„Keine Lage, mit der man Bilder erzeugen will“: Laschet im Krisenmodus – kommt jetzt der Gummistiefel-Wahlkampf?
Der Unions-Kanzlerkandidat und Ministerpräsident von NRW hat die Unwetter-Gebiete besucht. Dabei muss er sich auch unangenehmen Fragen stellen.
Armin Laschet steht mitten im Katastrophengebiet von Altena, Wassermassen fließen direkt neben ihm vorbei. Aber es ist kein Gummistiefel-Auftritt in Gerhard-Schröder-Manier. Sondern ein „stiller Besuch“, der interne Terminus für einen Besuch ohne Presse.
Es war schwierig hierhinzukommen, ganze Straßen wurden weggespült, Teile der Stadt sind abgeschnitten, Autozulieferer in der strukturschwachen Region melden einen Totalschaden durch Wasser- und Schlammmassen. Angekündigt war nur der Besuch des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten beim Krisenstab in Hagen. Dort warten Feuerwehr, Oberbürgermeister und Journalisten am Morgen geschlagene zwei Stunden auf ihn, weil er sehr lange in Altena bleibt.
Ein Reporter von Radio MK sieht Laschet dort zufällig und interviewt ihn spontan. Laschet ist sichtbar betroffen. „Das ist extrem dramatisch“, sagt er über die enormen Schäden in der Stadt im Sauerland, in der sich in der Burg die erste Jugendherberge der Welt befindet. Durch die Lage im Tal der Lenne konnten die Wassermassen derartige Zerstörungen anrichten.
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„Ich war gestern in Süddeutschland und habe da alles abgebrochen und bin in der Nacht hierher gefahren“, sagt Laschet. Er habe sofort mit Markus Söder und Alexander Dobrindt gesprochen und seinen für Donnerstag geplanten Auftritt bei der CSU-Klausur im bayerischen Seeon abgesagt.
Und nun muss Laschet mit einer Katastrophe kämpfen, die quasi über Nacht gekommen ist. Zwei Feuerwehrleute hätten hier in Altena im Einsatz für andere ihr Leben gelassen. Kein Wort könne diesen Verlust für die Familien ersetzen.
Er hat in der Leitstelle sein Mitgefühl ausgedrückt. Was er den Menschen in Altena sagen möchte, fragt der Reporter noch: „Es gibt viele Millionen Menschen, die jetzt an sie denken.“ Wahlkampf ist jetzt erst einmal Nebensache. Bayern bietet Nordrhein-Westfalen und dem ebenfalls stark betroffenen Rheinland-Pfalz Hilfe an. "In dieser schlimmen Situation ist Solidarität gefragt", twittert Laschets Widersacher um die Kanzlerkandidatur der Union, Markus Söder.
Erinnerungen an den Wahlkampf 2002
Natürlich kommen gleich die Erinnerungen hoch, es waren vor allem zwei SPD-Politiker, die sich in Zeiten einer Flut als Krisenmanager bewährten. Helmut Schmidt bei der Hamburger Sturmflut 1962 und Gerhard Schröder 2002 beim Elbe-Hochwasser.
Schröder stahl damals in der Schlussphase des Bundestagswahlkampfs Edmund Stoiber, dem Kanzlerkandidaten der Union die Show, als er in Gummistiefeln überflutete Städte besichtigte und auf den Deichen stand.
Und Stoiber erkannte die Dimension zu spät und fuhr nicht sofort in die Katastrophenregion. Die Bürger honorierten Schröders Krisenmanagement und der Kanzler schaffte es, das Blatt zu wenden und die SPD am Wahlabend doch noch knapp vor die Union zu bugsieren.
Spitzenpolitiker sind bei Hochwasserkatastrophen erstmal nur Besucher, die wenig machen können. Denn das Krisenmanagement läuft über die örtlichen Behörden.
Viel mehr als Trost und Anteilnahme ist zunächst nicht drin. Laschet verspricht aber, nach der Rettung werde eine Bestandsaufnahme der Schäden gemacht, die Kommunen würden nicht allein gelassen.
Seine Leute berichten, es sei unglaublich, was alles an Schadensmeldungen im NRW-Lagezentrum eingegangen sei.
Auch Scholz fährt hin, Baerbock verkürzt den Urlaub
Auch SPD-Kanzlerkandidat und Vizekanzler Olaf Scholz macht sich sofort auf den Weg, er reist aber in das besonders betroffene Ahrweiler in Rheinland-Pfalz, wo seine Parteifreundin Malu Dreyer regiert.
Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock ist noch im Urlaub, kommt aber nun früher zurück. „Das zerstörerische Ausmaß der Überschwemmungen ist erschütternd, meine Gedanken und mein Mitgefühl sind bei den Menschen, die um Angehörige trauern, sich um Vermisste sorgen und um Verletzte kümmern“, sagt sie. „ Die Rettungskräfte tun alles, was sie können, unter Einsatz ihres Lebens. Politische Ableitungen verbieten sich jetzt noch, jetzt sei der Moment der Nothilfe, sagen die Grünen.
Aber es könnte sogar sein, dass dieses Jahrhundertereignis dem Kanzlerkandidaten der Union im Wahlkampf eher schaden wird – mit einem Mal ist das Thema der Grünen, der Kampf gegen den Klimawandel, wieder in den Fokus gerückt.
Laschet fordert mehr Dynamik beim Klimaschutz
Im Mai 2019 sagte Laschet bei „Anne Will“: „Aus irgendeinem Grund ist das Klimathema, ich glaube sehr mit Greta verbunden, plötzlich ein weltweites Thema geworden.“ Er galt lange als Bremser, kämpfte für einen möglichst späten Ausstieg aus der Braunkohle.
Als er dann doch noch in Hagen, wo er schon die Nacht verbracht hatte, eintrifft, betont er im Feuerwehrhaus, wie hart es gewesen sei, 50 Jahren alten Mitarbeitern von Braunkohlekraftwerken zu sagen, dass sie bald in den Vorruhestand müssen. Und er sagt, was viele etwas anders sehen: NRW sei das Bundesland, das mit am meisten für den Klimaschutz tue, gerade auch wegen des für schmerzhaften schrittweisen Braunkohleausstiegs.
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Er sieht sich als Vorsitzender der letzten großen Volkspartei in der Pflicht, alle Interessen, auch die sozialen, bei dem Thema, gut abzuwägen.
Er fordert in Hagen mehr Dynamik beim Klimaschutz, „weltweit“. Aber er selbst hat gerade erst wieder viel Kritik auf sich gezogen, wegen der geplanten, pauschalen Abstandsregeln für Windräder von 1000 Meter zu Wohnsiedlungen, das kann den Ausbau abwürgen. In Hagen lobt er sich auch noch für ein anderes Maßnahmenpaket: „Es gibt kein anders Bundesland, das ein Klimaanpassungsgesetz hat“.
Er muss sich unangenehmen Fragen stellen
Doch zugleich wird er auch auf den zunehmenden Flächenfraß angesprochen, der solche Katastrophen begünstigen kann. Und plötzlich stellt sich auch für NRW die Frage: Braucht es überall mehr Deiche, mithin Milliardensummen für die Klimawandelanpassung, wurde da etwas versäumt? „Die Deichfrage ist eine ganz wichtige Frage, vor allem am Rhein“, räumt Laschet ein. Die Fragen in Hagen zeigen schon, bei diesem Thema ist Laschet angreifbar und in der Defensive.
Jüngst eskalierte ein Streit mit Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer, der in Laschet Heimatstadt Aachen ein Bundestags-Direktmandat holen will und gute Chancen hat - Laschet ließ sich lieber über die Landesliste in Sachen Bundestagseinzug absichern, als gegen Krischer anzutreten. „Diese Laschet-Politik kostet überall auf der Welt – gerade in Kanada – Menschen das Leben", hatte Krischer getwittert, als die dortigen Hitzerekorde Schlagzeilen machten.
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Krischer ist nun selbst im Katastrophengebiet unterwegs, es gibt Überschwemmungen, wo er sie nie für möglich gehalten hätte, zu Laschets Politik will an diesem Tag lieber nichts sagen, erstmals geht es um das Retten von Leben und Schadensbegrenzung.
Die Einsatzkräfte seien vielerorts am Ende ihrer Kräfte. „Wir brauchen dringend eine bundesweit koordinierte Unterstützung“, sagt Krischer. „Viele Menschen in NRW stehen wortwörtlich vor den Trümmern ihrer Existenz, ihnen muss jetzt schnell und unbürokratisch geholfen werden. Selbst kleinere Flüsse überschwemmen jetzt ganze Ortschaften."
Martin Schulz und die "Wolga von Würselen"
Aus Würselen schickt der frühere SPD-Chef Martin Schulz ein Video, versehen mit der Nachricht: „Mein kleiner Fluss, die Wurm hat sich in ein reißendes Gewässer verwandelt. Die Wolga von Würselen.“
Wenn in einigen Orten plötzlich die Trinkwasser- und Stromversorgung sowie die Kommunikationsstrukturen zusammenbrechen, Altenheime evakuiert werden müssen und Talsperren zu brechen drohen, dann stellen sich die großen Fragen dahinter? Wie ist Deutschland auf die Klimawandelbedingte Zunahme an Extremwettereignisse vorbereitet? Wie lässt sich das versichern?
Und so ist gar nicht ausgemacht, ob in diesem Fall wieder der Mann der Exekutive profitiert – Laschet hat nun eine große Bewährungsprobe und der bisher auf die Durchleuchtung der Kandidatin Baerbock fokussierte Wahlkampf ein sehr ernstes Thema. Gerade solche Ereignisse werfen ein Schlaglicht darauf, wie die Zukunft aussehen könnte.
Laschet ist wichtig zu betonen, dass es hier nicht um Wahlkampf oder Parteipolitik gehe. Und so lenkt er die Debatte erstmal auf das aktuelle Geschehen, gibt den ernsthaften Krisenmanager – ohne Show.
Hier in Hagen könne man exemplarisch sehen, wie gut die Zusammenarbeit der Rettungskräfte und Krisenstäbe funktioniert habe. Und betont: „Das ist keine Lage mit der man Bilder erzeugen will.“ Das Wichtige sei, dass man da ist. „Wenn Krise ist, müssen sie schnell entscheiden. Aber am heutigen Tag müssen wir erstmal den Menschen helfen.“