Russland-Ukraine: Leichter Druckausgleich
Gasverhandlungen und Truppenrückzug: Im Konflikt zwischen der Ukraine und Russland gibt es erste kleine Hoffnungsschimmer.
Es kommt Bewegung in das Ringen zwischen Russland, der Ukraine, der EU und Deutschland um Energielieferungen, um den Krieg in der Ukraine und die Sanktionen. Dänemark hat nach langem Zögern die Erlaubnis für die Verlegung der Gaspipeline Nord Stream 2 durch seine Territorialgewässer erteilt. Das verändert die Druckverhältnisse in den Gas-Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine. Am 31. Dezember läuft ihr Vertrag über den Transit von Gas aus. Derzeit wird hart verhandelt, ob und unter welchen Bedingungen künftig russisches Gas auf dem Landweg nach Westen fließt. EU-Energiekommissar Maros Sefcovic hat sich als Vermittler eingeschaltet.
Parallel kommen die Gespräche über eine Entflechtung der militärischen Fronten in der Ostukraine voran, wo russische Milizen seit bald sechs Jahren Krieg gegen die Regierung in Kiew führen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sucht nach Auswegen. Und in Moskau zeigt Wladimir Putin mehr Flexibilität, weil er die Wirtschaftssanktionen loswerden möchte. Alle diese Entwicklungen hängen zusammen. Laut ukrainischen Medien wird Gas auch zum Thema des geplanten Treffens im „Normandie- Format“ (Russland, Ukraine, Deutschland, Frankreich). Dabei werden sich die Präsidenten der Ukraine und Russlands, Wolodymyr Selenskyj und Wladimir Putin, zum ersten Mal persönlich treffen.
Das letzte Teilstück
Von den knapp 2500 Kilometern der Pipeline sind bereits mehr als 2100 Kilometer verlegt. Zuletzt ging es um die Genehmigung für ein 147 Kilometer langes Teilstück südlich von Bornholm (siehe Grafik). Gazprom hat als Alternative bereits eine nördliche Route projektieren lassen. Das wäre teuer geworden. Die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 war ursprünglich für Januar 2020 geplant, jetzt verschiebt sie sich um ein paar Monate.
Russisch-ukrainische Verhandlungen
Die jüngste Gesprächsrunde über Gaslieferungen fand am 28. Oktober in Moskau statt. Da lagen die Positionen weit auseinander. Russland lehnte fast alle Vorschläge der Ukraine ab. Für die ist eine Fortsetzung des Transits lebenswichtig. Selenskyj hat seinem Land Frieden versprochen. Dafür wird er Kompromisse eingehen müssen, die heftig umstritten sind. Für seinen Kurs braucht er Stabilität im Land und muss wirtschaftliche Probleme vermeiden. Premier Oleksij Hontscharuk gibt sich selbstbewusst. Man spiele alle Risiken für ein Scheitern der Verhandlungen durch, sagte er. Die unterirdischen Speicher seien mit 22 Milliarden Kubikmetern Gas gefüllt, genug für einen Winter.
Die dänische Baugenehmigung verbessert Moskaus Position in den Verhandlungen. Aber auch Russland muss aus Eigeninteresse einen Abschluss anstreben. Die westlichen Sanktionen wirken. Die Wirtschaft leidet zudem an hausgemachten Problemen, es droht eine Rezession. Putin hat der Ukraine nun vorgeschlagen, alle Rechtsstreitigkeiten im Gas-Bereich zu beenden. Kiew hat Schadenersatzansprüche von mehr als sieben Milliarden Euro gegen Gazprom erhoben und war vor dem Stockholmer Schiedsgericht erfolgreich. Im Gegenzug für den ukrainischen Verzicht auf den Rechtsweg verspricht Putin einen neuen Transitvertrag zu günstigen Konditionen, auch für neue Gaslieferungen. Kiew hat den direkten Bezug von russischem Gas 2015 eingestellt. Der Rohstoff kommt seither aus EU-Ländern, die von Gazprom beliefert werden. Putin nennt das „absurd“.
Die Rolle Deutschlands und der EU
Für Deutschland und die EU geht es um eine Balance. Sie wollen die Versorgungssicherheit der EU-Staaten erhöhen, indem sie die Zuleitungen diversifizieren und sich damit weniger abhängig von einzelnen Liefer- und Transitländern sowie Konflikten zwischen ihnen machen. Diesem Ziel dient Nord Stream 2 unter der Bedingung, dass die neue Pipeline den Transit durch die Ukraine nicht ersetzt, sondern beide Wege genutzt werden. Die EU argwöhnt, Russland wolle mit Nord Stream die Ukraine aus dem Transitgeschäft drängen, aus dem sich ein beträchtlicher Teil der Staatseinnahmen speist.
Im Frühjahr hatte das zu einem Konflikt zwischen der EU und Deutschland geführt. Mit großer Mehrheit beschloss die EU Auflagen für die Pipeline und behielt sich das Recht vor, die Einhaltung zu überwachen. Die beteiligten deutschen Firmen argumentieren, die Energiegeschäfte schaffen eine gegenseitige Abhängigkeit und dienen damit der Entspannung. Viele EU-Staaten warnen hingegen vor einer hohen einseitigen Abhängigkeit von Russland. Sie befürchten zudem, Putin werde die Deviseneinnahmen ins Militär investieren, was zu einer höheren Bedrohung für EU- und Nato-Partner wie die Baltischen Staaten und Polen führe. Eine beträchtliche Zahl deutscher Europa- und Bundestagsabgeordneter hat sich ebenfalls gegen Nord Stream 2 ausgesprochen.
Zu den strategischen Interessen der EU zählt es, der Ukraine das Transitgeschäft weiter zu ermöglichen, auch damit die EU Kiew nicht mit Finanzhilfen unterstützen muss, weil mehrere Milliarden Euro Transitgebühren als Staatseinnahmen entfallen. Auch deshalb vermittelt EU-Kommissar Sefcovic.
Sanktionsdrohungen der USA
US-Präsident Donald Trump behauptet ebenfalls, dass Nord Stream 2 sich gegen die Interessen der Nato richte. Er droht den beteiligten Firmen mit US-Sanktionen. Die entgegnen, Trump wolle mit dem Druck erreichen, dass Europa weniger russisches Gas und dafür mehr amerikanisches Flüssiggas importiere. Flüssiggas ist freilich teurer, und Europa müsste zuvor kostspielige Entladeterminals in ausreichender Zahl bauen.
Fortschritte auf dem Weg zum Frieden
Lange kam der 2015 in Minsk vereinbarte Friedensprozess nicht voran. Nun gibt es Bewegung. Anfang September erfolgte ein Gefangenenaustausch. In dieser Woche zogen beide Seiten Truppen im Luhansker Gebiet zurück.
Nun richten sich die Erwartungen auf einen „Normandie-Gipfel“: Putin, Selenskyj sowie Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Emmanuel Macron. Die Herausforderung besteht darin, dem Separatistengebiet einen Sonderstatus mit Kommunalwahlen zuzugestehen, der aber nicht die Ablösung vom ukrainischen Staat verstärkt, sondern die Gebiete unter Zusage begrenzter Autonomie wieder in die Ukraine eingliedert.