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Demonstranten der CGT-Gewerkschaft nehmen an einer Protestaktion gegen die Rentenreform teil.
© dpa

Protest gegen Rentenreform: Macron hofft auf den Gelbwesten-Effekt – doch das ist gefährlich

An den „Gelbwesten“ verloren die Franzosen irgendwann das Interesse. Beim Protest gegen die Rentenreform liegen die Dinge anders. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albrecht Meier

Der Zermürbungskampf geht weiter. In Frankreich stehen sich in der politischen Auseinandersetzung um die Rentenreform weiterhin zwei Fronten unversöhnlich gegenüber. Die eine wird angeführt vom Präsidenten Emmanuel Macron, dessen politischer Stern je nach Ausgang des Streits weiter strahlen oder fallen wird. Der Wortführer im gegnerischen Lager heißt Philippe Martinez. Er ist der Chef der linksgerichteten Gewerkschaft CGT, die seit sieben Wochen die Proteste im ganzen Land anführt.

Hafenarbeiter, Lehrer und Studenten auf der Straße

Zwar fahren in Paris inzwischen die Metros wieder, aber der Protestwillen zahlreicher Gewerkschaftsmitglieder ist in Frankreich ungebrochen. Auch wenn Metrofahrer und Lokführer sich eine Fortsetzung des Streiks nicht mehr leisten können, gehen andere weiterhin auf die Straße: Hafenarbeiter, Lehrer und Studenten.

Macron setzt darauf, dass sich der Protest irgendwann totläuft, so wie das auch bei den „Gelbwesten“ der Fall war. Ungeachtet der Demonstrationen hält er an seinem Reformprojekt fest. Der Staatschef weiß, dass seine konservative Wählerbasis erodieren würde, wenn er mit dem wichtigen Projekt scheitert. Deshalb brachte das Kabinett unter der Leitung Macrons am Freitag auch die Rentenreform auf den Weg; im Februar soll das Parlament weiter beraten.

Wahrscheinlich wird die Reform, die einen Abschied von den 42 unterschiedlichen Rentensystem bedeutet, am Ende kommen. Damit hätte Macron einen Teilerfolg errungen. Er müsste sich anders als seine Amtsvorgänger nicht vorwerfen lassen, sich im Streit über die Rente dem Druck der Straße gebeugt zu haben.

Mehrheit befürwortet einen Reform-Rückzieher

Doch der Präsident kann mit der gegenwärtigen Lage, wo vieles in der Rentendiskussion in der Schwebe ist, keineswegs zufrieden sein. Besonders bitter ist es für Macron, dass er die Schlacht um die öffentliche Meinung zu verlieren droht.

Nach einer Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Elabe sind weiterhin 61 Prozent der Franzosen der Auffassung, dass der Staatschef die geplante Reform komplett zurückziehen solle. Es rächt sich, dass es die Regierung in Paris bislang nicht fertiggebracht hat, den Bürgern die Angst vor den Folgen des Systemwechsels bei der Altersvorsorge zu nehmen.

Regierung legt in den nächsten Tagen allgemeine Berechnungen vor

Die Vernunft mag zwar vielen Franzosen sagen, dass eine längere Lebensarbeitszeit – etwa bis zum Alter von 64 Jahren – angesichts des demografischen Wandels unvermeidlich ist. Die von Macron geplante Umstellung auf ein Punktesystem lässt aber für jeden Einzelnen die Frage offen, wie denn die individuelle Rente nach der Neuordnung aussehen wird. Am Freitag kündigte die Regierung zwar an, in den nächsten Tagen allgemeine Fall-Berechnungen zur Verfügung zu stellen. So lange aber keine genaueren Berechnungen vorliegen, dürfte der Protest in Frankreich weiter anhalten.

Hier liegt auch der Unterschied zur Bewegung der „Gelbwesten“, der im Verlauf des vergangenen Jahres irgendwann an Rückhalt in der breiten Bevölkerung verlor. Die meisten Bürger im Nachbarland waren irgendwann der immergleichen Bilder von den demonstrierenden Mitbürgern überdrüssig – nicht zuletzt deshalb, weil Macron mit milliardenschweren Zusagen an Mindestlohnbezieher und Steuererleichterungen für Rentner den Protest damals entschärfte.

Doch beim Protest gegen die Rentenreform liegen die Dinge anders. Das ursprüngliche Vorhaben der Regierung, das faktische Renteneintrittsalter von 62 auf 64 Jahre heraufzusetzen, ist noch nicht vom Tisch. Und so lange die Bürger Einschnitte beim Eintritt ins Rentenalter befürchten müssen, dürfte die stillschweigende Unterstützung für den Protest der Gewerkschaften anhalten.

Opposition heizt Klima der Gewalt an

Für das soziale Klima in Frankreich verheißt all dies nichts Gutes. Der Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon, einer der Führungsfiguren in der Opposition, verfolgt die zunehmende Radikalisierung der Proteste mit klammheimlicher Freude.

Mélenchon hat die abenteuerliche Behauptung aufgestellt, dass Macron selbst für die zunehmende Gewalt auf Seiten der Demonstranten verantwortlich sei. In einem Klima der Gewalt, das von der Opposition derart angeheizt wird, kann in Frankreich kein vernünftiger Dialog über eine unvermeidliche Reform gedeihen.

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