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Bundespräsident Joachim Gauck mahnt zum Nachdenken bei der Abschaffung von Majestätsbeleidigungen im Strafrecht
© Fredrik von Erichsen/dpa

Böhmermann und die Folgen: Majestätsbeleidigung abschaffen? Wenn, dann ganz

Den Erdogan-Paragrafen zu streichen und den Gauck-Paragrafen stehen zu lassen, ist Populismus und keine Politik. Ein Kommentar.

Verboten ist vieles in unserer Gesellschaft, strafbar nur weniges. Nicht mal 300 Untaten definiert das Gesetz. Eine davon soll wegfallen, Paragraf 103, die Beleidigung ausländischer Repräsentanten. Der einstige „Schah-Paragraf“, der den persischen Herrscher im Deutschland der späten sechziger Jahre noch zu schützen vermochte, ist als Erdogan-Paragraf einer über den türkischen Staatspräsidenten erregten Öffentlichkeit unzumutbar geworden. Nun kann es nicht schnell genug gehen: Hamburg und Nordrhein-Westfalen drängeln im Bundesrat, die Grünen haben einen Entwurf vorgelegt, die SPD beschließt ihn, der Justizminister lässt daran arbeiten, und die Kanzlerin ist auch dabei – ab 2018.

So viel Einigkeit ist dem Kern einer Demokratie, der Vielfalt jener, die sie mitbestimmen, wesensfremd, weshalb sie stutzig machen sollte. In der Tat, wie es aussieht, wird hier nicht viel geredet, es wird gerichtet: diesmal zugunsten eines Angeklagten. Bloß weg mit dem störenden Uralt-Gesetz, auf dass der muslimisch bevölkerte EU-Randstaat mit seinem verbohrten Potentaten dies als Verurteilung seiner freiheitsfeindlichen Politik verstehen möge. Ein Böhmermann, ein Volk.

Es drängt sich der Eindruck auf, dass hier, wo Diplomatie und Recht sich kreuzen, juristisch-amtliche Detailfragen erfolgreich zur Volksabstimmung umgewidmet werden. Womit wir bei der SPD sind, die nun hofft, für Erdogankritik und Eile beim Paragrafenstreichen vom Wähler belohnt zu werden. Wird sie es?

Für Parteipolitik ist das Thema ein Fehlgriff. Um zu dieser Einsicht zu gelangen, mag man sich einmal das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei weg- und den mit Außenpolitik und Regierungsverantwortung vielfach vertrauten Frank-Walter Steinmeier in die Rolle der Kanzlerin hineindenken. Hätte er den türkischen Antrag auf Strafverfolgung abgelehnt? Kaum. Die Türkei ist ein EU-Handels- und strategischer Nato-Partner ersten Ranges, deren demokratisch gewählten Staatschef man nicht einfach zurückweist, wenn in Deutschland geltende Gesetze gebrochen worden sein könnten, die ausdrücklich seinem Schutze dienen.

Wenn etwas die Domäne der Exekutive ist, dann sind es die Außenbeziehungen, während diese sich in Justizdingen zurückzuhalten hat. Hinzu kommt, dass Erdogans Anliegen lächerlich erscheinen mag, er mit seinem Manöver aber nun ein ganzes Land zum Zeugen macht, dass auch bei uns in Sachen Meinung nicht alle Zeichen auf Freiheit stehen – und dass Satiriker wegen ihrer Witze, wie in der Türkei, hier sehr wohl vor Gericht gezerrt werden können. Derlei Motive miterwogen, wäre Eile das falsche Signal. Sonst würde der Bundestag nachholen, was die Regierung zu verhindern sucht: aus dem letztlich kleinlichen Satirestreit ein größeres zwischenstaatliches Drama werden zu lassen, als es ohnehin ist.

Hätte nicht der Falsche sie gesprochen, wären Joachim Gaucks Worte, man solle Für und Wider in Ruhe bedenken, die richtigen gewesen. Der Falsche deshalb, weil Gauck selbst als laut Gesetzbuch nach wie vor strafbar beleidigungsfähige Majestät ein Betroffener ist und mit vergleichbarem Feingefühl jetzt, gegen Ende seiner Amtszeit, auch eine Erhöhung des ihm nach Ausscheiden zustehenden Ehrensolds hätte verlangen können.

Der Sache nach aber war es richtig. Dass eine Strafnorm mehr als hundert Jahre alt ist oder es ihretwegen selten Urteile gibt, wie im Fall des 103, muss noch kein Beleg dafür sein, dass sie sich überlebt hat. Gleichwohl wirkt es aus der Zeit gefallen, diplomatische Beziehungen mit Strafdrohungen gegen die eigenen Bürger zu flankieren. Wie überhaupt die Ehre ein im Strafrecht zunehmend fragwürdiges Rechtsgut geworden ist, zu dessen Verteidigung neben Paragraf 103 auch Delikte wie die „Verunglimpfung des Bundespräsidenten“ heutzutage als schlicht überflüssig erscheinen. Beides wäre demnach abzuschaffen. Den Erdogan-Paragrafen jedoch mit großer Geste zu streichen, um Ressentiments und der Kritik an ihm nachzugeben , während der Gauck-Paragraf unberührt bleiben soll, belegt bisher nur, dass Satire weiter nötig ist.

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