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Jens Spahn (CDU), Bundesminister für Gesundheit. Wie sein Amtsvorgänger übergeht er ein rechtskräftiges Gerichtsurteil, weil es ihm politisch nicht passt.
© Lisa Ducret/dpa

Interne Korrespondenz: „Makel“ und „Dilemma“ - Medizin-Behörde kritisiert Spahns Anti-Sterbehilfe-Weisung

Das Arzneimittel-Bundesinstitut steht unter Druck. Es soll sämtliche Anträge auf tödliche Medikamente ablehnen, will aber jeden Einzelfall prüfen

Die Weisung von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), Anträge auf Freigabe von Sterbehilfe-Medikamenten pauschal abzulehnen, hat das zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) nach eigenen Aussagen in ein „Dilemma“ gebracht. Die dem Minister unterstellte Bonner Behörde hält die aufwändige Prüfung von Anträgen sterbewilliger Patienten für sinnlos und zeitraubend, wenn das Ergebnis ohnehin klar sein soll. Diese Kritik geht aus einem internen Schreiben des Leiters der Bundesopiumstelle des BfArM an die Behördenleitung hervor, das nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) an den Tagesspiegel herausgegeben werden musste. In dem Schreiben heißt es: „Egal ob das BfArM nun inhaltlich prüft und Versagungsbescheide begründet oder auch nicht: Die Bescheide werden ab nun mit dem Makel behaftet sein, dass sie – anstelle einer ordnungsgemäßen inhaltlichen Prüfung – nach Weisung erfolgten.“

Das Bundesverwaltungsgericht hatte im März 2017 in letzter Instanz entschieden, dass Schwerkranke in einer unerträglichen Leidenssituation vom BfArM ausnahmsweise eine Erlaubnis zum Erwerb tödlich wirkender Betäubungsmittel erhalten können, um sich das Leben zu nehmen. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) weigert sich, das umstrittene Urteil umzusetzen, da es den Staat zur Suizidassistenz verpflichte. Entsprechend gab Spahn Ende Juni vergangenen Jahres die Weisung aus, Anträge im Ergebnis zu versagen. Seit dem Urteil sind beim BfArM 127 Anträge eingegangen, 93 wurden bereits abgelehnt. 24 Patientinnen und Patienten sind in der Wartezeit verstorben.

Zwar erklärt das BfArM nach außen, es bescheide die Anträge „stets nach sorgfältiger Einzelfallprüfung unter Berücksichtigung der individuellen Umstände.“ Doch aus den jetzt freigegebenen Unterlagen wird deutlich, dass die Beamten sich aufgrund des Spahn-Erlasses vor einem „Dilemma bei der Antragsbearbeitung“ sehen. So erscheine es als „nicht vertretbar“, die Anträge inhaltlich zu prüfen, „wenn das Ergebnis der Entscheidung vor der Antragsbearbeitung bereits feststeht“.

Trotzdem hält das BfArM an dem aufwändigen Prüfverfahren fest. So werden Antragstellerinnen und Antragsteller regelmäßig aufgefordert, medizinische Gutachten und Patientendaten vorzulegen. Am Ende folgt die sichere Ablehnung. Auch sämtliche Widersprüche gegen die Bescheide werden zurückgewiesen, bisher insgesamt 18. In acht Fällen sind Betroffene erneut vor Gericht gezogen.

Ob es bei diesem Umgang mit Schwerkranken bleiben soll, könnte auch vom Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Beschwerden gegen den Strafrechtsparagrafen 217 abhängen. Die Vorschrift untersagt die „geschäftsmäßige“ Förderung der Selbsttötung. Patienten sehen darin ihr Selbstbestimmungsrecht verletzt, Ärztinnen und Ärzte ihre Berufsfreiheit. In der Verhandlung im April zeigten die Verfassungsrichter Skepsis gegenüber dem Straftatbestand. Das für den Herbst erwartete Urteil könnte eine Weichenstellung bedeuten. Spahn hatte Beobachter zur Verhandlung nach Karlsruhe entsandt, hält jedoch deren Berichte gegenüber Parlament und Presse zurück. „Die Bundesregierung nimmt grundsätzlich zu laufenden Gerichtsverfahren nicht Stellung“, heißt es auf Anfrage. Der Tagesspiegel hat vor dem Verwaltungsgericht Köln einen Eilantrag anhängig gemacht, um das Gesundheitsministerium zur Offenlegung zu verpflichten.

Möglicherweise trägt auch ein für Mittwoch erwartetes Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) zu einer Liberalisierung des Umgangs mit der Sterbehilfe bei. Dem Gericht liegen zwei Fälle vor, bei denen Ärzte aus Berlin und Hamburg Patienten nach der Einnahme tödlicher Medikamente bis zum Tod begleitet hatten, ohne lebensrettende Maßnahmen zu ergreifen. Die Landgerichte in Berlin und Hamburg sprachen die Mediziner frei. Dagegen legten die Staatsanwaltschaften Revision ein, nun liegen die Fälle beim 5. Strafsenat des BGH in Leipzig. Aktive Sterbehilfe, also eine Tötung auf Verlangen, ist in Deutschland strafbar. Ein ärztlicher Behandlungsabbruch ist dagegen erlaubt und kann sogar zwingend sein, wenn dies dem ausdrücklichen Willen der Sterbenden entspricht. Unklar ist die Rechtslage, wenn Ärzte ihre Patienten beim Suizid begleiten oder Hilfestellung leisten. Wenn sie dies wiederholt tun, kann darin auch eine strafbare „geschäftsmäßige“ Förderung der Suizidhilfe liegen.  

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