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Bis Ende 2019 müssen die Bund-Länder Finanzbeziehungen neu geregelt werden.
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Wer kriegt wie viel Geld?: Machtgerangel zwischen Bund und Ländern

Das Machtgleichgewicht zwischen Bund und Ländern wird die große Herausforderung für jede künftige Koalition. Worum wird gerungen?

Es ist die große verfassungspolitische Herausforderung der nächsten Jahre und ein Riesenprojekt der nächsten Bundesregierung: die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzen. Ginge es nach Wolfgang Schäuble, wäre es keine große Affäre. Da könne man rasch zu einer Einigung kommen, meinte er dieser Tage. Eine neue Föderalismuskommission sei nicht nötig. "Das kann man schneller machen, wenn der Wille da ist." Aber damit wird der Bundesfinanzminister nicht durchkommen. "Das ist Träumerei", sagt ein nicht ganz unmaßgeblicher Unions-Politiker aus den Ländern. Es werde eine dritte Föderalismuskommission geben (nach der ersten, die die Bundesstaatsreform von 2005 vorbereitete, und der zweiten, die 2009 die Schuldenbremse erarbeitete). Darauf haben sich die Ministerpräsidenten offenbar verständigt. Schäuble – in den Augen vieler Landespolitiker „ein knallharter Zentralist“ – läuft auf eine Mauer zu. Seine mutmaßliche Hoffnung, in zügigen Verhandlungen mittels der Macht einer schwarz-roten Koalition im Bund die Länder in die Defensive zu bringen, wird wohl unerfüllt bleiben.

Worum geht es im Kern beim Finanzausgleich?

Bis Ende 2019 müssen die Bund-Länder-Finanzbeziehungen neu geregelt sein. Dann läuft der Solidarpakt aus, der vor allem die Finanzierung der ostdeutschen Länder gesichert hat. Da der bundesstaatliche Finanzausgleich daran gekoppelt ist, muss er neu verhandelt werden. Und zwar wiederum für einen längeren Zeitraum. Es geht um viel Geld, es sind einige Dutzend Milliarden Euro, deren Zuordnung neu bestimmt werden muss. Der engere Finanzausgleich zwischen den Ländern, der ein Volumen von derzeit 7,9 Milliarden Euro hat und die öffentliche Debatte prägt, ist nur ein Teil davon. Wichtiger wird die neue Verteilung der Steuereinnahmen zwischen Bund und Ländern sein. Dabei wird es zwangsläufig auch wieder um Zuständigleiten gehen, etwa in der Bildungspolitik. Für Berlin ist das Thema elementar wichtig, denn die Bundeshauptstadt hängt am Ausgleichstropf wie kein anderes Land. Und weil einiges von den Vereinbarungen am Ende ins Grundgesetz geschrieben werden muss, braucht man Zweidrittelmehrheiten in Bundestag und Bundesrat.

Wie ist der Zeitplan für die Finanzreform?

Die Länder haben kein Interesse an einem schnellen Durchmarsch. Das hat durchaus mit Strategie zu tun. Sie wollen mit ihrem Zieldatum „Ende 2016“ die Bundesseite unter Druck setzen. Denn die nächste Bundestagswahl ist 2017, die kommende Bundesregierung muss ein Ergebnis präsentieren, und je näher man ans Wahljahr rückt, umso stärker wird die Position der Länder. Nach dem Plan der Ministerpräsidentenkonferenz sollen die Verhandlungen im kommenden Jahr beginnen, Mitte 2015 sollen Eckpunkte für die "Finanzreform 2020" stehen, für den Sommer 2016 ist das Ergebnis geplant, damit Bundestag und Bundesrat einige Monate Zeit haben für die formale Gesetzgebung. In der Föderalismuskommission werden wieder Mitglieder von Bundestag und Bundesrat sitzen, eventuell auch Vertreter der Landtage und der Kommunen.

Wie sind die Länder aufgestellt?

Das Schwierigste an der Finanzreform 2020 aus Ländersicht ist es, möglichst lange eine möglichst einheitliche Front gegenüber dem Bund zu halten. Anfangs, wie beim Zeitplan, wird das noch klappen. Doch sind die Interessen und Absichten der Länder recht unterschiedlich. Die Geberländer im Finanzausgleich dringen darauf, dass ihnen mehr von ihren Steuereinnahmen bleibt. Bayern und Hessen klagen deswegen in Karlsruhe. Baden-Württemberg ist zwar nicht mehr mit in diesem Boot, hat aber identische Interessen. Dann ist da Nordrhein-Westfalen, das bevölkerungsreichste Land, dessen Selbstverständnis es ist, stark zu sein, das aber ökonomisch schwächelt. Zuletzt rutschte es immer wieder ins Nehmerlager. NRW sieht sich seit Jahren als Hauptverlierer der gegenwärtigen Finanzverteilung, was Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) häufig durchblicken lässt. Die Düsseldorfer Regierung wird daher in den Verhandlungen massiv die Eigeninteressen des Landes vertreten - und NRW ist eine Macht, nicht zuletzt in der SPD. Das Lager der schwächeren Länder hat sich schon relativ fest konstituiert, zwölf Länder sind es, darunter auch das Geberland Hamburg, das als Stadtstaat freilich gemeinsame Interessen mit Berlin und Bremen hat - die Höherwertung der Einwohner im Finanzausgleich, ein Multimillionenvorteil gegenüber den Flächenländern. Doch sehr homogen ist diese Gruppe nicht. Die Ost-Länder haben weiter ihre Spezialsituation: Die Steuerkraft ist zwar seit 2005 von 39 auf 54 Prozent des Länderschnitts gewachsen, aber immer noch eklatant schwach. Die Sonderförderung läuft aus, es droht eine dauerhaft unterdurchschnittliche Finanzausstattung. Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Schleswig-Holstein wiederum geben an, wegen der jahrelangen Konzentration auf den Aufbau Ost nun einen erheblichen Nachholbedarf bei der Infrastruktur zu haben.

Wie sehen die Länder ihre Situation?

In einem Punkt sind sich die Landesregierungen - trotz vieler regionaler Unterschiede – einig: Sie alle halten ihre Etats für unterfinanziert. So rechnen die Länderfinanzminister in einer umfangreichen Bestandaufnahme vor, dass der Bund bis 2019 durch mehrere Effekte um 21 Milliarden Euro entlastet werde, was 6,5 Prozent des Bundesetats entspreche, sie aber keine solchen Effekte haben. 13 Milliarden Euro an Entlastung entfallen auf die sukzessive sinkende Bundeshilfe für die Ost-Länder. Dazu kommt die komplette Übertragung einiger Bereiche wie öffentlicher Nahverkehr oder Hochschulbau auf die Länder, wobei die einstigen Bundesmittel hierfür nicht vollständig auf die Länder übergehen. Aufgelistet sind auch der allein dem Bund zufließende Solidaritätszuschlag, der bis 2019 nicht mehr voll zur Deckung der Ost-Hilfen benötigt wird. Die Länder zielen darauf ab, dass der "Soli" ab 2019 nicht abgeschafft wird, sondern als Teil der Einkommensteuer auch ihnen zugute kommt.

Worauf werden die Forderungen der Länder hinauslaufen?

Der eigentliche Sprengstoff für die Verhandlungen steckt aber im Unterkapitel 4.5 des 150-seitigen Papiers der Länderfinanzminister. Dort werden die Aufgaben des Bundes und die der Länder verglichen, und zu den dafür nötigen Ausgaben werden die entsprechenden Einnahmen zusammengerechnet. Der Bericht kommt zum Schluss, dass der Bund vom gesamtstaatlichen Steueraufkommen "einen wesentlich höheren Anteil" erhalte, als es die Aufgabenzuweisung des Grundgesetzes nahe lege. Das Fazit kurz gefasst: Der Bund nimmt sich mehr als ihm gebührt, die Länder bekommen zu wenig. Genau darüber wird der Streit geführt werden.

Welche Rolle spielt die Schuldenbremse?

Was die Sache künftig noch schwieriger macht, ist die Schuldenbremse im Grundgesetz. Sie verpflichtet die Länder ab 2020 zu ausgeglichenen Haushalten ohne Neuverschuldung, während dem Bund ein kleiner Verschuldungsspielraum von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verbleibt. Zudem kann der Bund die Sozialversicherungen als Verschiebemasse nutzen. Damit ist der Bundesetat flexibler als die Länderetats, das Gleichgewicht zwischen beiden föderalen Ebenen droht aus dem Lot zu geraten - jedenfalls nach Meinung der Länder. Deren Problem ist auch, dass der Bund weit stärker als sie eigene Steuern schöpfen kann und dadurch die Belastung der Bürger erhöht, was dann den Spielraum bei den Gemeinschaftssteuern (Einkommen-, Körperschaft- und Umsatzsteuer) senkt - zu Lasten der Länder.

Welche Lösungen zeichnen sich ab?

Noch halten sich alle Seiten mit detaillierten Vorschlägen zurück. Beim Länderfinanzausgleich etwa ist auch die Entscheidung aus Karlsruhe abzuwarten. Doch einige Ideen gibt es. Der rheinland-pfälzische Finanzminister Carsten Kühl (SPD) etwa, in der Union als sachlicher Verhandler geschätzt, plädiert für eine Lockerung der eng verflochtenen steuerpolitischen Zwangsgemeinschaft. „Wir brauchen mehr Klarheit und mehr Zurechenbarkeit“, fordert er.

Das Manko des bisherigen Systems ist, dass die Länder wegen der Probleme beim Verteilen der Steuereinnahmen versuchen, sich ihren Teil über Widerstände und Blockaden bei Gesetzen im Bundesrat einzuhandeln. Das sei, sagt Kühl, kein guter Zustand für beide Seiten. Da der Bund vor allem für die soziale Verteilungspolitik und Konjunktursteuerung verantwortlich sei, was nicht zuletzt die Einkommensteuer betrifft, müsse er steuerpolitischen Spielraum haben – und damit eine gewisse Unabhängigkeit vom Bundesrat.

Die Länder wiederum, an denen der Löwenanteil der Personal- und Verwaltungskosten hängt, wollen stetige Einnahmen. Kühl schlägt daher vor, dass ein bestimmter Teil der Einkommensteuer den Ländern fest zufließt, während der Bund den Rest behält und diesen in Eigenregie auch variieren darf. Damit würden die Länder durch Steuersenkungen auf Bundesebene nicht berührt, Steuererhöhungen müssten nicht geteilt werden. „Es wäre ein kleines Trennsystem“, sagt Kühl.

Mehr Trennung befürwortet auch der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), auch in der Union gibt es dafür Sympathien. Für eine weit reichende Trennung aber gibt es derzeit keine Mehrheiten – weder für eine echte Steuerautonomie der Länder, also die Festsetzung von eigenen Steuern durch die Landtage, noch für ein Trennsystem, das etwa die Einkommensteuer dem Bund, die Umsatzsteuer den Ländern zuteilt. Dafür hängen Regierungspolitiker in Bund wie Ländern dann doch zu sehr am gewohnten kooperativen Föderalismus. Der hat aus ihrer Sicht einen Vorteil: Der Zwang zu Verhandlungen zwischen den Regierungen reduziert den Einfluss der Parlamente. Kein Wunder also, dass die Beteiligung der Landtage an einer neuen Föderalismuskommission bei den Regierungen nicht viele Freunde hat.

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