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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) - hier bei einem Empfang zum Fastenmonat Ramadan 2015 - hatte keine Berührungsängste gegenüber Nurhan Soykan (rechts), die wegen ihrer Berufung durch das Auswärtige Amt nun in der Kritik steht.
© picture alliance / dpa

Vorwürfe gegen Nurhan Soykan: „Maas sollte die peinliche Fehlentscheidung korrigieren“

Das Auswärtige Amt hat eine Vertreterin des Zentralrats der Muslime zur Beraterin ernannt. Politiker kritisieren, sie distanziere sich nicht von Antisemitismus. 

Unter deutschen Spitzenpolitikern ist Heiko Maas einer der entschiedensten Warner vor neuem Antisemitismus im Land der Täter. Die ethischen Ansprüche des deutschen Außenministers sind hoch. Er sei nicht wegen Willy Brandt, sondern „wegen Auschwitz“ in die Politik gegangen, hat der SPD-Politiker in programmatischer Absicht erklärt.

Nun muss sich ausgerechnet das von Maas geleitete Auswärtige Amt (AA) mit dem Vorwurf auseinandersetzen, eine Beraterin verpflichtet zu haben, die sich angeblich nicht eindeutig von Antisemitismus und Islamismus distanziert.

Vor wenigen Tagen beglückwünschte der Leiter der AA-Kulturabteilung, Andreas Görgen, auf Twitter Nurhan Soykan, die stellvertretende Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD), zu ihrer Ernennung zur Beraterin im AA-Team „Außenpolitik und Religion“. Dort soll sie mit einem angehenden Rabbi und einem evangelischen Pastor zusammenarbeiten.

Seither steht das AA in der Kritik. Integrations- und Religionsexperten wie Ahmad Mansour und Volker Beck intervenierten öffentlich. Medien in mehreren Ländern griffen das Thema auf. Und Bundestagsabgeordnete verlangen, die Ernennung rückgängig zu machen.

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Zwar ist der ZMD seit vielen Jahren ein geschätzter Partner der Bundesregierung, nicht nur bei den Islamkonferenzen. Kritiker monieren dagegen, der größte Mitgliedsverband des Rats, die Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa (Atib) werde vom Bundesamt für Verfassungsschutz den rechtsextremen, türkisch-nationalistischen Grauen Wölfen zugerechnet.

ZMD-Vizechefin Soykan werfen ihre Gegner vor, in sozialen Medien und mit öffentlichen Äußerungen die notwendige Distanz zu Antisemiten und Islamisten vermissen zu lassen.

Als Beleg wird unter anderem ein Deutschlandfunk-Interview von vor sechs Jahren angeführt, in dem die damalige ZdM-Generalsekretärin zwar davor warnte, „Juden allgemein anzugreifen und zu beleidigen“, zugleich aber die Al-Quds-Demonstrationen verteidigte, die von Hassparolen und judenfeindlichen Stereotypen geprägt sind. Man müsse jungen Leuten eine Gelegenheit geben, die „sich auf diesem Weg der Demonstration Luft machen und ihren Ärger auch mal zeigen wollen“, sagte sie.

Gegner ihrer Berufung verweisen zudem auf Sympathiebekundungen Soykans in den sozialen Medien, die angeblich Verschwörungstheorien, der Israel-Boykottbewegung BDS (Boycott, Divestment and Sanctions) oder Beiträgen des deutschen Publizisten Jürgen Todenhöfer galten, der wenig Verständnis für Israel und viel Verständnis für die Terrormiliz Islamischer Staat aufbringt.

Aiman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, und Nurhan Soykan, heute stellvertretende Vorsitzende, im Jahr 2016 vor der Presse.
Aiman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, und Nurhan Soykan, heute stellvertretende Vorsitzende, im Jahr 2016 vor der Presse.
© imago/Mauersberger

Nicht nur Oppositionsabgeordnete, auch solche aus der Regierungspartei CDU halten die Entscheidung des AA deshalb für falsch. Soykan habe „eine Reihe an Verschwörungstheorien und völlig inakzeptablen Thesen vertreten“, warnt der FDP-Abgeordnete Oliver Luksic. Ihre Ernennung stehe im Widerspruch mit den Ansagen des Außenministers gegen Antisemitismus. Luksics Forderung: „Maas sollte hier als Minister eingreifen und diese peinliche Fehlentscheidung korrigieren.“

Der Religionsexperte der Unionsfraktion, Christoph de Vries (CDU), wirft dem AA nun „Sorglosigkeit im Umgang mit Islamismus und Nationalismus“ vor. „Ich kann vor einer Appeasement-Politik mit hochproblematischen Islamverbänden und in Teilen verfassungsfeindlichen Kräften nur eindringlich warnen“, sagt er.

Die stärksten Mitgliedsvereine des Rats würden den Muslimbrüdern und der rechtsextremen Bewegung der Grauen Wölfe zugerechnet, „die eine rassistische und faschistische Ideologie verfolgen“.

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Mitglied des ZMD sei auch das Islamische Zentrum Hamburg (IZH), das direkt vom iranischen Mullah-Regime aus Teheran gesteuert werde und seit Jahren den israelfeindlichen und antisemitischen Al Quds-Tag in Berlin organisiere.

„Die Führung des ZMD weiß dies alles genau und hat sehr bewusst nicht gehandelt, weil der Ausschluss dieser islamistischen und ultranationalistischen Kräfte die völlige Bedeutungslosigkeit des ZMD zur Folge hätte“, meint der CDU-Politiker. ZMD-Spitzenfunktionäre könnten deshalb „auch nicht im Dienste unseres Staates tätig sein“.

Ganz ähnlich argumentiert auch die Linken-Abgeordnete Sevim Dagdelen. „Herr Maas aber auch die Bundesregierung insgesamt machen sich mit dieser ,Beraterin‘ unglaubwürdig im Kampf gegen Rechts und Antisemitismus“, warnt sie. Ihre Berufung sei auch ein „Schlag ins Gesicht der Mehrheit Muslime in unserem Land, die mit Rechtsextremen, Genozid-Leugnern und Islamisten à la Moslembruderschaft nichts zu tun haben wollen“.

Es sei „grotesk“, den ZMD zur Vertretung von knapp fünf Millionen Muslime in Deutschland zu erklären, der für maximal 20.000 Muslime spreche.

Volker Beck, langjähriger Grünen-Abgeordneter im Bundestag und heute Lehrbeauftragter am Centrum für Religionswissenschaftliche Studien der Universität Bochum, sieht die Rolle des ZMD ebenfalls sehr kritisch. "Es gab keine Notwendigkeit für das Auswärtige Amt, eine Vertreterin dieses problematischen Verbandes zu berufen", meint er. "Das Ministerium hätte auch eine islamische Religionswissenschaftlerin oder einen islamischen Religionswissenschaftler mit dieser Aufgabe betrauen können."

Auch ein Außenpolitik-Experte aus einer der Regierungsfraktionen verurteilt die Berufung. "Berater des Auswärtigen Amtes müssen gegenüber jedem Verdacht der Nähe zum Antisemitismus erhaben sein", sagte Jürgen Hardt (CDU), außenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion. Gerade die AA-Kulturabteilung, deren Aufgabe Ausgleich und Verständigung sei, müsse "der Ernennung ihrer Berater sensibler vorgehen, als dies hier geschehen ist".  Das Ziel, Verständigung zwischen Religionen und Kulturen zu befördern, werde "durch die aktuelle Personaldiskussion deutlich verfehlt".

Der außenpolitische Sprecher der FDP-Fraktio, Bijan Djir-Sarai, nannte die Personalentscheidung "auf verschiedenen Ebenen sehr schwierig, aber leider auch nicht überraschend". Sie führe einmal mehr vor Augen, "wie viel Unkenntnis und wie wenig Fingerspitzengefühl bei der Bundesregierung in der Islamdebatte" vorhanden sei. Eine "Hardlinerin wie Frau Soykan" stehe sicherlich nicht für die gut integrierten und toleranten Menschen muslimischen Glaubens in Deutschland. Gleichzeitig sei ihre Berufung "ein Sinnbild für die deutsche Außenpolitik, die sich viel zu selten an die Seite derjenigen stellt, die tatsächlich unsere freiheitlich-demokratischen Werte vertreten". Der FDP-Politiker fügte hinzu: "Heiko Maas' Erzählung, er sei wegen Auschwitz in die Politik gegangen, bleibt eine Floskel."

Die AA-Kulturabteilung scheint überrascht von manchen Vorwürfen gegen Soykan und gar nicht glücklich über die Entwicklung. Doch Heiko Maas‘ Ressort sieht keinen Anlass, seine Entscheidung zu revidieren.

Aus dem Ministerium heißt es, man wolle die Verantwortung  der Religionen für Frieden mit religiösen Gemeinschaften weltweit ansprechen, ihren möglichen Einfluss auf Gesellschaft und Politik besser verstehen und das konstruktive Potential stärken. Soykan werde, wie ihr christlicher und jüdischer Kollege, das AA „zu diesen Fragen beraten“.

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