Nach Camp-Räumung: Letzte Flüchtlinge klettern in München von Bäumen
Seit Samstag war eine Gruppe von Asylbewerbern in München im Hungerstreik. Nach der Räumung ihres Camps kletterten fünf der Flüchtlinge auf umstehende Bäume. Am Morgen gaben sie erschöpft auf.
Vieles erinnerte an Vorgänge in Berlin. Auch in München spitzte sich am Ende die Situation noch einmal zu. Nach der Räumung des Asylbewerbercamps am Sendlinger-Tor-Platz durch die Polizei am späten Mittwochabend kletterten fünf Flüchtlinge auf Bäume und waren stundenlang nicht dazu zu bewegen herunterzukommen. Mit Gewalt wollte die Polizei sie nicht runterholen, da sie teilweise mit Selbstmord drohten. Nach und nach gaben sie dann doch völlig entkräftet auf. Der letzte Mann beendete den Protest am Morgen gegen 8.30 Uhr, als Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) und Bayerns Sozialministerin Emilia Müller (CSU) persönlich kamen.
Noch bis zum späten Mittwochabend hatten die Asylbewerber in ihrem provisorischen Camp an dem Platz in München gesessen, gelegen und ausgeharrt. Doch dann war die Polizei gekommen und hatte es geräumt. Die Menschen wurden mitgenommen und medizinisch versorgt - bis auf die fünf, die auf die Bäume kletterten. Fünf Tage hatten sich die rund 30 Männer im Freien aufgehalten, sie waren in Decken und Schlafsäcke eingehüllt. "Hunger Strike" stand auf einem Plakat am Boden - Hungerstreik. "Wir möchten ein Teil der Gesellschaft sein", sagte ein junger Mann namens Adil. Er gibt sich als ein Sprecher der Gruppe aus. Sie verlangen einen festen Aufenthaltsstatus und die Auflösung der "Lager", wie sie die Gemeinschaftsunterkünfte für Flüchtlinge nennen.
Am Mittwoch hatte sich die Situation zugespitzt: Adil verkündete, dass sie seit dem Mittag auch nichts mehr trinken würden. "Dry Hunger Strike" heißt das, trockener Hungerstreik. Die nächste Stufe der Eskalation war damit erreicht. Mit dieser Form der Selbstbeschädigung, die Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) als "Erpressung" bezeichnet, riskierten die Flüchtlinge ihr Leben.
Es war abzusehen, dass die Stadtspitze schnell reagieren würde. Neben der Gefahr von Erfrierungen bei nächtlichen Temperaturen etwas über null Grad war das gesundheitliche Risiko vor allem wegen der Flüssigkeitsverweigerung zu hoch. Am Abend gegen 21.45 Uhr erklärte Kreisverwaltungsreferent Wilfried Blume-Beyerle (parteilos) die Versammlung für verboten, da Gefahr für Leib und Leben der Teilnehmer bestehe. 500 Polizei-Einsatzkräfte rückten an und brachten die erschöpften Menschen weg - ins Warme und zum Gesundheitscheck.
Schon 2013 hatten Asylbewerber in München mit einem Hungerstreik protestiert
Vieles von den Vorgängen in München erinnerte an die Geschehnisse vom Frühsommer 2013 auf dem Rindermarkt, nur ein paar Steinwürfe vom Sendlinger Tor entfernt. Auch da hatten Asylbewerber versucht, ihre Anerkennung mit der Verweigerung von Nahrung zu erzwingen. Auch da wurde die Zeltanlage geräumt. Es ist klar, warum die jetzigen Leute sich wieder München als Stadt ihrer Aktion ausgesucht hatten. "Wir protestieren weiter, vom Rindermarkt bis zum Sendlinger Tor", sagte Adil. Sie knüpfen an das Geschehen von vor eineinhalb Jahren an.
OB Reiter hatte gleich zum Wochenbeginn das Gespräch gesucht und die Gruppe besucht. Doch er konnte sie nicht davon überzeugen aufzuhören. Er bot ihnen an, ihre Forderungen an die bayerische Staats- und die Bundesregierung weiterzuleiten und einen Dialog zu initiieren. Seine Bedingung: Der Hungerstreik muss aufhören. In den Nächten dieser Woche mussten immer wieder Männer ins Krankenhaus eingeliefert werden - sie klagten über Unterkühlung und Taubheitsgefühlen an Armen und Beinen. Nach der Behandlung sind sie teils wieder zurückgekehrt. Die Reaktionen der Bevölkerung waren zwiespältig. Manche Passanten gaben den Asylbewerbern Zuspruch, andere beschimpften sie und sagen, sie sollten "dahin zurück, von wo ihr gekommen seid". Der Sprecher Adil meinte: "In den Lagern werden viele verrückt." Und er verweist auf eine vor kurzem veröffentliche Antwort auf eine SPD-Landtagsanfrage: Demnach hat sich die Zahl der Suizidversuche in bayerischen Asylbewerberheimen vom vergangenen zu diesem Jahr schon jetzt mehr als verdoppelt.
Wer die Menschen am Sendlinger Tor jedoch waren, welche Schicksale sie haben, darüber erfuhr man nichts. Außer Adil nannten sie keine Namen und keine Herkunftsländer. Er dürfte aus dem arabischen Raum stammen, womöglich aus Syrien. Auch einige Schwarzafrikaner waren unter ihnen. "Wir haben viele Talente, wir sind oft gut ausgebildet", meinte Adil. "Warum nutzt Deutschland das nicht?"
In Berlin hatten zuletzt Flüchtlinge Ende August ohne Nahrung und Strom auf dem Dach des Hostels in der Gürtelstraße in Friedrichshain ausgeharrt.