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Feuerwehrleute desinfizieren eine Straße in Teheran.
© Vahid Salemi/AP/dpa

Coronavirus in Iran: Leugnen, Kleinreden, Verschwörungstheorien

Irans Führung bekommt die Pandemie nicht in den Griff – das Land taumelt dem Abgrund entgegen. Darunter leidet vor allem die Bevölkerung: "Sie tun nichts, außer lügen."

Am Sonntag versprüht zum ersten Mal ein Lastwagen Desinfektionsmittel auf der Hauptstraße. Viel zu spät, sagt Vahid. Das Coronavirus halte doch längst die ganze Stadt in seinem unsichtbaren Griff, grassiere längst auf dem Basar, in den Häusern, in Kliniken. „Sogar eine Krankenschwester ist schon infiziert.“

Das, was jetzt eine Pandemie ist, erreichte den Iran früh; vor gut einem Monat meldete das Regime die ersten beiden Todesfälle. Und das Virus traf das Land in schwierigen Zeiten. In den Monaten zuvor jagte eine Krise die nächste. Dass die jetzige weder mit einem außen- noch mit einem innenpolitischen Konflikt begann, war neu. Aber es dauerte nicht lange, bis die Irans Coronakrise politische Dimensionen annahm.

Am 25. Februar infiziert das Virus die Regierung. Vize-Gesundheitsminister Iradsch Harirschi wischt sich bei einer Pressekonferenz immer wieder Schweiß vom Gesicht, hustet, wirkt abgeschlagen. Er bittet das Volk, es solle nicht überreagieren: „Die Lage in unserem Land ist stabil.“ Nur einen Tag später erklärt das Gesundheitsministerium, Harirschi habe Corona. „Zwei weitere Tage später logen sie, er sei wieder gesund“, sagt Vahid. 

Weitere hochrangige Regierungsmitglieder stecken sich an, Schulen schließen. Doch es wird noch mehrere Wochen dauern, bis das Regime es verbietet, schiitische Pilgerorte zu besuchen. Als es soweit ist, protestieren Religiöse und versuchten, in die heiligen Stätten einzudringen.

„Die Regierung hat viel zu lang nicht reagiert, das Problem heruntergespielt“, sagt Vahid am Telefon. Dass sich das jetzt ändert, glaubt er nicht. „Wahrscheinlich hat der Lastwagen gar kein Desinfektionsmittel, sondern nur Wasser versprüht“, sagt der 30-Jährige, der seinen echten Namen lieber nicht in der Zeitung lesen möchte. „Wäre doch nur logisch.“ Überhaupt: Was bringe es denn, nur die Hauptstraße zu desinfizieren? „Sie wollen signalisieren: Wir tun was. Aber außer lügen, tun sie nichts.“

Allein gelassen: Viele können es sich nicht leisten, dem öffentlichen Leben fern zu bleiben. So verbreitet sich die Infektion.
Allein gelassen: Viele können es sich nicht leisten, dem öffentlichen Leben fern zu bleiben. So verbreitet sich die Infektion.
© WANA (West Asia News Agency)/Ali Khara VIA REUTERS

Viele Iraner haben seit Jahren kein Vertrauen mehr in ihren Staat. Und ihre Vorbehalte sehen sie nun bestätigt. „Die Regierung sagt, dass wir uns keine Sorgen machen sollen, dass alles gut ist. Aber das ist es nicht“, sagt Vahid. Das iranische Gesundheitsministerium meldete am Dienstag 16.169 Infizierte. 988 Menschen seien bereits gestorben. Aber ob das stimmt, ist fraglich. Beobachter gehen davon aus, dass der Iran viel zu niedrige Zahlen nennt. 

Die Stadt, in der Vahid lebt, hat etwa 100.000 Einwohner. Zwölf Personen seien dort inzwischen infiziert. Derzeit schicke die Klinik alle Kranken nach Hause, die keine lebensbedrohlichen Symptome zeigen. Das hat Vahid von vier Freunden erfahren, die dort arbeiten. Acht Menschen seien hier bisher an dem Virus gestorben. Schon bald könnten es deutlich mehr sein.

Die Menschen können es sich nicht leisten, zuhause zu bleiben

Angst hat Vahid dennoch keine. „Mir geht es gut. Ich versuche, zu Hause zu bleiben.“ Die freiwillige Selbstisolation ist das einzige, was er tun kann – doch sie hat einen hohen Preis: Seit 28 Tagen arbeitet er nicht mehr. Er rechnet damit, noch einen weiteren Monat kein Geld verdienen zu können. Aber nicht alle Iraner können dem öffentlichen Leben fernbleiben. Zwar müssen Geschäfte eigentlich geschlossen bleiben. „Viele Läden öffnen trotzdem jeden Tag“, sagt Vahid. Sie tun es aus Not. „Die Menschen hier können nicht einfach aufhören zu arbeiten. Sie brauchen das Geld.“ 

Die wirtschaftliche Lage ist desolat. Allein 2018 verlor der Rial 60 Prozent seines Wertes, während die Preise für Brot und Gemüse im vergangenen Jahr um fast das Doppelte gestiegen sind. Immer wieder gehen die Iraner auf die Straße, um auf ihre Nöte aufmerksam zu machen – die Sicherheitskräfte schlagen die Proteste mit großer Gewalt nieder.

"Viele wollen nicht glauben, dass die Infektion gefährlich ist"

Nicht nur die Armut begünstigt Neuinfektionen. Nachdem die Regierung den Ernst der Lage lange dementierte, nehmen viele Bürger die Bedrohung nicht ernst. „Die Straßen der Stadt sind in diesen Tagen so voll wie sonst auch“, berichtet Vahid. „Die meisten wollen nicht glauben, dass eine Infektion gefährlich ist.“ Das Neujahrsfest Newruz steht unmittelbar bevor. Viele Menschen würden verreisen – obwohl der geistliche Führer Ajatollah Ali Chamenei das neuerdings untersagt.

Dabei trifft die Corona-Pandemie die Islamische Republik mit voller Wucht. Das Land, ohnehin wirtschaftlich schon lange durch Sanktionen und Missmanagement gebeutelt - taumelt dem Abgrund entgegen. Es mangelt im Kampf gegen das Virus an allem. Außenminister Dschawad Sarif soll den Bedarf dringend benötigter Güter mit dramatischen Zahlen beziffert haben: 100 Millionen Einweghandschuhe, 500.000 Mal OP-Kleidung, 4000 Infrarotthermometer. Allein dafür wird eine Menge Geld benötigt, die im Staatshaushalt fehlen. 

Teheran bittet den IWF um Hilfe - zum ersten Mal seit Jahrzehnten

Die finanzielle Lage ist so verheerend, dass Teheran vor einigen Tagen erstmals seit Jahrzehnten den Internationalen Währungsfonds um fünf Milliarden Dollar bat. Es ist allerdings fraglich, ob diese Hilfe in Form von Krediten gewährt wird. Denn die Unterstützung muss der Gouverneursrat der Institution billigen – dort sind die USA als größter Anteilseigner vertreten. Und Präsident Donald Trump will den Iran mit verschiedenen Strafmaßnahmen unbedingt in die Knie zwingen. Dass er Geld frei gibt, gilt derzeit als unwahrscheinlich. 

Hinzu kommt: Die Sanktionen machen es dem „Gottesstaat“ fast unmöglich, die für den Anti-Corona-Kampf erforderlichen Materialien einzuführen. Deshalb mehren sich die Stimmen, die wegen des Atomstreits erlassenen Sanktionen teilweise für einige Zeit auszusetzen.

Die Katastrophe ist nicht mehr zu übersehen

Allerdings dürfte es den Befürwortern eines derartigen Schrittes schwerfallen, Gehör zu finden. Denn die Mullahs setzen in Zeiten, in denen landauf, landab Massengräber ausgehoben werden und Leichensäcke sich stapeln, auf Verschleierung, Verharmlosung und Verschwörungstheorien. Zunächst wurden die Gefahren kleingeredet, wenn nicht gar geleugnet. Nun ist die Katastrophe nicht mehr zu übersehen – und die Hardliner machen das angeblich feindlich gesinnte Ausland dafür verantwortlich.

„Die Regierung hat viel zu lang nicht reagiert, das Problem heruntergespielt“, sagt ein Iraner.
„Die Regierung hat viel zu lang nicht reagiert, das Problem heruntergespielt“, sagt ein Iraner.
© Ebrahim Noroozi/AP/dpa

So behauptet der Chef der Revolutionsgarden, Hussein Salami, die „teuflischen“ USA führten mit biologischen Waffen einen Krieg gegen den Iran. Auch Revolutionsführer Ali Chamenei spricht von „biologischen Attacken“ – und ruft ihm unterstellte bewaffnete Kräfte wie die Revolutionswächter zum „heiligen Krieg“ gegen das Virus auf.

Das dürfte den politischen und religiösen Fundamentalisten in die Hände spielen. Gerade die Garden werden wohl noch mehr Befugnisse erhalten, um ihre eigene Macht und die des Regimes weiter zu festigen. Und kaum ein Beobachter zweifelt daran, dass ihnen das gelingt. Sogar die Krisen der vergangenen Monate – militärischer Schlagabtausch mit den USA, den Abschuss einer Passagiermaschine durch die Revolutionsgarden – haben die Hardliner fast unbeschadet überstanden. Aus den Parlamentswahlen im Februar gingen sie als Sieger hervor. Die Erzkonservativen hatten das Reformlager um Präsident Hassan Ruhani bereits vor der Abstimmung ausgeschaltet. 

Nun könnte ihnen Corona einen Vorwand liefern, noch restriktiver gegen tatsächliche und vermeintliche Oppositionelle vorzugehen. Der harsche Kurs der Ideologen zeichnet sich bereits ab. So sollen zwar Zehntausende Gefängnisinsassen freikommen, damit sich nicht infizieren. Nur: Für politische Häftlinge gilt das nur in Ausnahmefällen.

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