nicht falsch, zumal dem „Politbarometer“ zu entnehmen ist, dass die Leute zwar das Krisenmanagement zunehmend kritisch sehen, zugleich jedoch sich seit Februar die Zahl der Bürger auf 36 Prozent glatt verdoppelt hat, die einen härteren Lockdown-Kurs fordern. Die Vertreter dieser Linie, Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Söder selbst, teilen sich nach wie vor die Plätze Eins und Zwei auf der Beliebtheitsskala. Laschet liegt auf der Punkte-Skala nur noch knapp über Null, der einstige Star Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ist ins Negative abgerauscht.

Allerdings verstehen, richtig oder nicht, selbst führende Unionsleute immer weniger, was Söder mit seinen bissigen Sprüchen bezweckt. Ist es bavarisches Besserprotzentum? Will er Laschet antreiben, oder will er ihn vertreiben? Der halbverdeckte Zweikampf an der Spitze schade jedenfalls enorm, warnt ein Spitzenmann: „Wenn die beiden so weitermachen, dann ist es bald egal, wer Kanzlerkandidat wird.“

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