Frauen bei der Bundeswehr: Allein unter Kerlen
Fast 20 000 Soldatinnen dienen bei der Bundeswehr. Was sie dort erleben, ist oft unglaublich. Belästigungen, Übergriffe, Demütigungen. Ist die Integration der Frauen beim Militär gescheitert?
Katharina Gärtner (Name geändert) ist eine, die nicht lange fackelt. Ja, sie will über die quälende Zeit in der Kaserne sprechen. Über die Angst, die ihr nachts den Schlaf und tagsüber jeden klaren Gedanken geraubt hat. Über die Wut und die Selbstzweifel, die sie geplagt haben. Über die körperlichen und seelischen Schmerzen, die er ihr, der werdenen Mutter und dem ungeborenen Leben in ihrem Bauch zugefügt hat. Einer aus den eigenen Reihen, ein Kamerad und ihr Chef noch dazu. „Ich werde nicht die letzte Frau sein, der so etwas passiert“, sagt Gärtner mit. „Und auch nicht die letzte, der er vorgesetzt ist.“
Was die Bundeswehrsoldatin an ihrem Arbeitsplatz erlebt hat, geschieht in deutschen Kasernen tausendfach. Fast 20 000 Frauen sind mittlerweile bei den Streitkräften beschäftigt, und viele von ihnen haben bei ihren männlichen Kollegen offenbar keinen guten Stand. Mehr noch: Ein großer Teil der Soldatinnen sieht sich verbalen und körperlichen Angriffen von männlichen Kameraden ausgesetzt. Nachzulesen ist dies in einer Ende Januar veröffentlichten Studie, für die das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr im Auftrag des Verteidigungsministeriums zwischen August und Oktober 2011 knapp 3058 Soldatinnen und 1771 Soldaten befragt hat. 55 Prozent der Frauen gaben an, in der Dienstzeit schon mindestens einmal sexuell belästigt worden zu sein. 47 Prozent von ihnen berichteten von verbalen Belästigungen, knapp ein Viertel von „unerwünschten sexuell bestimmten körperlichen Berührungen“. Drei Prozent wurden Opfer sexuellen Missbrauchs.
Sind Frauen bei der Bundeswehr wirklich eine „Normalität“, wie das Verteidigungsministerium auf seinen Seiten im Internet behauptet? Fehlt da nicht ein ganz gravierender Teil der Wahrheit, nämlich der, dass sexuelle Übergriffe auf Frauen beim deutschen Militär offenbar keine Einzelfälle sind, sondern zum Alltag gehören?
Frau und Krieg, das scheint zumindest in der Vorstellung vieler Männer nicht zusammenzupassen. Die Integration von Frauen in die Bundeswehr ist gescheitert.
So weit würde Katharina Gärtner nicht gehen. Sie ist davon überzeugt, dass ihre Geschichte sich auch in der zivilen Welt hätte zutragen können, also kein spezifisches Problem der Bundeswehr ist. „Dass aber jede Zweite bei uns von sexueller Belästigung betroffen ist, hat mich schon überrascht“, gibt sie zu. Die Soldatin will mit ihrer Geschichte ein Zeichen setzen und betroffenen Kameradinnen Mut machen. Es ist ein Appell gegen das Schweigen und das Abwarten – und der Aufruf, sich gegen männliche Demütigung, Dominanz und Gewalt zur Wehr zu setzen.
Sie hält sich für selbstbewusst genug, den Kerlen Paroli zu bieten
Die Soldatin ist Mitte 20 und gerade zum Oberleutnant des Heeres befördert worden, als sie im sechsten Jahr ihrer Dienstzeit in die Einheit ihres späteren Peinigers beordert wird. Es ist ihr erster Posten nach abgeschlossener Grundausbildung, erfolgreich absolviertem Studium und Offizierslehrgang. „Ich war überzeugt, dass dies der richtige Beruf für mich ist“, sagt sie. „Ich wollte Verantwortung übernehmen und Menschen führen. Für unser Land etwas tun und das alles in Uniform.“ Sie hält sich für selbstbewusst genug, den Kerlen Paroli zu bieten, und verpflichtet sich für zwölf Jahre. „Ich war damals körperlich sehr fit, auch intellektuell“, erinnert sich Gärtner, die heute Anfang 30 ist. „Ich war ein guter Soldat.“
Die junge Frau benutzt völlig unbewusst, fast automatisch die männliche und nicht die weibliche Form, wenn sie von sich und ihrem Beruf spricht. Sie gehört zur ersten Generation von Frauen, die seit 2001 ihren Dienst bei der Bundeswehr tun. Knapp 19 000 Soldatinnen sind nach Angaben des Verteidigungsministeriums mittlerweile beim Heer, der Luftwaffe, der Marine, der Streitkräftebasis und dem Sanitätsdienst beschäftigt. Und 166 900 Männer.
Die haben bei der Bundeswehr das Sagen, als Gärtner Ende 2009 ihren neuen Dienstposten in einer Kaserne in Westdeutschland antritt. Die Soldatin ist eine von drei Frauen in ihrem Zug. Ihr Chef, der nur wenige Jahre älter ist und als Hauptmann vom Rang nur einen Dienstgrad höher bekleidet als seine Untergebene, hat mit Gärtners Weiblichkeit offenkundig ein Problem.
Als sie sich beim Schwimmtraining krank meldet, weil sie ihre Periode hat, lässt er sie das erste Mal auflaufen. „Ist nicht so schlimm“, sagt er und lächelt. „Wir können es ja nach dem Dienst zu zweit machen.“ Gärtner ist irritiert über die plötzliche sexuelle Anspielung. „Er wusste, dass ich einen Freund habe und wir bald heiraten wollten“, erzählt sie. „Außerdem war er selbst mit einer Kollegin aus der Kaserne liiert.“
Was für ein Idiot, denkt sie und belässt es dabei. Doch als sie ihn anderntags kurz vor Dienstschluss in seinem Büro um Hilfe bittet, verknüpft er die Auskunft mit einem Angebot. „Wenn es Sie nicht stört, dass ich mich schon mal umziehe ...“ Sie hält es für einen Witz. Aber er knöpft sein Hemd auf und schiebt sein T-Shirt hoch. Angewidert verlässt sie den Raum.
Angst vor dem Chef
Die Lage eskaliert ein halbes Jahr später. Katharina Gärtner und ihr Freund erwarten ein Kind. „Wir haben uns wahnsinnig auf das Baby gefreut“, sagt sie. Allerdings gibt es da ein Problem. Die Bundeswehr will Frau Oberleutnant – in Unkenntnis der Schwangerschaft – im Jahr der bevorstehenden Geburt zum Auslandseinsatz in den Kosovo schicken. Werdende Mütter dürfen laut Gesetz aber nur in der Heimat Dienst tun.
Gärtner ist in der Bredouille. Einerseits will sie den Offizier, der für die Personalplanung zuständig ist, so früh wie möglich über die Schwangerschaft in Kenntnis setzen. Andererseits ist sie erst in der siebten Woche – und will mit der Mitteilung lieber bis zur zwölften Woche warten. So halten es viele Frauen, weil es in den ersten drei Monaten einer Schwangerschaft häufiger als in späteren Phasen zu Komplikationen kommt.
Sie gibt sich einen Ruck und informiert den Planer. Auch ihre Offizierskollegen setzt die Soldatin in Kenntnis. Ihrem Chef sagt sie erst einmal nichts.
„Ich hatte Angst vor ihm“, erklärt sie. „Ich wusste, dass ein Kind kein Grund für ihn ist, nicht in den Einsatz zu gehen.“ Als ihr Vorgesetzter dennoch davon erfährt, dass sie von der Einsatzliste genommen ist, rastet er aus. „Ab diesem Zeitpunkt begann für mich ein Spießrutenlauf.“ Gärtner muss kurz innehalten, bevor sie erzählt, was dann passierte.
Sie sitzt in ihrem Büro, als die Tür mit einem lauten Knall auffliegt und der Zugführer hereinstürmt. Er brüllt: „Haben Sie sich etwa absichtlich anbumsen lassen, damit Sie nicht in den Einsatz müssen?“ Die Frau ist fassungslos. „Ich finde heute noch keine Worte dafür“, sagt sie und legt die Hände auf die Brust. „Was er sagte, war total absurd, weil ich ja schon schwanger war, als ich erfahren habe, dass ich in den Einsatz soll. Es war ein riesengroßer Schock.“
Der Wehrbeauftragte bringt eine Untersuchung in Gang, die ihre Vorwürfe bestätigt
Trotzdem ist sie stark genug, ihrer Kollegin, mit der sie das Büro teilt, von dem Vorfall zu berichten. Die Kameradin rät dazu, die Sache beim nächsthöheren Disziplinarvorgesetzten zu melden. Gärtner lässt es lieber bleiben. „Ich wollte die Angelegenheit nicht überdramatisieren“, sagt sie. „Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich mit meinen männlichen Kollegen überhaupt kein Probleme.“ Sie meldet sich für den Rest des Tages krank.
Am nächsten Tag erscheint sie wieder zum Dienst. „Ich habe gehofft, dass sich mein Chef bei mir entschuldigt“, sagt sie. „Ich glaube, damit wäre die Sache für mich erledigt gewesen.“ Aber der denkt nicht daran. Jetzt geht der Terror erst richtig los. „Er fing an, meine Arbeit vor versammelter Mannschaft zu kritisieren, und suchte regelrecht nach Fehlern, die er immer in Zusammenhang mit meiner Schwangerschaft brachte“, sagt Gärtner.
Die Soldatin leidet im Stillen. Immerhin lässt sie ihre Arbeit vom Kompaniechef beurteilen, der keine Fehler entdecken kann. Aber es geht ihr nicht gut, sie hat Bauchschmerzen, wenn sie nur an ihren Job denkt, muss sich häufig übergeben und schläft schlecht. Bei der nächsten falschen Anschuldigung des Zugführers geht sie in die Offensive und stellt ihn in aller Öffentlichkeit bloß. „Von da an kam er immer öfter in mein Büro“, erinnert sich die Soldatin. Als er den Stuhl, auf dem sie sitzt, eines Tages mit dem Fuß wegtritt, wird die Schwangere beim Kompaniechef vorstellig und fordert ihre Versetzung in einen anderen Zug.
Die Betroffenheit auf der anderen Seite des Schreibtischs ist groß. Aber wem nutzen schon warme Worte, wenn am Ende alles so bleibt, wie es war? Gärtner ist mittlerweile im sechsten Monat, ihr Bauch kugelrund. Da stürmt der Zugführer angesichts der gegen ihn vorgebrachten Anschuldigungen erneut in ihr Büro, reißt sie an den Schultern und schubst sie vor Zeugen quer durch den Raum. Die Attacke ist zu viel für Mutter und Kind. „Das Baby in mir trampelte wie verrückt“, erinnert sich Gärtner. Mit schweren Bauchkrämpfen lässt sie sich von der Truppenärztin in eine zivile Klinik einweisen. Eindeutige Diagnose: Die Wehen haben eingesetzt. Vier Monate zu früh.
Für Ressentiments hat sie kein Verständnis
Die Ärzte können den Geburtsvorgang mit Medikamenten stoppen und schreiben Gärtner für drei Wochen krank. Die Auszeit wird für sie zur Hölle. Ihre Gedanken lassen sie nicht los. „Ich habe mich laufend gefragt, was ich diesem Mann eigentlich getan habe“, sagt sie. „Und ich habe plötzlich daran gezweifelt, dass der Job bei der Bundeswehr wirklich der richtige für mich ist.“
Womöglich ist verschmähte Liebe eine Erklärung für das Verhalten ihres Chefs. Vielleicht denkt er aber auch nur ähnlich wie offenbar viele Männer in der Truppe: Dass den Frauen beim Bund aus integratorischen Gründen bei Prüfungen, Gewaltmärschen und dergleichen weit weniger abverlangt wird als den Männern und sie am Ende das Gleiche erreichen können.
Gärtner hat für solche Ressentiments kein Verständnis. „Ich bin nicht bevorzugt worden“, sagt sie. Für ihren Erfolg habe sie ebenso hart gearbeitet wie ihre männlichen Kollegen. Und den will sie sich auch in schwangerem Zustand nicht nehmen lassen. Als der Zugführer nach ihrer Rückkehr an den Standort wieder handgreiflich wird, kündigt sie eine förmliche Beschwerde beim Kompaniechef an, dem Disziplinarvorgesetzten der beiden. „Das lassen Sie mal hübsch bleiben“, sagt ihr Chef. „Sie wissen ja, dass ich an ihrer Beurteilung mitarbeite.“
Die Soldatin ist verzweifelt und am Ende ihrer Kräfte. Die Truppenärztin erkennt den Ernst der Lage und zieht die Schwangere bis zum Beginn des Mutterschutzes endgültig aus dem Verkehr. Aber wie soll es weitergehen, wenn das Kind da und die Elternzeit vorbei ist und Gärtner wieder zurückkehren muss?
Sie will es unbedingt. Zu sehr liebt sie ihren Job. „Ich lasse mir meine Karriere doch nicht von diesem Typen kaputt machen“, denkt sie und reißt sich zusammen. Eine Möglichkeit gibt es noch: eine Beschwerde beim damaligen Wehrbeauftragten des Bundestages, Reinhold Robbe. Ihre Eingabe füllt zwölf Seiten. Es fällt ihr nicht leicht, aber Gärtner schildert bis ins Detail, was ihr widerfahren ist, benennt sogar Zeugen. „Der Wehrbeauftragte war für mich die einzige Hoffnung, dass überhaupt etwas passiert“, erklärt sie.
"Ein erschreckender Fall von sexueller Belästigung"
Schon nach wenigen Tagen klingelt ihr Telefon. Der Kommandeur ihrer Einheit ist dran und erkundigt sich höflich nach ihrem Befinden. Dann bricht es aus ihm heraus. „Warum haben Sie gleich die große Rakete gezündet und sich nicht beim Disziplinarvorgesetzten beschwert?“, will er wissen. Sie erklärt es ihm. Bei einer Beschwerde in der eigenen Einheit muss sich der vermeintlich Geschädigte am Ort des Geschehens zur Sache befragen lassen, was für Gärtner nicht infrage kommt. „Keiner dort konnte sich vorstellen, dass ich das mit mir habe machen lassen“, erklärt sie. „Ich wollte nicht darauf antworten müssen, warum ich mich nicht gewehrt habe“, sagt sie. Eine Beschwerde beim Wehrbeauftragten setzt keine Anwesenheit der Geschädigten voraus.
Der Wehrbeauftragte bringt eine Untersuchung in Gang, die Gärtners Vorwürfe bestätigt. Der Zugführer kommt für die Anzüglichkeiten und Handgreiflichkeiten mit einer mündlichen Verwarnung im Offizierskreis und der Versetzung in eine andere Einheit davon. Seinen Status als Vorgesetzter darf der Mann behalten. „Für mich war das ein Schlag ins Gesicht“, sagt Katharina Gärtner. „Ich hätte mir gewünscht, dass er seinen Führungsposten verliert. Aber für eine Degradierung hätte die Bundeswehr zugeben müssen, dass sie einen Vollidioten zum Berufssoldaten gemacht hat.“
„Das kameradschaftliche Zusammenleben in der soldatischen Gemeinschaft ist ein hohes Gut“, teilt das Verteidigungsministerium in einer Anfrage zu sexueller Belästigung bei den Streitkräften mit. „Deswegen achten wir sehr genau auf mögliches Fehlverhalten.“
Katharina Gärtner hat erfahren müssen, dass Achtsamkeit nicht genügt – und Angriff die einzig wirksame Verteidigung ist. Die Bundeswehr hat zwischen 2006 und 2012 nach eigenen Angaben 520 Fälle registriert, bei denen es Verdacht auf ein Sexualdelikt gab. Über Katharina Gärtners Fall schreibt der ehemalige Wehrbeauftragte in seinem Jahresbericht: „Ein erschreckender Fall von sexueller Belästigung, der so bei den Streitkräften nicht stattfinden sollte.“
Dieser Text erschien auf der Reportageseite.