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Ein Richter am Bundesverfassungsgericht (Symbolbild)
© dpa/Sebastian Gollnow/Pool

Überzogene Kritik am Bundesverfassungsgericht: Kumpanei von Regierung und Justiz? Ein Hirngespinst!

Das Verfassungsgericht billigt die Notbremse. Das darf man kritisieren. Die Schimäre eines „tiefen Staates“ zu verbreiten, ist aber gefährlich. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Unterhalten sich zwei Verschwörungstheoretiker. Sagt der eine: „Was heißt hier Verfolgungswahn? Ich leide nicht an Verfolgungswahn. Sie sind wirklich hinter mir her!“ Sagt der andere: „Ich glaube ja, dass auch die Verschwörungstheoretiker alle unter einer Decke stecken.“

Der kleine Dialog illustriert, dass sich verzerrte Wahrnehmungen der Wirklichkeit nicht leicht von außen korrigieren lassen. Das Weltbild ist geschlossen und wurde gegen Einwände immunisiert. Bei einzelnen Menschen ist das eine Marotte, bei vielen eine Tendenz. Manchmal ist sie gefährlich.

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Am Montag verkündete das Bundesverfassungsgericht, dass die Bundesnotbremse, die mittlerweile ausgelaufen ist, verfassungskonform war. Die Beschlüsse des höchsten deutschen Gerichtes waren einstimmig ergangen, Befangenheitsanträge gegen einzelne Richter abgewiesen worden. Niemand kann ernsthaft bestreiten, dass die Justiz unabhängig war.

Befürworter der Anti-Corona-Maßnahmen, inklusive der damit verbundenen tiefgreifenden Grundrechtseingriffe, jubelten, deren Gegner zürnten. Das war zu erwarten. Nicht zu erwarten war, dass sich die Kritik an den Beschlüssen des Gerichts nicht auf Sachfragen beschränkte, sondern eine Kumpanei zwischen Regierung und Justiz insinuiert wurde.

In einem Kommentar der „Welt“ wird eine besondere Nähe von Bundesverfassungsgericht, Exekutive, Legislative und Medien konstatiert. Die „Bild“-Zeitung befasst sich mit der Rolle von Gerichtspräsident Stephan Harbarth, der als „Merkels Parteisoldat“ gelte – Überschrift: „Eine gefährliche Freundschaft für unsere Demokratie?“ In diesem Zusammenhang erinnert die Zeitung an ein Abendessen der Richter und Richterinnen am 30. Juni im Bundeskanzleramt.

Die Kungelei-Vorwürfe haben keine Substanz

Das Stichwort greift die „Neue Zürcher Zeitung“ in einem Newsletter auf und meint, das Gericht habe nur die Argumentation der Bundesregierung übernommen. Es folgt die Frage: „Ist es das, was beim Abendessen im Kanzleramt am letzten Gültigkeitstag der ,Bundesnotbremse’ besprochen wurde?“

Derlei Spekulationen kontert die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ so knapp wie treffend: „Die Vorstellung, dass der politisch ziemlich bunte Senat Regierungsaufträge erfüllt, ist abwegig.“

Beschlüsse und Urteile des Bundesverfassungsgerichts dürfen kritisiert werden. Wer sich dafür allerdings der Schimäre eines „tiefen Staates“ bedient, in dem ein Lobbyisten-Konglomerat aus Politik, Justiz und Medien mit unlauteren Methoden gemeinsame Sache macht, befördert das Geschäft politischer Fundamentalisten. Von Kungelei-Vorwürfen bis zur Verdammung „korrupter Juristen“, eines „Schweinesystems“ und einer „Lügenpresse“ ist der Weg oft kurz.

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