Europa: Macrons Kampf und Deutschlands Beitrag
Die Herausforderungen für Emmanuel Macron sind evident. Einst bat er Deutschland um Hilfe - ergebnislos. Was kann Deutschland noch tun?
Europa, ja die ganze Welt ist Zeuge: Das französische Kraftwerk Emmanuel Macron droht zu havarieren. Ein GAU. Das hat interne Gründe, auch weil er aus Hoffart Fehler macht – aber auch externe. Und die sind nicht zuletzt in Deutschland zu suchen. Bei Angela Merkel und ihrer Regierung, die Schuld durch Unterlassung auf sich geladen hat.
Wie war das noch, als Macron aufkam, der junge Hoffnungsträger, Identifikationsfigur scheinbar für alle? Eine Bewegung von links bis gemäßigt rechts. Und alle wollten sein Freund sein. Die Kanzlerin suchte seine Nähe, auch weil ohne Frankreich in Europa für Deutschland nichts geht. In einem Europa anders Gesinnter, so wie Ungarn, Österreich, Italien. Länder von Bedeutung. Umso mehr Bedeutung hat das deutsch-französische Verhältnis.
Denn, wie es schon am Anfang im Koalitionsvertrag steht: „Ein neuer Aufbruch für Europa“ ist das Ziel. Nicht als Fußnote, sondern auf 200 Zeilen als überwölbendes Projekt dieser großen Koalition sein – zu gestalten an der Seite Frankreichs. „Die Erneuerung der EU wird nur gelingen, wenn Deutschland und Frankreich mit ganzer Kraft gemeinsam dafür arbeiten. Deshalb wollen wir die deutsch-französische Zusammenarbeit weiter stärken und erneuern. Ein neuer Élysée-Vertrag ist hierzu ein erster und wichtiger Schritt, der insbesondere auch die europapolitische Zusammenarbeit weiter stärken sollte. Deutschland und Frankreich müssen insbesondere auch Innovationsmotor sein (...).“
Schöne Worte
... und große wie kleine Pläne. Vorhaben wie die gemeinsame Erforschung von künstlicher Intelligenz, aber auch „gemeinsame Positionen möglichst zu allen wichtigen Fragen der europäischen und internationalen Politik, und in Bereichen, in denen die EU mit 27 Mitgliedstaaten nicht handlungsfähig ist, vorangehen“. Ob durch Stärkung des Europäischen Investitionsprogramms EFSI, das nicht nur fortgeführt, sondern ausgebaut werden soll; durch die Erhaltung aller wichtigen Strukturfonds auch nach dem Brexit; oder durch den Ausbau von Austauschprogrammen wie Erasmus und mehr Mittel gegen die Jugendarbeitslosigkeit; durch eine neue Entsenderichtlinie; durch einen neuen Rahmen für Mindestlohnregelungen und Grundsicherungssysteme in den EU-Staaten; durch eine „gerechte Besteuerung großer Konzerne, gerade auch der Internetkonzerne wie Google, Apple, Facebook und Amazon“.
Das alles und noch viel mehr steht im Koalitionsvertrag, und es ist verbunden mit deutsch- französischer Kooperation. Und, Stand heute? Ist Macron ist doppelt geschwächt. Im eigenen Land bröckelt die Unterstützung, in Europa lässt ihn die Bundesregierung, voran seine „Freundin“ Angela, bei vielen Reformvorhaben alleine. Nicht nur die Grünen, Sven Giegold an der Spitze, sind entsetzt, das Entsetzen breitet sich aus. Denn Macron und seine Politik werden über Deutschland hinaus mit Europa verbunden, und auch deshalb verbinden die Gelbwesten Europa derzeit nicht mit Hoffnung. Und so droht seine glutvolle proeuropäische Agenda wegen fehlender Unterstützung der Bundesregierung zu einer mutlosen zu werden.
Deutschland gab die kalte Schulter
„Wie die Bundesregierung den französischen Präsidenten brüskiert, konnte man zuletzt bei der Digitalsteuer und den Euro-Zonen-Reformen sehen. Ursprünglich sollte die Steuer für die 180 größten Digitalunternehmen gelten, dank der Bundesregierung sollen Giganten wie Amazon, Apple und Airbnb nun verschont werden. Macron ist auch deshalb schwach, weil ihn die Bundesregierung seit über einem Jahr mit ihrem Zögern und Zaudern schwächt. Die Bundesregierung hat zum Ansehensverlust von Macron beigetragen. Beim EU-Gipfel diese Woche sollte die Bundesregierung endlich mutiger werden und entsprechend dem eigenen Koalitionsvertrag Macrons europapolitische Ziele stärken.“ Sagt Sven Giegold aus dem Europaparlament, und wer sich bei Christ- und Sozialdemokraten im Bundestag umhört, hört es genauso: Macron wollte Hilfe. Bat ein-, zwei-, dreimal darum, machte Merkel Komplimente, ja Deutschland eine Liebeserklärung im Bundestag – und bekam was? Die kalte Schulter.
Ironie der Geschichte
Einer, der sich besonders grämt, ist Martin Schulz, der Monsieur Europa der Sozialdemokratie. Immer noch. Er hat die ganze Zeit gedrängt, als SPD-Chef die eigene und die anderen Koalitionsparteien. Und tut es noch, schon gar vor dem Hintergrund des ambitionierten Europa-Artikels im Koalitionsvertrag, den er nur nicht als Außenminister und wirklicher Macron-Freund umsetzen kann. Dafür spricht er umso öfter mit ihm.
Am Donnerstag trifft Macron beim EU-Gipfel die anderen europäischen Staat- und Regierungschefs, auch Merkel. Und das Europaparlament diskutiert Macrons Projekt der Digitalsteuer und die deutsche Blockade dazu im Rat. Vielleicht besinnen sich die Selbstvergessenen und Zögerlichen. Ohne Deutschland und Frankreich vereint fällt Europa auseinander. Und das wäre wirklich der GAU.
Aber die Bundeskanzlerin ist ja, oft wird es gesagt, Physikerin. Sie hat eine Vorstellung von verheerenden Auswirkungen falscher Entscheidungen. Und jetzt, vom Zwang allzu großer Rücksichtnahmen nach innen wie nach außen befreit, kann sie dem französischen Freund aufhelfen. Nicht dass ihr Vizekanzler, Olaf Scholz von den Sozialdemokraten, auf die Idee kommt, Martin Schulz könnte recht gehabt haben, und seinerseits doch noch auf Macron zugeht. Zumal Schulz auch immer wieder darauf hingewiesen hat, dass der, der ihm hilft, Macron auch die Hoffart nimmt.