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Boris Johnson will mit Großbritannien unbedingt raus aus der EU.
© REUTERS/Toby Melville

Großbritannien droht harter Brexit: EU-Parlament will Druck auf Johnson erhöhen

Die britische Regierung hat eine Verlängerungsfrist für Verhandlungen mit der EU verstreichen lassen. Jetzt muss ein Abkommen her - bis Ende Oktober und mitten in der Corona-Krise.

Großbritannien hat endgültig ausgeschlossen, dass die Verhandlungen mit der EU zu den Beziehungen nach dem Brexit in eine Verlängerung gehen. Bei Beratungen mit der EU habe der britische Staatssekretär für Kabinettsangelegenheiten, Michael Gove, am Freitag „formal bestätigt, dass das Vereinigte Königreich die Übergangsphase“ über das Jahresende hinaus „nicht verlängern wird“, erklärte Gove. „Die Zeit für eine Verlängerung ist nun vorbei.“

Die Briten waren am 31. Januar aus der EU ausgetreten. In der Übergangsphase bis Jahresende bleibt das Land noch im EU-Binnenmarkt und in der Zollunion. In dieser Zeit wollen beide Seiten insbesondere ein Handelsabkommen vereinbaren. In vier Verhandlungsrunden gab es aber keine wesentlichen Fortschritte.

Nach dem mit der EU vereinbarten Austrittsvertrag wäre eine Verlängerung entweder um ein oder zwei Jahre bis Ende 2021 oder Ende 2022 möglich. Dies müsste aber bis zum Monatsende beantragt werden.

Großbritannien werde „am 1. Januar 2021 die Kontrolle zurückerlangen“ und seine „politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit wiedergewinnen“, schrieb Gove auf Twitter.

Der Vize-Präsident der EU-Kommission, Maros Sefcovic, sagte, Gove sei in der Frage der Verlängerung in einer gemeinsamen Video-Konferenz am Freitag „sehr klar“ gewesen. Die EU bleibe aber nach wie vor „offen für eine solche Verlängerung“.

Druck auf britische Regierung wächst mit jedem Tag

EU-Verhandlungsführer Michel Barnier erklärte, die EU nehme die britische Entscheidung „zur Kenntnis“. Um den Verhandlungen noch eine Chance zum Erfolg zu geben, müsse es jetzt darum gehen, „Fortschritte in der Substanz“ zu machen. Deshalb hätten beide Seiten vereinbart, „die Gespräche in den kommenden Wochen und Monaten zu intensivieren“.

Die EU bestätigte am Freitag britische Angaben vom Vortag, dass nun im Juli jede Woche verhandelt werden soll. Weitere Gespräche sind dann ab Mitte August und auch im September geplant. Barnier hatte in der Vergangenheit klar gemacht, dass ein Abkommen bis Ende Oktober stehen muss, um noch parlamentarisch ratifiziert zu werden.

Die EU hat Großbritannien ein Handelsabkommen ohne Zölle und Einfuhrquoten angeboten. London weigert sich aber bisher, für einen weitgehend ungehinderten Zugang zum europäischen Binnenmarkt im Gegenzug Sozial-, Umwelt- und Verbraucherstandards der EU zu akzeptieren. Hoch umstritten ist auch der weitere Zugang für EU-Fischer zu britischen Fanggründen. Dabei geht es insbesondere um die Fanginteressen von Mitgliedstaaten wie Frankreich, Dänemark, Spanien oder Belgien. Für die Brexit-Hardliner in Großbritannien hat die Frage aber hohen Symbolwert. Sie wollen die volle Kontrolle über ihre Fischgründe zurück. London will deshalb jährlich Quoten für hunderte Fischarten neu aushandeln. Dies lehnt die EU als nicht praktikabel ab.

EU-Parlament will Druck auf Johnson erhöhen

Um die Post-Brexit-Gespräche aus der Sackgasse zu holen, ist am Montag eine Video-Konferenz der EU-Spitzen mit dem britischen Premierminister Boris Johnson geplant. An ihr nehmen auf EU-Seite Kommissionschefin Ursula von der Leyen, Ratspräsident Charles Michel, Parlamentspräsident David Sassoli sowie Chefunterhändler Barnier teil.

Das EU-Parlament, das einem Handelsabkommen zustimmen müsste, will den Druck nun auf Johnson erhöhen. Die Ausschüsse für Außenbeziehungen und Handel verabschiedeten dazu am Freitag einen Beschluss zu den Post-Brexit-Gesprächen. Darin bekunden sie Barnier ihre „uneingeschränkte“ Unterstützung und bezeichnen das britische Vorgehen in den Verhandlungen als „inakzeptabel“ und den Versuch der „Rosinenpickerei“. Am Donnerstag stimmt darüber das Parlamentsplenum ab.

Ein komplettes Scheitern der Verhandlungen wird in Brüssel und in vielen EU-Hauptstädten nicht mehr ausgeschlossen. Die Bank von England forderte britische Finanzinstitute Anfang Juni auf, sich auf die Möglichkeit eines Scheiterns vorzubereiten. Dann käme für die EU und Großbritannien zum 1. Januar 2021 zu den wirtschaftlichen Verwerfungen der Corona-Krise ein weiteres großes Problem hinzu: Im Handel zwischen beiden Seiten gingen wieder die Zollschranken hoch, der Austausch von Gütern und Dienstleistungen würde teurer und zeitaufwendiger, der Personenverkehr stark eingeschränkt.

Der Vorsitzende des Handelsausschusses im EU-Parlament, Bernd Lange (SPD), verweist darauf, dass zuletzt 45 Prozent der britischen Exporte in die EU gegangen seien. Umgekehrt seien es nur gut sechs Prozent gewesen. Für den Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) wäre ein Scheitern dennoch „ein Desaster für die Wirtschaft auf beiden Seiten des Kanals“. (AFP)

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