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Straßenkinder auf den Philippinen sind durch reisende Sexualstraftäter besonders gefährdet.
© Francis R. Malasig/picture alliance / dpa

"MitSprache"-Kongress in Berlin: Leben nach dem Missbrauch

In Berlin treffen sich 250 Missbrauchsopfer aus zwölf Ländern, um Erfahrungen auszutauschen und Aufarbeitung zu forcieren.

Susan Serafico kümmert sich auf den Philippinen um die Schutzlosesten. Um Straßenkinder, die nicht bloß in Armut leben, sondern auch permanent Angst spüren. „Sie sind durch reisende Sexualstraftäter, die sich auf Minderjährige konzentrieren, besonders gefährdet“, sagt Serafico. Mit der Sozial-Stiftung „Stairway Foundation“ hilft die zierliche Filipina diesen Kindern. Sie organisiert Theaterauftritte, in denen die Kinder ihre Gefühle ausdrücken können, sie schult Lehrer, Polizisten, Sozialarbeiter.

An diesem Wochenende spricht sie über ihre Erfahrungen in Berlin, bei „MitSprache“, dem weltweit größten Kongress von Missbrauchsbetroffenen. An zwei Tagen, Freitag und Sonnabend, informieren 250 Betroffene aus zwölf Ländern über ihre Erfahrungen, sie reden über die Methoden, wie Hilfe geleistet werden kann, sie diskutieren, welche Fehlentwicklungen und Versäumnisse sie beim Thema Missbrauch in ihrem jeweiligen Land noch immer registrieren. Sie kommen unter anderem aus Kenia, Uganda, Polen, Italien und eben den Philippinen.

Organisiert hat den Kongress, der zum zweiten Mal stattfindet, der Betroffenenrat, der als Gremium beim Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindermissbrauchs angesiedelt ist.

Eine besondere aktuelle Bedeutung bekommt der Kongress angesichts der Studie über die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche in Deutschland zwischen 1946 und 2014, deren Inhalt gerade bekannt wurde. Renate Bühn, Mitglied im Betroffenenrat, stellt deshalb zwar einerseits zufrieden fest, „dass das Thema sexuelle Gewalt gegen Kinder in der Öffentlichkeit angekommen ist“. Sie beklagt aber zugleich, dass viele Opfer alleingelassen würden oder zusätzliches Leid durch „wiederholte opferfeindliche Begutachtungen“ erlitten. Und dann würden auch „noch 60 bis 80 Prozent“ der jährlichen Strafanzeigen wegen Missbrauchsverdachts eingestellt. Für Bühn, die von ihrem Vater missbraucht worden war, ist das ein Justizversagen.

Auch die psychotherapeutische Betreuung von Opfern soll unzureichend sein

Für Kerstin Claus, ebenfalls Mitglied im Betroffenenrat, ist nicht bloß Prävention wichtig, also Schutzkonzepte in Vereinen, Schulen oder auch Jugendeinrichtungen, sie fordert ebenso, dass den Opfern Zukunftsperspektiven gegeben werden müssten. Oft würden die Betroffenen durch den Missbrauch aus ihrem Alltag herausgerissen. Abgebrochene Schulausbildungen, aber auch Armutsfolgen seien in vielen Fällen die Konsequenzen. Man müssen den Opfern deshalb auch bessere Chancen als bisher geben, einen Schulabschluss nachzuholen.

Auch die psychotherapeutische Betreuung von Opfern sei unzureichend. „Trauma-Folgestörungen“ würden von den Krankenkassen nicht ausreichend finanziert. Die Zahl der bewilligten Stunden sei viel zu gering, oft müsse man deshalb neue Anträge stellen. Auch das Opferentschädigungsgesetz, mit dem Betroffene unterstützt werden, sei nicht wirkungsvoll genug. So dauere die Bearbeitung eines Erstantrags zwischen 24 und 26 Monate. „Ein Skandal“, sagt Claus.

Für Wibke Müller, ebenso Mitglied des Betroffenenrats, sind die 250 Betroffenen, die sich in Berlin treffen, eine „internationale Menschenrechtsbewegung“. In Deutschland beginnt die katholische Kirche zwar mit der Aufarbeitung der Missbrauchsfälle, in Polen, Italien oder auf Jamaika dagegen, wo die katholische Kirche eine enorme Macht habe, sei es sehr schwierig, den Missbrauch zum Thema zu machen, beklagt Müller.

In den USA ist es anders, da wurde durch die Untersuchung einer unabhängigen Grand Jury bekannt, dass in Pennsylvania über einen Zeitraum von 70 Jahren rund 300 Priester etwa 1000 Kinder und Jugendliche missbraucht haben. Peter Isely, Mitbegründer einer US-Betroffenengruppe, sagte in Berlin, die Opfer müssten ihr Schweigen beenden, nur so könnten sie dazu beitragen, dass Missbrauch umfassend aufgearbeitet wird. Er benötigte einen bekannten Satz, um diese Forderung symbolhaft darzustellen. Isely zitierte das Johannes-Evangelium: „Im Anfang war das Wort.“

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