Kampf gegen IS-Terroristen: Kurden im Irak - Kämpfer mit neuem Image
Die Bundesregierung erwägt Rüstungslieferungen an die Kurden im Nordirak. Aber wer würde eigentlich genau davon profitieren? Und ließen sich auf diese Weise die islamistischen Kämpfer zurückdrängen?
Die Bedrohung durch den Vormarsch der radikal-sunnitischen Miliz „Islamischer Staat“ (IS) schafft im Nordirak neue Allianzen, die noch vor kurzem undenkbar gewesen wären. Die nordirakischen Kurdenkämpfer der Peschmerga gehen gemeinsam mit den türkischen Kurden von der Rebellengruppe PKK und den syrischen Kurden von der PYD gegen die Dschihadisten vor. Ziel ist es, das kurdische Siedlungsgebiet im Nordirak zu schützen und gleichzeitig den vor dem IS fliehenden Flüchtlingen zu helfen. Die USA unterstützen den Kampf mit Waffenlieferungen an die nordirakischen Kurden.
Die PKK hatte in der vergangenen Woche entschieden, sich am Kampf gegen dem IS zu beteiligen. Fernsehbilder zeigten Männer und Frauen in olivgrünen Kampfanzügen, die in Reisebussen durch den Nordirak an die Front fuhren – PKK- Kämpfer, die es mit den Dschihadisten aufnehmen wollten. In der nordirakischen Ölstadt Kirkuk wurden bewaffnete PKK-Kämpfer von den Einwohnern gefeiert.
Was ist so ungewöhnlich am gemeinsamen Kampf der Kurden?
In normalen Zeiten ist das Verhältnis zwischen den nordirakischen Kurden und der PKK recht schwierig. Die türkischen Kurdenrebellen von der PKK nutzen den Nordirak seit Jahren als Rückzugsraum im Kampf gegen den türkischen Staat. Das Hauptquartier der PKK in den nordirakischen Kandil-Bergen nahe der iranischen Grenze liegt rund 100 Kilometer südlich des türkischen Staatsgebietes.
Die Autonomieregierung der nordirakischen Kurden duldet die schwer bewaffneten Vettern von der stalinistisch organisierten PKK zwar, will sie auf lange Sicht aber loswerden. Der Präsident der kurdischen Autonomieregierung im Nordirak, Mesud Barsani, und der in der Türkei inhaftierte PKK-Chef Abdullah Öcalan sind alte Rivalen im Anspruch auf eine Führungsrolle über alle Kurden. Auch der syrische PKK-Ableger der PYD war Barsani bisher nicht geheuer. Noch im Frühjahr gab es Spannungen zwischen Barsanis Kräften und der PKK sowie der PYD.
Barsanis nordirakische Kurden haben in den vergangenen Jahren ein exzellentes Verhältnis zur Türkei entwickelt. Ein auf dem Ölreichtum der Region basierender Wirtschaftsboom hat den Nordirak zu einem der wichtigsten Handelspartner der Türkei gemacht. Ölexporte aus dem Nordirak sollen – zum Ärger der irakischen Zentralregierung – über die Türkei zu den Weltmärkten transportiert werden.
Sind Kurden der Fels in der Brandung gegen die IS?
Mit Ausnahme der Türkei, die bisher noch nicht vom IS ins Visier genommen worden ist, bilden die Kurden derzeit die einzige Macht in der Region, die den Dschihadisten die Stirn bieten kann. Die Armee der irakischen Zentralregierung gab den Kampf gegen den IS im Nordwesten des Irak im Juni dagegen rasch auf und überließ der Miliz das Feld. Die nordirakischen Peschmerga gelten als gut ausgebildet und motiviert; die PKK verfügt nach dem langen Konflikt mit der Türkei über eine lange Erfahrung im Guerillakampf. Mehrere hundert Kämpfer der PKK und der PYD sind an der Abwehrschlacht gegen den IS beteiligt.
Nach Angaben eines nordirakischen Peschmerga-Kommandanten stellten sich türkische PKK- und syrische PYD-Einheiten in den vergangenen Tagen den IS-Truppen in Rabia und Sindschar entgegen. Rund 200 PKK-Kämpfer sollen zudem das Flüchtlingslager Mahmur, in dem viele türkische Kurden leben, zusammen mit anderen kurdischen Kräften vom IS zurückerobert haben. Ein weiterer Schwerpunkt liegt in der Verteidigung der nordirakischen Kurdenhauptstadt Erbil gegen die vorrückenden IS-Kämpfer sowie im Schutz jesidischer und anderer Flüchtlinge vor den Dschihadisten.
Unterstützt werden die Kurden durch die Luftangriffe der USA: Auch für Washington sind die nordirakischen Kurden ein verlässlicher und äußerst wichtiger Partner. Die US-Militärplaner wählen die Ziele für die Angriffe unter anderem unter dem Gesichtspunkt der Verteidigung Erbils aus – dort befinden sich ein US-Konsulat und Vertretungen großer US-Ölunternehmen mit tausenden Mitarbeitern, die an der Ausbeutung der nordirakischen Ölvorräte beteiligt sind.
Welche Konsequenzen hat der Einsatz gegen den IS für die PKK?
Für die PKK bietet der Kampf gegen den IS die Chance, aus ihrer bisherigen Isolation auszubrechen. Wären die PKK- Kämpfer in den vergangenen Tagen im Nordwestirak nicht zur Hilfe geeilt, hätte der IS möglicherweise mehrere tausend Menschen getötet, sagte Veyel Ayhan, Direktor der Ankaraner Denkfabrik IMPR, dem Tagesspiegel. Ayhan geht davon aus, dass der Kampf der Kurden gegen die auch vom Westen als gemeinsamer Feind gesehene Dschihadisten-Miliz insbesondere für die PKK positive Folgen haben wird. Wegen ihres jahrzentelangen Krieges gegen den türkischen Staat (siehe Kasten) wird die PKK nicht nur von Ankara, sondern auch von der EU und den USA als Terrororganisation eingestuft. Nun aber kämpfe die PKK gegen die terroristische Bedrohung der Dschihadisten, sagte Ayhan: „Der Westen muss seine Haltung zur PKK überdenken.“
Schon jetzt ist abzusehen, dass die Waffenlieferungen der USA an die nordirakischen Kurden zur Abwehr des IS indirekt auch der PKK zugute kommen könnten. US-Waffen könnten von den Peschmerga an ihre PKK-Waffenbrüder weitergereicht werden. Zumindest im Moment würde dies angesichts des PKK-Einsatzes gegen den IS auch den Zielen Washingtons entsprechen.
Könnte der Kampf gegen die IS kurdische Autonomiebestrebungen befördern?
Schon vor dem Konflikt machte sich wachsende Zustimmung zum Projekt eines eigenen Kurdenstaates im Nordirak bemerkbar. Besonders wichtig für die Kurden ist, dass die aufblühenden Beziehungen zwischen Ankara und Erbil den Widerstand der Türkei gegen die staatliche Unabhängigkeit des Kurdengebietes im Nordirak aufgeweicht haben. Ein Sprecher der türkischen Regierungspartei AKP sagte kürzlich, wenn der Irak auseinanderbreche, werde Ankara das Selbstbestimmungsrecht der Kurden im Irak respektieren.
Sollte es den Kurden gelingen, den IS abzuwehren und mit der Hilfe der USA aus den kurdischen Siedlungsgebieten des Nordirak herauszuhalten, dürfte der Ruf nach einem eigenen Kurdenstaat noch lauter werden. Zudem könnte der Kampf gegen den IS die diversen Kurdengruppen zusammenschweißen. Derzeit sei all dies allerdings noch weit weg, sagte Ayhan: „Jetzt geht es erst einmal darum, das kurdische Volk selbst zu retten.“
Thomas Seibert