Der 100-Milliarden-Euro-Topf für die Bundeswehr: Lambrecht will weniger Bürokratie in der Beschaffung
Die Verteidigungsministerin stellt den Wehrexperten ihre Pläne für die Bundeswehr vor. Die Union wüsste es aber gerne noch genauer.
Christine Lambrecht (SPD) hatte Klarheit versprochen über den 100-Milliarden-Euro-Fonds für die Bundeswehr. Sehr viel klüger wurden die Mitglieder des Verteidigungsausschusses trotzdem nicht, als die Verteidigungsministerin am Montag ihre Liste der Projekte vorstellte, die aus dem Sondervermögen finanziert werden sollen. Die Kehrtwende in der Rüstungspolitik, von Kanzler Olaf Scholz (SPD) unter internationalen Beifall verkündet, erweist sich im Detail aber auch als schwierig.
Die Pläne, die Lambrecht erst im Ampel-Kreis und dann den Abgeordneten im Verteidigungsausschuss vorstellte, sind im Kern bekannt. Hoch auf der Prioritätenliste steht etwa die Verbesserung der persönlichen Ausrüstung der Soldaten. Das reicht von Schutzwesten über Nachtsichtgeräte und zeitgemäßen Digitalfunk bis hin zu warmer Unterwäsche. Die Wehrbeauftragte Eva Högl musste gerade erst beim Truppenbesuch erfahren, dass selbst für die kleine Unterstützungsgruppe im Baltikum nicht genug Winterbekleidung vor Ort war.
Dass dieser Punkt weit vorne steht, hat aber noch einen zweiten Grund: Der Mangel lässt sich schnell beheben, quasi aus dem Regal. Das soll demnächst ohnehin häufiger möglich werden.
Das Ministerium will mit Berufung auf eine - allerdings auf Krisensituationen befristete - Ausnahmeregelung im EU-Recht künftig mehr direkt bestellen, ohne den Umweg über eine Ausschreibung zu gehen. Außerdem wird die Grenze für Kleinbeschaffungen von 1000 auf 5000 Euro angehoben. Das soll nicht zuletzt das Bundeswehr-Beschaffungsamt deutlich entlasten, das solche Kleinaufträge dann nicht mehr prüfen und genehmigen muss. Schneller akute Mänge beheben helfen soll das auch.
Scholz verspricht dauerhaft zwei Prozent
Solches Tempo ist nicht nur symbolisch wichtig und gut für die Stimmung in der Truppe. Es hilft auch dabei, Scholz‘ erklärtes Ziel zu erreichen, dass der Wehretat ab 2022 auf zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts ansteigen soll.
Gegenüber dem heutigen Haushalt von rund 50 Milliarden Euro ist das ein mächtiger Sprung um gut 17 Milliarden, mit steigender Tendenz in den folgenden Jahren. „Das muss erst mal vernünftig ausgegeben werden“, sagt ein Wehrpolitiker der Union.
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Denn selbst Gerät, das nicht erst neu entwickelt werden muss, braucht von der Bestellung bis zur Auslieferung oft Jahre. Daran kann auf die Schnelle auch eine Reform im Beschaffungswesen wenig ändern, zumal es dauern dürfte, bis sie wirkt. Fachleute halten es deshalb für wahrscheinlich, dass der Sonderfonds in manchen Jahren gar nicht sinnvoll ausgeschöpft werden kann, in anderen dafür deutlich überbucht sein wird.
Auch wegen solcher Unklarheiten erhöhte die Union am Montag den Druck auf die Regierung, den konkreten Plan für das Sondervermögen vorzulegen. Partei- und Fraktionschef Friedrich Merz (CDU) warnte vorsorglich im BR, die Union habe Hilfe bei der besseren Ausstattung der Armee, aber keine uneingeschränkte Unterstützung für ein Investitionsprogramm zugesagt. Fraktionsvize Johann Wadephul (CDU) betonte, es gebe keinen Blankoscheck.
Dass die Koalition bis dahin noch nicht einmal das Gespräch mit CDU und CSU gesucht hat, die die Regierung ja für eine Verfassungsänderung unbedingt braucht, ärgerte nicht nur CSU-Chef Markus Söder. Finanzminister Christian Lindner (FDP) hat immerhin bis Mitte der Woche einen Gesetzentwurf versprochen.
Phantomschmerz bei der Union
Hinter der Verärgerung in der Union stecken freilich nicht immer nur berechtigte Fragen an ein ungewöhnliches Finanzierungsmodell, sondern bei dem einen oder anderen auch ein gewisser Phantomschmerz. Sicherheitspolitik war lange eine Unionsdomäne. Jetzt werden plötzlich SPD und Grüne zu besten Freunden der Bundeswehr.
Den CSU-Mann Florian Hahn, verteidigungspolitischer Sprecher der Unionsfraktion und im Nebenberuf Vize-Generalsekretär seiner Partei, wurmte das offenbar derart, dass er mit dem Ruf nach einem Raketenschild nach israelischem Vorbild für Berlin in die „Bild“-Zeitung ging. Dabei muss Hahn selber wissen, dass Israels „Iron Dome“-Raketenabwehr als Vorbild nicht taugt – das System ist überhaupt nicht dazu gedacht, vor dem Raketenarsenal einer Supermacht wie Russland zu schützen. Selbst in den eigenen Reihen schütteln manche den Kopf:
Dabei steht eine um etliche Nummern kleinere Abwehr tatsächlich zur Erneuerung an. Das als Nachfolge für das Patriot-Luftabwehrsystem zum Eigenschutz des Heeres gedachte Meads-System hat inzwischen aber das Zeug zur unendlichen Geschichte.
Auch bei einer Reihe von Vorhaben auf Lambrechts Liste fehlen noch die Entscheidungen. Das gilt für den schweren Transporthubschrauber – als Ersatz für die altersschwache CH-53 – wie für den Nachfolger der atomwaffenfähigen Tornado-Jets. Für beide Großgeräte kommen nur US-Maschinen in Frage. Aber die Ministerin wollte sich noch nicht auf konkrete Maschinentypen festlegen.
Schwierig aus anderen Gründen ist es beim neuen Sturmgewehr. Schon Vor-Vorgängerin Ursula von der Leyen (CDU) befahl die Ausmusterung des derzeit benutzten G-36. Doch nach sieben Jahren blockiert aktuell immer noch ein Patentrechtstreit zwischen zwei Anbietern die Neuanschaffung.