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Damals fing für ihn alles an: Emmanuel Macron 2017 kurz nach seinem Amtsantritt.
© ALAIN JOCARD/AFP

Frankreichs Beschützer in Krisenzeiten: Macron ist innenpolitisch so stark wie selten zuvor

Die fünf Wochen vor den Wahlen werden für Macron ein Drahtseilakt zwischen Wahlkampf und Chefdiplomatie. Ein Problem für die Konkurrenz – und Vorteil für ihn.

Es war ein Tag, der exemplarisch für die kommenden fünf Wochen Emmanuel Macrons werden könnte: Am Donnerstag telefonierte der französische Präsident zum dritten Mal seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine mit Wladimir Putin, bevor er sich mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj verständigte.

Wenige Stunden später verkündete Macron nach Wochen des Wartens und Aufschiebens offiziell seine Kandidatur um eine zweite Amtszeit – in einem „Brief an die Franzosen“, den mehrere Zeitungen zeitgleich veröffentlichten.

Es ist ein Drahtseilakt, den Macron in den Wochen bis zum ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen am 10. April wird bestreiten müssen, als Präsident und wichtiger EU-Verhandler einerseits und als Kandidat um fünf weitere Amtsjahre andererseits. Die internationale Lage ist dramatisch, aber für Macron wirkt sich das innenpolitisch günstig aus – er kann sich als Beschützer in Krisenzeiten inszenieren.

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Als Chef-Diplomat nicht nur Frankreichs, sondern auch der EU fällt Macron derzeit eine zentrale Rolle im Konflikt mit Russland zu. Nicht nur, weil Frankreich aktuell die EU-Ratspräsidentschaft innehat. Sondern auch, weil Macron seit dem Abgang von Angela Merkel das etablierteste Staatsoberhaupt der EU ist.

Kein anderer westliche Staatschef spricht derzeit so intensiv mit Putin. Die beiden duzen sich, und Macron wahrt trotz der verheerenden Angriffe auf die Ukraine den respektvollen Umgang. Er hat Putin bislang nie persönlich angegriffen, bei seiner Fernsehansprache an die französische Bevölkerung am vergangenen Mittwoch hob er gar die Gemeinsamkeiten und Verbindungen mit Russland hervor.

Kraft des Gesprächs

Macron setzt weiter auf die Kraft des Gesprächs. Dass diese bislang vergeblich bemüht wurde, fällt in Frankreich fünf Wochen vor der Wahl kaum ins Gewicht. Seine Beliebtheitswerte sind aktuell so hoch wie noch nie seit dem Sommer 2017.

„Macron befindet sich dank Putin in einer außergewöhnlichen Lage“, sagt der französische Politikwissenschaftler Stéphane Wahnich, der lange an der Pariser Universität UPEC arbeitete und aktuell in Tel Aviv politische Kommunikation lehrt. Macron könne sich in der aktuellen Situation als Beschützer Frankreichs präsentieren.

Und auch die geschlossene Haltung der EU in dem Konflikt stärke Macron: „Die Reaktion einer geeinten EU gegenüber Russland entspricht der Vision Europas, die Macron seit Jahren vertritt“, sagt Wahnich. Das sei während der akuten Phase der Corona-Pandemie noch anders gewesen, während der die Europäische Union nicht als gemeinsam handelnder Akteur aufgetreten sei.

Wahlkampf ohne viel Wahlkampf

Macrons Konkurrenz um die französische Präsidentschaft hat derweil große Mühe, sich sichtbar gegen den Amtsinhaber zu positionieren. Wochenlang warfen die anderen Kandidaten ihm vor, nicht in den Wahlkampf einzutreten, der öffentlichen Debatte auszuweichen – und die Demokratie dadurch zu schwächen.

Wenn Macron sich nur endlich zu seiner Kandidatur erklären würde, könnten sie endlich loslegen, so vor allem der Tenor im rechten politischen Spektrum. Nun ist Macron offiziell in die Wahlarena eingetreten, aber viel ändern wird sich nicht. Frontale Angriffe verfangen nicht bei einem Präsidenten, der im Krieg vermittelt.

[Lesen Sie auch: Macron und seine Herausforderer: Diese Acht kämpfen um die französische Präsidentschaft (T+)]

Éric Zemmour versucht es trotzdem. In einem am Donnerstagabend veröffentlichten Video sagte er an Macron gerichtet: „Ganz Frankreich hat auf unser Duell erwartet.“ Doch so sehr Zemmour es auch herbeiwünscht – das Szenario eines Duells ist so weit weg wie nie zuvor. Zemmour und auch Marine Le Pen haben Mühe, sich von ihrem Russland-freundlichen Kurs der Vergangenheit abzusetzen.

Marine Le Pen und Wladimir Putin bei ihrem Treffen 2017 in Moskau.
Marine Le Pen und Wladimir Putin bei ihrem Treffen 2017 in Moskau.
© imago/Panoramic International

Le Pen versucht sich zwar deutlich davon zu distanzieren. Laut Informationen der Zeitung „Libération“ wurden sogar 1,2 Millionen Wahlkampfbroschüren vernichtet, auf denen ein Foto Le Pens mit Putin abgebildet war. Bislang nutze sie die Nähe zu ihm als Zeichen für ihre internationale Vernetzung.

Doch der Krieg bringt sie auch in anderen Bereichen in Erklärungsnot: Le Pen spricht sich aktuell für die Aufnahme ukrainischer Geflüchteter aus – muss dadurch aber stärker als vorher rechtfertigen, warum diese Haltung nicht auch für Menschen etwa aus Afghanistan gilt. Ihre Antwort lautete: „In Afghanistan ist kein Krieg.“

Politikwissenschaftler Wahnich ist sich sicher, dass die Franzosen keinen pro-russischen Kurs akzeptieren werden. Gleichzeitig wollen sie auch nicht stärker in den Krieg in der Ukraine involviert werden als bisher. Macron ist derjenige, der das garantieren soll.

Das oberste Ziel des Präsidenten wiederum, sagt Wahnich, sei seine Wiederwahl – nicht der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine. Fünf Wochen zwischen wenig Wahlkampf und engagierter Vermittlung im Krieg werden Macron diesem Ziel wohl noch näherbringen.

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