Abschied von Helmut Kohl: Letzte Ehre am Sehnsuchtsort
Der Dom zu Speyer war für den Altkanzler etwas ganz Besonderes. Hier empfing er Staatsgäste, und hier wird auch die Totenmesse geplant.
Kaum ein anderer Ort ist derart verbunden mit Helmut Kohl wie der Dom zu Speyer. Dort kommt im übertragenen Sinn all das zusammen, was den Altkanzler ausmachte, als Staatsmann wie als Mensch, im Großen wie im Kleinen, auch im ganz Persönlichen.
Kohl war nach langer Krankheit am Freitag im Alter von 87 Jahren in seinem Geburtsort Ludwigshafen gestorben. Im Dom zu Speyer ist auch die Totenmesse geplant, im Anschluss an einen europäischen Staatsakt, vermutlich in Straßburg, beides voraussichtlich Anfang Juli. Viel spricht für den 1. Juli. Am 2. und 3. Juli wollen die Spitzen von CDU und CSU ihr gemeinsames Wahlprogramm verabschieden. Und im Juli 2001 fand der Trauergottesdienst für Kohls erste Frau, die Protestantin Hannelore Kohl in der katholischen Kathedrale statt.
Hier wurde Kohl auch als Kanzler verabschiedet
Das wuchtige Gotteshaus war für Kohl von Kindertagen an wichtig. Im Weltkrieg, der ihn so sehr prägte, ging er in Speyer aufs Gymnasium am Dom, die Schule in seiner Heimatstadt Ludwigshafen war geschlossen. Im Dom suchte er Schutz vor Fliegerangriffen. Vor der Kulisse des Doms wurde Kohl schließlich auch als Kanzler verabschiedet. „Großer Zapfenstreich“ nach 16 Jahren im Amt.
Der Kaiserdom, seit 1981 Unesco-Weltkulturerbe, war für Helmut Kohl Sinnbild für die Einheit deutscher und europäischer Geschichte wie für Frieden in seinen ganz verschiedenen Facetten bis hin, man kann es wohl so sagen, zum eigenen Innersten. In die größte erhaltene romanische Kirche brachte Kohl als Kanzler fast jeden Staatsgast. Frankreichs Präsident Jacques Chirac, die britische Premierministerin Margaret Thatcher, den Präsidenten der USA, George Bush, Tschechiens, Vaclav Havel, und Russlands, Boris Jelzin, oder Spaniens König Juan Carlos – sie alle wollte Helmut Kohl dort die Wucht eines in Frieden geeinten Europas spüren lassen.
Denn Helmut Kohl nannte diesen Dom ein „Symbol des Denkens und Fühlens“, noch dazu: mitten in Deutschland und mitten in Europa. Der Altkanzler engagierte sich auch in der Europäischen Stiftung Kaiserdom, die sich die Förderung des europäischen Gedankens zur Aufgabe gemacht hat – unter anderem mit ihrer Reihe europäischer Reden im Dom. In diesem Rahmen sprachen dort unter anderen der heutige EU-Kommissionspräsident und frühere luxemburgische Präsident Jean-Claude Juncker und der frühere Außenminister Polens, Wladyslaw Bartoszewski.
Bedeutendstes Zeugnisse mittelalterlicher Architektur
Der ausladende Dom mit seinen vier markanten Türmen – 134 Meter lang, bis zu 55 Meter breit und drinnen rund 30 Meter hoch – steht auf dem Grundriss eines lateinischen Kreuzes. Kaiser Konrad II. aus dem Geschlecht der Salier erteilte 1030 den Auftrag für den Bau, 31 Jahre später war das Gotteshaus fertig. Es ist eines der bedeutendsten Zeugnisse mittelalterlicher Architektur in Europa.
Der 1580 Liter fassende Domnapf am Hauptportal, der bis heute bei besonderen Kirchenereignissen für die Bürger mit Wein gefüllt wird, hatte ursprünglich noch eine andere besondere Bedeutung: Hinter dem Domnapf begann die Dom-Immunität, Gesetzesbrecher fielen hier nicht mehr unter weltliches, sondern unter bischöfliches Recht. Seit 2015 erinnert eine Gedenktafel in der Vorhalle des Doms an Kohls Verdienste.
Bischof Karl-Heinz Wiesemann würdigte am Wochenende Kohls Verbundenheit mit dem Dom als „Sinnbild für die christlichen Wurzeln eines geeinten Europas“ und dessen sozialpolitische Überzeugungen.
Stephan-Andreas Casdorff, heute Tagesspiegel-Chefredakteur, begleitete Kohl auf einem der legendären Staatsbesuche im Dom zu Speyer, die so viel mehr waren als Führungen durch ein bedeutendes Bauwerk in der Heimat des Gastgebers zur Auflockerung des Programms. Als der damalige sowjetische Präsident Michail Gorbatschow im November 1990 von den Pfälzern freudig mit „Gorbi, Gorbi“-Rufen empfangen wurde, aber niemand nach Kohl rief, berichtete Casdorff als Korrespondent für die „Süddeutsche Zeitung“.
Im Dom notierte er: „Bischof Schlembach, der die Besucher führt, erinnert sich daran, dass der Präsident doch so gerne das Wort vom ,europäischen Haus‘ benutze, das es zu bauen gelte. Schlembach fügt an: ,Europa hat diesen Dom gebaut.‘ Er erzählt, dass Kaiser Konrad II., der vor fast 1000 Jahren mit dem Bau begann, intensive Beziehungen zum Großfürsten Jaroslaw in Kiew unterhalten und dass sein Enkel, Heinrich IV., die Enkelin von Jaroslaw geheiratet habe. Und beziehungsreich setzt der Bischof hinzu, bei der Öffnung des Grabes von Konrad sei auch eine Krone mit einer lateinischen Inschrift gefunden worden. Deren Übersetzung lautet: ,Verkünder des Friedens und Wohltäter des Volkes.‘ Gorbatschow erwidert: ,Ihr Vergleich mit dem europäischen Haus gefällt mir sehr gut.‘“
Für Helmut Kohl war das imposante Gotteshaus aber auch ein ganz privater Seelenort, sozusagen seine Hauskirche. Solange er konnte, besuchte er dort die Weihnachts- und Neujahrsmessen und lauschte auch mit großer Andacht der Kunst des Organisten. Auch die Musik und das mit ihr verbundene Gefühl waren ihm wichtig. Ein ihn ein besonders berührendes Stück war die Bach zugeschriebene Toccata und Fuge (siehe Kasten).
Im Dom zu Speyer wurde im Jahr 2001 auch Helmut Kohls erste Ehefrau Hannelore unter großer Anteilnahme der Bevölkerung verabschiedet. Sie hatte sich nach schwerer Krankheit, die sie am Ende tagsüber ins abgedunkelte Haus in Oggersheim zwang, das Leben genommen. Monsignore Ramstetter, ein enger Freund, zelebrierte damals die Totenmesse unter strengen Sicherheitsvorkehrungen.
Hier könnte sich nun der Kreis schließen. Es gibt Pläne, den Altkanzler im Dom zu Speyer die letzte Ehre zu erweisen. Daheim.