Druck auf Innenminister Seehofer wächst: Laschet und andere Politiker fordern rasche Grenzöffnung – Merkel warnt vor Illusionen
Seit der Coronakrise sind die Grenzen zwischen Deutschland und Frankreich gesperrt. Doch die große Koalition streitet über eine Öffnung.
In der großen Koalition wächst der Druck auf Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), die Einschränkungen an den deutschen Grenzen infolge der Corona-Pandemie rasch zu lockern. „Bei den schrittweisen Lockerungen im Bereich des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens dürfen die Grenzkontrollen und Grenzschließungen zu unseren europäischen Nachbarländern nicht länger außen vor bleiben“, betonte die innenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Ute Vogt.
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Am Montag hatte sich auch das CDU-Präsidium für eine zügige Öffnung der Grenzen zu den Nachbarländern ausgesprochen – unter Beibehaltung der Sicherheitsstandards. Seehofer hatte zuletzt erklärt, es bestehe Einvernehmen in der Bundesregierung, die Kontrollen zunächst bis zum 15. Mai fortzusetzen.
„Angesichts der Hygiene- und Abstandsgebote und der getroffenen Maßnahmen beidseits der europäischen Binnengrenzen fordern wir Minister Seehofer dazu auf, den kleinen Grenzverkehr umgehend wieder zu ermöglichen“, sagte Vogt und erhielt Unterstützung von anderen Politikern.
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) dringt in dem Kontext auch auf Lockerungen bei den Quarantänepflichten. Er plädierte im Gespräch mit der „Rheinischen Post“ dafür, die Quarantäne-Pflicht für Rückkehrer aus europäischen Ländern zu lockern. Zur Begründung verwies er auf das Ende des Lockdowns in Frankreich, wo die Menschen seit Montag wieder mehr Freiheiten haben. Zugleich bekräftigte er seine Forderung nach einer raschen Öffnung der deutschen Grenzen.
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Bundeskanzlerin Angela Merkel hat in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vor Illusionen in der Debatte um Grenzöffnungen in der Coronakrise gewarnt. Die Regierung wolle über das Thema am Mittwoch im Bundeskabinett beraten, sagte sie Teilnehmern zufolge am Dienstag in der Unions-Fraktionssitzung und mit Blick auf die bis Freitag (15. Mai) bestehenden deutschen Grenzkontrollen. Man wolle in Richtung Normalisierung im Schengen-Raum gehen, habe Merkel betont. Aber Frankreich werde seine Grenzen sicher nicht vor Mitte Juni öffnen, fügte sie nach Auskunft von Teilnehmern hinzu.
Wegen der Coronavirus-Pandemie müssen bislang fast alle Reisenden, die aus dem Ausland nach Deutschland kommen, für 14 Tage in Quarantäne. Für Menschen, die mit einer Ausnahmegenehmigung einreisen - also etwa für Berufspendler - gilt diese Pflicht allerdings nicht. Frankreich hatte am Montag seine strengen Ausgangsbeschränkungen gelockert. Die Bewegungsfreiheit bleibt aber eingeschränkt.
Laschet verwies auf ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg, das für Niedersachsen die Quarantänepflicht gekippt hat. Die Regelung trage nicht zum Gesundheitsschutz bei und sei „europafeindlich“, sagte Laschet. „Wir werden das bundesweit besprechen.“
Lockerungen in Frankreich, Bewegungsfreiheit weiter eingeschränkt
Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus betonte in Berlin: „Es geht jetzt nicht darum, dass Deutschland einseitig was macht.“ Vielmehr sei es richtig, gemeinsame Gespräche mit Nachbarländern wie Frankreich, der Schweiz und gegebenenfalls mit Österreich zu führen.
In den nächsten Wochen werde sich hier einiges bewegen. Die EU-Kommission setzt auf ein stufenweises, abgestimmtes Vorgehen der EU-Staaten, sie will am Mittwoch Empfehlungen hierzu vorlegen. Auch die Tourismuswirtschaft pocht mit Blick auf die Sommersaison auf rasche Entscheidungen in Europa.
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Auch die Grünen-Europaexpertin Franziska Brantner forderte Seehofer auf, die für die meisten Bürger geschlossenen Grenzübergänge zu öffnen. „Virologisch lässt sich das nicht mehr begründen“, sagte sie dem Tagesspiegel. „Freizügigkeit ist ein europäisches Grundrecht.“ So lange es die Kontrollen noch gebe, dürfe zudem die Möglichkeit zum Grenzübertritt nicht allein auf Ehepartner begrenzt sein. „Dass unverheiratete Paare sich nicht sehen dürfen, ist ein Rückfall in längst vergangene Zeiten.“
Beratungen zwischen Merkel und Macron laufen seit Montag
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der französische Präsident Emmanuel Macron hatten einem Medienbericht zufolge am Montagabend über Lockerungen im deutsch-französischen Grenzverkehr gesprochen. Nach Informationen des „Hauptstadt Briefings“ von The Pioneer-Chefredakteur Michael Bröcker vom Dienstag streben beide eine Lösung an, die für die Bürger beider Länder gleichermaßen gilt, bestenfalls sogar darüber hinaus. Beide hätten am Montagabend miteinander telefoniert
Regierungssprecher Steffen Seibert erklärte auf Anfrage, die Kanzlerin und der französische Präsident hätten über aktuelle europäische Aufgaben gesprochen.
Es schmerze ihn seit Wochen, dass die Europa-Brücke zwischen Kehl und Straßburg gesperrt sei, sagte Laschet der „Rheinischen Post“. „Dass Sie ausgerechnet nicht nach Schengen über die Mosel dürfen und dort die Fahnen auf halbmast wehen, ist ebenfalls schmerzhaft.“
Zuspruch bekam er auch von SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich. Er forderte, die Grenzen nach Frankreich, Luxemburg und zu den Niederlanden trotz der Corona-Pandemie wieder zu öffnen. Das sei besonders in Regionen mit starkem Besucher- und Pendlerverkehr wichtig, sagte er am Dienstag vor einer Fraktionssitzung in Berlin. Konkret nannte er die drei Länder und sagte: „Ich wünsche mir schon, dass die Grenzen auch gerade für diesen Bereich geöffnet werden.“
Röttgen: „Sehe keinen Grund, mehr Freizügigkeit zu erlauben“
Der CDU-Politiker Norbert Röttgen, wie Laschet Kandidat für den CDU-Vorsitz, empfahl dagegen einen Blick in die Nachbarländer: „Dort bestehen noch immer hohe Infektionszahlen. Wenn die Bundesregierung und die EU-Kommission darauf basierend weiterhin zum Verzicht auf Reisen anhalten, sehe ich keinen Grund, dass wir uns mehr Freizügigkeit erlauben können“, sagte er der „Passauer Neuen Presse“.
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Auch FDP-Chef Christian Lindner stimmte einer schnellen Grenzöffnung zu. „Das Infektionsgeschehen gibt keinen Anlass mehr für diese Grenzschließungen“, sagte er am Dienstag in Berlin. Er warf Bundesinnenminister Seehofer vor, in dieser Frage „halsstarrig“ zu sein - dies sei kein Beitrag zur Völkerverständigung.
„Wenn es auf der anderen Seite der Grenzen Bereitschaft zur Öffnung gibt, dann darf es auf der deutschen Seite nicht länger eine Blockade geben.“ Diese gelte auch für die unnötige Quarantänepflicht für Reisende aus dem europäischen Ausland. Lindner kündigte an, dass seine Fraktion dem zweiten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung in einer epidemischen Lage in dieser Woche im Bundestag nicht zustimmen werde.
Seehofer berät mit französischem Kollegen
Das Eilverfahren zum ersten Gesetz habe die FDP noch mitgetragen. Das zweite Gesetz erteile neue Verordnungsermächtigungen, die die FDP länger diskutieren wolle. Außerdem gebe es zu einigen Punkten Datenschutzbedenken, die möglicherweise eine Verfassungswidrigkeit des Gesetzes begründen. „Deshalb ist aus unserer Sicht ein so eiliges Verfahren nicht angezeigt, wir sollten uns mehr Zeit nehmen“, sagte Lindner.
Frankreichs Innenminister Christophe Castaner hat inzwischen mit Seehofer über die Situation an der deutsch-französischen Grenze beraten. Sie seien bei einem Telefongespräch am Dienstagmorgen übereingekommen, die Einreisebeschränkungen „zu gegebener Zeit“ aufzuheben, teilte ein Sprecher des französischen Innenministeriums mit. Dies solle koordiniert, schrittweise und nach einem gemeinsamen Zeitplan erfolgen. Der von Frankreich zu diesem Zeitpunkt festgelegte Horizont sei der 15. Juni. (mit dpa)