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Alexej Nawalny bei einer Gerichtsanhörung im Februar. Seit Ende März befindet sich der 44-Jährige im Hungerstreik.
© dpa

Kremlkritiker Nawalny im Krankenhaus: „Man kann doch nicht zusehen, wie ein Mensch gequält und getötet wird“

Alexej Nawalny befindet sich in Lebensgefahr – warnen seine Ärzte. Ein Mitstreiter des Oppositionellen sagt: Die ganze Welt sehe, dass Putin ein Verbrecher ist.

„Alexej stirbt“, hatte die Sprecherin von Alexej Nawalny am Wochenende gewarnt. Seit Ende März befindet sich der Kremlkritiker im Hungerstreik. Seine Ärzte befürchten ein Nierenversagen und in der Folge Herzstillstand. Bei Nawalnys aktueller Verfassung sei das „eine Frage von Tagen“.

Die Opposition hat zu neuen Protesten am Mittwoch aufgerufen. In der Großstadt Jekaterinburg im Ural bereitet Alexej Gresko die Aktion vor. Auch der Leiter des örtlichen Nawalny-Stabs ist in großer Sorge um Nawalny.

Nawalny ist in ein Krankenhaus für Häftlinge verlegt worden. Die russische Gefängnisbehörde bezeichnet seinen Zustand als „zufriedenstellend“. Glauben Sie das?
Ich glaube den offiziellen Aussagen über seinen Zustand nicht. Unabhängige Auskunft können nur Nawalnys persönliche Ärzte geben – aber die dürfen nicht zu ihm. Seine Verlegung ist nur ein Vorwand, um seine Ärzte nicht zu ihm zu lassen.

Alexej Gresko leitet das Nawalny-Büro in Jekaterinburg.
Alexej Gresko leitet das Nawalny-Büro in Jekaterinburg.
© privat

Das sogenannte Gefängniskrankenhaus ist ein grausamer Ort, das wissen wir von ehemaligen Häftlingen, die dort waren. Es ist ein Ort, um Menschen zu quälen.

Wie groß ist Ihre Sorge um Nawalny?
Sein Zustand ist sehr ernst. Früher haben wir im Team nie gewagt, über die Möglichkeit seines Todes zu sprechen. Jetzt sprechen wir ganz offen darüber, dass er sterben kann. Die Gefahr für sein Leben war abstrakt, seit seiner Vergiftung im Sommer wissen wir, dass die Gefahr ganz konkret ist. Davor dachten wir: Nawalny ist der bekannteste Oppositionelle des Landes – Putin kann ihn nicht einfach so umbringen. Jetzt sehen wir, dass es doch passiert. Alle Appelle aus der Politik, aus Kultur und Gesellschaft werden von Putin ignoriert.

Was sagt das über den Präsidenten?
Wir Aktivisten haben längst keine idealisierten Vorstellungen mehr. Wir wissen schon lange, dass er ein Verbrecher ist. Jetzt ist das auch allen anderen klar – die ganze Welt kann es sehen.

Wie sollte der Westen jetzt reagieren?
Die einzige Methode, die Putin versteht, ist Stärke. Es braucht eine Antwort mit finanziellen Folgen: Die Konten von Putins Unterstützern müssen eingefroren werden. Das ist die einzige Sprache, die er und seine Vertrauten verstehen.

Was geschieht, wenn Nawalny stirbt?
Wir werden auf die Straße gehen, das machen wir auf jeden Fall schon am Mittwoch. Die Menschen, die noch unter dem Einfluss der Propaganda stehen, müssen die Augen öffnen und sehen, was in ihrem Land wirklich geschieht.

War Nawalnys Rückkehr nach Russland ein Fehler?
Nein. Er konnte nichts anderes machen. Nawalny will die Menschen in Russland aufwecken; all jene, die sich früher nicht für Politik interessiert haben. Dafür setzt er nun sogar sein Leben auf Spiel.

[Als Abonnent von T+ lesen Sie auch: Wie einige in Russland gegen Kremlherrscher Putin aufbegehren]

Nawalnys Ärzte, hier Anastassija Wassiljewa, hatten bislang vergeblich Zutritt zum Straflager verlangt.
Nawalnys Ärzte, hier Anastassija Wassiljewa, hatten bislang vergeblich Zutritt zum Straflager verlangt.
© Pavel Golovkin/AP/dpa

Am Mittwoch wollen Sie protestieren. Es ist der Tag, an dem Putin eine Rede zur Lage der Nation halten will. Was planen Sie?
Wir rufen auf zu einem Marsch durch die Stadt. Die Strecke und das Ziel werden wir erst eine Stunde vorher bekannt geben, damit die Polizei die Route nicht vorher blockieren kann.

Welche Reaktion erwarten Sie von den Behörden?
Sie werden mit aller Macht gegen unsere Aktionen vorgehen. Wir wissen aber auch, dass die Reaktion der Polizei von der Zahl der Teilnehmer abhängig ist: Je mehr Menschen auf die Straße gehen, desto vernünftiger wird die Polizei sein. Wir sagen allen Aktivisten und Teilnehmern: Wenn wir jetzt Angst haben, wird es später noch schlimmer sein für alle. Die Freiheit steht auf dem Spiel. Dabei ist es egal, was man von Nawalny hält: Es geht um humanitäre Werte einer modernen Gesellschaft. Selbst als Gegner Nawalnys kann man doch nicht zusehen, wie ein Mensch gequält und getötet wird.

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