Österreichs Kanzler bei der Bundeskanzlerin: Kurz macht Merkel etwas vor
Differenzen sind unübersehbar zwischen Angela Merkel und Sebastian Kurz – und er gibt Ratschläge, wie Schwarz-Grün auch in Deutschland klappen kann.
Sebastian Kurz ist ein sehr höflicher Mensch, der sich gut zu verkaufen versteht. Der österreichische Bundeskanzler nutzt den Auftritt nach dem Gespräch mit Angela Merkel im Kanzleramt zunächst einmal für einen touristischen Werbeblock.
14 Millionen Gäste besuchten pro Jahr Österreich, viele aus Deutschland. Die beherberge man sehr gern. "Wir freuen uns auch über kurzentschlossene Gäste, die vielleicht ihren Skiurlaub noch nicht geplant haben, aber kurzfristig noch von der Lust gepackt werden."
Da vorne steht die dienstälteste Regierungschefin Europas, 65 Jahre alt, die sich schon mehrfach von dem jüngsten Regierungschef der EU, 33 Jahre alt, den Schneid hat abkaufen lassen. Er war es als Außenminister, der dafür sorgte, dass die Flüchtlings-Balkanroute 2016 geschlossen wurde.
Die Kanzlerin hatte das aus moralischen Gründen lange strikt abgelehnt. Jetzt hat er es im Gegensatz zu Merkel sogar geschafft, ein schwarz-grünes Bündnis zu schmieden (nach dem Bruch des Rechts-Bündnisses mit der FPÖ wegen der Ibiza-Affäre), um neuerlichen Streit und Stillstand in einer großen Koalition mit der SPÖ zu verhindern.
Merkel dagegen quält sich mit Groko, Teil 3. Das Erfolgsgeheimnis von Schwarz-Grün sei, dass nicht bis ins kleinste Detail profilverwässernde Kompromisse geschlossen wurden. In der Klimapolitik haben die Grünen das Sagen, bei der Wirtschafts- und Migrationspolitik die ÖVP, betont Kurz.
Auch bei diesem Treffen in Berlin mit dem Wieder-Kanzler Kurz geht das Duell unterschiedlicher Sichtweisen in der Migrations- und Flüchtlingspolitik weiter. Beide machen gar nicht erst den Versuch, den Dissens zu übertünchen. Merkel ist für eine Wiederaufnahme der europäischen Hilfsmission "Sophia" zur Rettung von Migranten im Mittelmeer, auch um das Waffenembargo zur Eindämmung des Libyen-Konflikts zu überwachen. Kurz ist strikt dagegen.
„Unterschiedliche Sichtweisen“
"Sophia" habe nicht das Sterben im Mittelmeer beendet, sondern dazu geführt, dass mehr Menschen gekommen und mehr gestorben seien, meint er. Es gehe darum, das Geschäft der Schlepper zu zerstören, nicht es zu fördern. Das Waffenembargo für Libyen könne man auch mit Luftaufklärung kontrollieren.
Da steht wieder die Vertreterin eines humanitären Ansatzes hier – und da der kühle Pragmatiker, der damit in der Heimat und in Deutschland viele Bürger auf seiner Seite hat. Merkel betont, es gebe hier unterschiedliche Sichtweisen: "Das muss man einfach so sagen."
Ein zweiter Dissens, der Auswirkungen auf hunderttausende Bürger haben kann, die auf die Grundrente hoffen, ist der um eine Finanztransaktionssteuer. Kurz lehnt das Modell von Finanzminister Olaf Scholz (SPD) für eine Steuer von 0,2 Prozent des Kaufvolumens auf Aktienkäufe auf EU-Ebene ab.
Damit wären es nur noch neun Staaten, die das Modell unterstützen. Schert noch ein Staat aus, steht das Projekt vor dem Scheitern. "Das ist eine sehr schwierige Kiste", räumt Merkel ein. Kurz argumentiert, mit dem Modell würden vor allem Kleinanleger und Sparer getroffen, die mit Aktien ihre Altersvorsorge verbessern wollen.
Die Ursprungsidee sei die einer Spekulantenbesteuerung gewesen, also auch hochspekulativer Anlagen und Derivate. Scholz rechnet mit bis zu 1,5 Milliarden Euro im Jahr. Kurz rät, die Einnahmen noch nicht zu verplanen. Auch bei CDU/CSU gibt es viel Kritik am SPD-Plan für die Grundrente - und die Ausgestaltung der Aktiensteuer.
„Wir sind beide Nettozahler“
Eine nicht minder „schwierige Kiste“ ist das Ringen um die EU-Finanzplanung bis 2027 nach dem Austritt Großbritanniens. Im laufenden Jahr beträgt das EU-Budget 153,6 Milliarden Euro, Deutschland steuert über 26 Milliarden bei. Am 20. Februar werden die EU-Staats- und Regierungschefs dazu beraten, die EU-Kommission schlägt 1,1 Prozent der Wirtschaftsleistung vor, statt bisher 1,0 Prozent. Österreich und Deutschland als Nettozahler müssten damit künftig deutlich mehr zahlen.
Zumindest hier sind Merkel und Kurz sich einig: So viel werden sie nicht zahlen. "Bei diesem Thema sitzen Deutschland und Österreich wirklich in einem Boot, denn wir sind beide Nettozahler", betont Kurz.
Merkel braucht Kurz im Übrigen auch als Brückenbauer zu den Visegrad-Staaten, zu Viktor Orbán, besonders aber auch zur polnischen Regierung, Fachleute warnen vor einer tiefen Krise, wenn Warschau und Budapest tatsächlich so weit gehen sollten, Urteile des Europäischen Gerichtshofs nicht mehr zu akzeptieren.
Der freundliche Herr Kurz zählt, Merkel immer wieder anschauend, noch en passant auf, was sie bislang nicht auf den Weg bringen konnte: Eine "ökosoziale" Steuerreform mit Milliarden-Entlastungen, "damit den Menschen mehr zum Leben bleibt". Und er betont: "Wir sind eines der wenigen Länder in der Welt, das jetzt schon auf Atom- und auf Kohlestrom verzichtet." Nun hat Österreich auch nicht eine so große Industrie.
Merkel wird am Ende auch nochmal nach der Schwarz-Grün-Option in Deutschland gefragt. Sie nervt die Frage sichtbar, sie schüttelt den Kopf. Was die nächste Wahl betreffe, da fließe noch viel Wasser die Spree oder die Havel hinunter. Kurz fällt ihr ins Wort: "Oder die Donau".
Worauf Merkel trocken kontert: "Die Donau bei uns weniger, aber auch – in Bayern. Ja, insofern können wir uns sogar auf einen gemeinsamen Fluss einigen." Kurz wettet bereits auf Schwarz-Grün nach der nächsten Bundestagswahl auch in Berlin. Aber wer ihn dann hier empfängt, das ist die große Frage. Merkel wird es jedenfalls nicht mehr sein.