Johnson schaltet sich in Handelsgespräche ein: Loslösung von der EU gibt es nicht zum Nulltarif
Der britische Premier Johnson trifft sich per Video mit den EU-Spitzen. Ein Kompromiss bei den Handelsgesprächen ist möglich. Ein Kommentar.
"Get Brexit done" - so lautete das einprägsame Motto, mit dem der britische Regierungschef Boris Johnson die Parlamentswahl im vergangenen Dezember für sich entschieden hat. Inzwischen zeigt sich aber, dass der Austritt aus der EU keine leichte Übung ist. Die EU zu verlassen, ist das eine. Aber die Verhandlungen über das Post-Brexit-Verhältnis, die sich nach dem Exit vom Januar seit Monaten im Kreis drehen, sind etwas ganz anderes.
Unterhändler machten keine Fortschritte
Weil die Unterhändler beider Seiten auch bei der letzten Verhandlungsrunde keine Fortschritte gemacht haben, hat sich Johnson inzwischen selbst in die Gespräche eingeschaltet. Dass sich der Premierminister am Montag überhaupt zu einer Videokonferenz mit EU-Spitzenpolitikern wie Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und dem Brüsseler Chefunterhändler Michel Barnier traf, ist an sich schon einmal ein gutes Zeichen. Denn theoretisch hätte Johnson auch seine Drohung wahr machen und die Gespräche bereits jetzt abbrechen können.
Die Geschichte aus dem vergangenen Jahr könnte sich wiederholen
Johnson bleibt aber am Verhandlungstisch sitzen. Damit könnte sich die Geschichte wiederholen, die beide Seiten im vergangenen Jahr erlebt haben. Damals verständigte sich der Premier mit der EU am Ende doch auf einen Austrittsvertrag, obwohl er vorher immer wieder von einem „No-Deal-Brexit“ mit verheerenden wirtschaftlichen Folgen schwadroniert hatte. Auch jetzt ist die Situation ähnlich: Kommt es bis Ende des Jahres nicht zur Einigung, dann werden zwischen der EU und Großbritannien wieder Zölle erhoben.
[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog. Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden.]
Weil dies vor allem Johnson nicht ernsthaft wollen kann - die britische Exportwirtschaft ist von der EU stärker abhängig als umgekehrt -, ist es nur folgerichtig, wenn Brüssel und London während des Sommers die Verhandlungen intensivieren wollen. Im Kern hakt es bislang bei den Gesprächen, weil die EU den Briten durchaus einen zollfreien Zugang zum Binnenmarkt gewähren will. Dafür müsste London aber die Sozial- und Umweltstandards der EU akzeptieren. Das wiederum kommt für Johnson nicht in Frage.
EU muss bei der Fischerei Abstriche machen
Auch wenn beide Seiten bislang konsequent aneinander vorbeigeredet haben, ist ein Kompromiss aber durchaus denkbar. So könnte sich die EU beispielsweise damit zufrieden geben, dass London das bereits erreichte Niveau bei den Sozial- und Umweltstandards nicht mehr unterschreitet. Eine Fortschreibung des EU-Rechts müsste London dann nicht mehr mitmachen. Umgekehrt wird Brüssel wohl Abstriche an der Forderung machen müssen, auch künftig wie gewohnt Zugang zu den britischen Fanggründen zu bekommen.
[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Krise live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple-Geräte herunterladen können und hier für Android-Geräte.]
Klar ist aber auch: Die völlige Loslösung von der EU, die Johnson anstrebt, wird der Premierminister nicht zum Nulltarif bekommen.